Erstellt am: 5. 9. 2012 - 18:38 Uhr
Loch im Kopf
Ich habe ein Loch im Kopf. Ganze 6,2 cm Durchmesser. Wenn man es mit der Hand anfasst, spürt man das Pulsieren meines Gehirns. "Wie ist es dazu gekommen?", fragen mich die Leute. Ich habe keine Erklärung.
Bis ich vierzehn Jahre alt war, glaubte ich, dass jeder so ein Loch im Kopf hat. Dieses Loch ist ein Grund, Familiengeschichten zu erzählen. Ich hatte mal einen Onkel mit sechs Fingern und einen Urgroßvater mit so etwas wie Flügel auf dem Rücken. Dieser Uropa wurde von den Menschen in seinem Dorf für einen Vampir gehalten und umgebracht. Aber lasst uns lustigere Themen behandeln.
Todor Ovtcharov
Mein Loch verwende ich oft als Anfang für ein Gespräch mit einem schönen Mädchen. Ich bitte sie, mein Loch im Kopf anzufassen und oft ist sie so hypnotisiert, als ob sie mit David Copperfield zusammen wäre. Ich erzähle oft, dass mein Loch das Ergebnis vom radioaktiven Regen aus Tschernobyl ist.
"Ach so?", antwortete mal ein Mädchen. "Und leuchtest du auch im Dunkeln?". Trotz der Ironie dieses Satzes kam sie nachts zu mir, um sich zu vergewissern, ob ich tatsächlich im Dunkeln leuchte. Ich habe also wirklich einige Vorteile vom Loch im Kopf. Den größten Nutzen wollte ich daraus ziehen, nicht als Soldat einberufen zu werden. Damals, als es in Bulgarien noch eine Rekrutierungsarmee und keinen Zivildienst gab.
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Jeden Mittwoch in FM4 Connected (15-19h)
Mein Heimatland wollte aber irgendwie jeden außer mir unter ihren Fahnen haben. In den höheren Gymnasialklassen bekamen alle meine Mitschüler Briefe, mit denen sie zum Antreten vor einer speziellen Behörde aufgefordert wurden. Diese Behörde sollte entscheiden, ob sie für den Militärdienst tauglich wären. Nur ich bekam diesen Brief nie. Ich war schon bereit für meine Rede vor der Behörde: "Für einen Kopf mit so einem Loch gibt es keinen Helm!"
Ich stellte mir meinen moralischen Sieg vor den Militärs mit dieser Phrase vor. Zu dieser Zeit schaute ich mir Filme wie "Hair" und "Full Metal Jacket" an, um meine pazifistische Seele weiter zu füttern. Die Einladung zur Einberufungskommission kam nie. Ich beneidete meine Mitschüler, die über ihre Leiden vor der Kommission erzählten. Außerdem konnten sie für einen Tag nicht zum Unterricht kommen. Meine Ausrede mit dem Loch im Kopf ging zum Teufel. Bald danach wurde in Bulgarien ein Berufsheer eingeführt. Viele Menschen glauben immer noch, dass ein Mann, der nicht beim Militär war, kein echter Mann ist. Ob ich ein echter Mann bin, weiß ich nicht. Ihr könnt das Mädchen fragen, das wissen wollte, ob ich im Dunkeln leuchte.