Erstellt am: 5. 9. 2012 - 12:00 Uhr
From England with love
Es wäre nicht das Musiker- und Produzentenkollektiv Archive, würden uns die Engländer nicht mit jedem neuen Wurf überraschen. Doch was uns die beiden Masterminds Darius Keeler und Danny Griffiths mit "With Us Until You're Dead" vorlegen, ist vielleicht das eigenwilligste Konzeptalbum bisher. Der Aufwand, den man betreiben muss um in ein Archive-Werk wirklich einsteigen zu können, ist auch diesmal ein großer. Und es gehört auch ein bisschen Vertrauen dazu, sich auf dem faszinierenden, verschlungenen Pfad durch düstere Klanglandschaften, elektronische Beats und breiten Orchestersound leiten zu lassen.
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Universal Music
Conflict is inevitable
Es ist die Stimme von Sänger Pollard Berrier, die mit seinem unendlich klingenden Hall die Platte eröffnet. Was nur als kurzes Intro geplant war, wurde zu dem über sechsminütigen "Wiped Out", das ganz zart und luftig beginnt. Der einlullende Klangteppich wird immer wieder durch die tragisch wirkende Akkordfolge gebrochen, bis das Stück mit Pollards kratzigem Schreien, von Streichern unterstützt, sich zu einem elektronischen, verzerrten Groovemonster erhebt. Dynamik und Düsternis verzahnen sich zu einem komplexen Eröffnungsepos, in dem die Verzweiflung um das alles umspannende Thema Liebe den atmosphärischen Grundton vorgibt.

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Es wären nicht Archive, würde auf "With Us Until You're Dead" nicht die Dunkelheit der menschlichen Seele überwiegen. Diesmal wird jedoch nicht auf globaler Ebene Sozialkritik betrieben, wie bei dem Monsterkonzept von "Controlling Crowds", sondern auf ganz persönlicher Ebene nach den großen Emotionen gegraben. Und welches "Schlachtfeld" würde sich da mehr anbieten, als das der Liebesbeziehungen?
Es war vor allem Pollard Berrier, der enttäuscht von einer großen Liebe seinem Schmerz auf dem neuen Archive Album Ausdruck verleiht. Aber auch Songschreiber, Texter und Gründungsmitglied Danny Griffiths hatte seinen Notizblock voll mit Zeilen über glückliche und unglückliche Beziehungen. Wobei man sich jetzt schon ausrechnen kann, dass das Verhältnis Liebesglück zu Liebesleid ungefär neunzig zu zehn beträgt. Zum Beispiel wenn zum Beziehungsstreit die neue Sängerin Holly Martin gleich eine Axt mitbringt und so der ersten Single "Hatchet" ihren Titel gibt. Ein eingängiger und recht geradliniger Rocksong.
Auch die Single "Violently" gibt mit stolpernden Tribal-Beats, verzerrtem Synthbass und krachigen Soundscapes düstere Einblicke in gewaltsame Machtspiele. Und wie zum Scherz lassen Archive gegen Ende des Songs schmalzig-schöne Streicher erklingen, als Untermalung der Vorstellung, dass man seinen Partner lieber sterben sehen möchte. Ziemlich harter Stoff mit einem verstörend großartigen Video umgesetzt.
Love is everything
Aber es geht auch anders. Zumindest auf musikalischer Ebene. "Stick Me In The Heart" ist mit seinen zuckerwattenen Keyboardakkorden und der herzzereißenden Gesangsmelodie für Archive Verhältnisse fast schon kitschig, wären da nicht einerseits der Text, der sich trotz unendlicher Liebe um die schmerzhafte Seite dreht und andererseits der Maschinengewehr-mäßige Staccato-Beat, der wieder klar macht, woher das englische Musik- und Künstlerkollektiv kommt. Eine verzerrte Ballade über eine Verflossene, die sich dann doch noch zur hoffnungsvollen Hymne aufschwingt. Auch wenn es danach gleich in den hektischen Kracher "Conflict" übergeht, denn trotz der Unendlichkeit der Liebe sind Konflikte nicht nur unvermeidbar, sondern fixer Bestandteil unseres Lebens.
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Der Dualismus wird so zum Konzept. Auch wenn alle zwölf Songs fließend ineinander über gehen, führen uns Archive von dem tiefen Grund des Noise zur luftigen Stille, von den zerhackten Bits und Bytes zu den warmen Streichersätzen, von dem wilden Tip Pop-Song "Violently" zu dem berührenden Instrumental "Calm Now", das in jeden Peter Greenaway Film passen würde. Auch "Silence" hat einen gewissen Original Moviescore Charakter. Der geschmeidige Bass, die dramatischen Violinen, die engelsgleiche Stimme, der dahin rollende, nie enden zu scheinende Rhythmus. Das alles ist auf die ausgefuchste Arbeitsweise im Studio zurückzuführen, die diesmal einer der aufwändigsten gewesen sein dürfte, glaubt man den wunderschön zusammengeschnittenen Szenen des "Making Of..." Videos.
Bei "Damage" wird dann noch das Chor-Element ausgepackt und über kleine Gitarren-Soli-Riffs, Orchester-Beats und Feedback gelegt. Und doch wird das Album mit dem gefühlvollen Track "Rise" beendet. Hier holpern schlampig gespielte Gitarrenakkorde durch den Raum, bis sich erneut das Streicher-Ensemble sanft in die Harmoniefolge einschleicht.
"Everything will end / an ocean gone / all the things we had / are left behind / stay towards my dear / we'll start again."
(Archive - "Rise")
Auch wenn diese Platte laut Darius Keeler für jene sind, die zu hundert Prozent in Liebesbeziehungen leiden, so ist diese rund zweiminütige Akustikperle ein derart versöhnliches Ende, dass man die dunkle Reise durch Archives Liebesthema gleich wieder von vorne antreten möchte.
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Tipp:
Archive werden ihr neues Album "With Us Until You're Dead" am Montag 26.11.2012 im Wiener WUK live präsentieren!
"With Us Until You're Dead" ist ein extrem reduziertes Archive Werk, das die Stärken der mittlerweile zwölfköpfigen Band transparent macht. Sie übersetzten tragische Lebensmomente in berauschende Musik, experimentieren mit Form und Klang, verpassen ihren komplexen Arrangements den nötigen Popschliff, überraschen sich selbst mit ihren groß angelegten Epen immer wieder und haben jetzt auch noch den Mut, uns an ihrer emotionalen Seite teilhaben zu lassen. Ob die Liebe zu diesem englischen Kollektiv - das seit knapp zwanzig Jahren immer wieder gänsehauterregende Klangmomente auslöst - wirklich bis zum Tod anhält, kann wohl niemand sagen. Bis zum nächsten Album hält die musikalische Liebesbeziehung auf alle Fälle.