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Robert Zikmund

Wirtschaft und Politik

6. 9. 2012 - 12:38

Wenn die Tauben die Falken fressen…

Die EZB kauft offenbar erneut Anleihen von Schuldenstaaten.

Die Reaktionen auf die Gerüchte zur jüngsten Entscheidung von EZB-Chef Mario Draghi, also jenem Mann der zuletzt per Social Media vermehrt als Goldman Sachs Marionette verhöhnt wurde, könnten kaum unterschiedlicher sein.
Wie aus Insider-Berichten hervorgeht und die meisten Zeitungen heute bereits berichten, hat die EZB gegen den Willen der deutschen Notenbanker den erneuten Kauf von Staatsanleihen europäischer Krisenstaaten beschlossen. Im Groben spiegeln diese Aussagen auch ein altes Spiel der geldpolitischen Kräfte, Hartwährungs-Fans gegen Befürworter einer lockeren Geldpolitik, oder wie man in den USA gerne sagt: Falken (für strenge Geldpolitik) gegen Tauben (für lockere Geldpolitik).

An der Wasserscheide dieser Überlegungen steht, in einer Wissenschaft, die nur in der Empirie wissenschaftlichen Prinzipien genügt, die Sorge um Inflation. Während Nachfrage-orientierte Politiker und Ökonomen sich von direkter Finanzierung von Zentralbanken (also dem Kauf von Staatsanleihen, auch am Sekundärmarkt wie aktuell in der EU) vor allem Liquidität und günstiges Geld für kriselnde Staaten versprechen, meinen die anderen - in Extremform etwa von der österreichischen Schule für Nationalökonomie formuliert - dass diese Erhöhung der Geldmenge tatsächlich zu einer groben Umverteilung in der Gesellschaft führt.

Mario Draghi

APA

Ihr Einwand: Wenn die Gütermenge (also der Gesamtreichtum) einer Gesellschaft gleich bleibt während die Geldmenge steigt, wird man nicht reicher, es wird bloß das Geld weniger wert - es entsteht also Inflation.
Und diese Inflation trifft nicht, wie oft von Fans des billigen Gelds behauptet, die Reichen (deren Vermögen dann "weg-inflationiert" wird) - nein, sie trifft vor allem die Mittelschicht. Die wirklich Vermögenden haben nämlich reale Assets wie Immobilien oder Gold und sind so teilweise abgesichert, während die Mittelschicht sowohl Sparguthaben als auch Einkommen oder reale Pensionsansprüche verliert.

FM4 erklärt ökonomische Zusammenhänge

Die offiziellen Zahlen zur Teuerung (in der richtigen Definition ist Teuerung eigentlich die Folge von Inflation, also dem Aufblasen der Geldmenge durch eine Erhöhung des Zentralbanken-Bruchteils, siehe "Fractional Reserve Banking") dienen den Tauben oft als Munition, um die Sorge über die Inflation ins Lächerliche zu ziehen - tatsächlich aber wird die reale Teuerung, also die wir auch spüren, von ihren Gegnern wesentlich höher geschätzt.
Ein beliebtes Argument lautet: "Bei Einführung des Euro war das Verhältnis zur DM 2:1, schon zehn Jahre später hatten die Preise DM-Niveau, was einer tatsächlichen Teuerung von 100% in zehn Jahren entsprechen würde."

Doch zurück zu Draghi und zur EZB: Im Unterschied zur US-amerikanischen FED (die seit Jahr und Tag fleißig die Notenpressen brummen lässt) ist der EZB die direkte Finanzierung notleidender Staaten verboten - Draghis Hintertür ist, dass er am Sekundärmarkt (also für bereits gehandelte Bonds) Anleihen mit einer Laufzeit von maximal drei Jahren ins Portfolio der EZB übernimmt. Dies stellt für Draghi keine direkte Finanzierung dar.

500 euro

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Was man natürlich, wie Josef Urschitz in der Presse richtig schreibt, als Quatsch bezeichnen kann. Denn was wird denn passieren, wenn sich die Situation der betroffenen Staaten (also ihre Fähigkeit, sich an den Finanzmärkten selbst zu finanzieren) nicht ändert und die drei Jahre Laufzeit rum sind? Wenn dann die EZB wieder einspringt, gibt es statt einer direkten Langzeitfinanzierung eben eine (von mir aus) indirekte Ketten-Kurzzeitfinanzierung.

Plus: Die Vergleiche mit den USA (oft meinen Tauben, dass es dort ja auch klappt und die sogenannten "Neoliberalen" durch das Verbot für die EZB die Probleme verursachen) hinken gleich aus mehreren Gründen: Erstens ist der US-Dollar in einer anderen, globalen Machtsituation, da noch immer die wichtigsten Rohstoffe in Dollar abgerechnet werden, also etwa Öl. Und zweitens sind die USA ein Bundesstaat mit einer einheitlichen und koordinierten Finanz- und Wirtschaftspolitik - genau das ist ja eine der wichtigsten Ursachen der ganzen Eurokrise.

Die Verfasser dieser Klauseln für Europa haben sich also durchaus etwas gedacht, die Frage ist, was jene denken, die diese roten Linien permanent übertreten. Wie das aktuell auch Mario Draghi wieder tut, um ein bisschen mehr Zeit zu gewinnen.

Denn eine Lösung der Eurokrise ist dadurch nicht näher gerückt, sie wurde wieder einmal verschoben.
Fürs erste scheinen sich jedenfalls die Tauben durchgesetzt zu haben, während sich die meisten Falken etwas beleidigt nach Deutschland ins Schmollwinkerl verziehen. Ob das wirklich ein "Hoffnungsschimmer" ist, wie manche Medien titeln, wage ich zu bezweifeln.