Standort: fm4.ORF.at / Meldung: ""Beams""

Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

3. 9. 2012 - 16:31

"Beams"

Cleverer Pop von Matthew Dear, unserem FM4 Artist Of The Week.

"Beams ist wie ein Lichtstrahl, der die hermetische Finsternis der Stadt durchbricht." So fasst der in Brooklyn lebende Producer und DJ Matthew Dear die Essenz seines neuen Albums zusammen. Er bezieht sich mit seiner Definition auf das Vorgänger-Album "Black City", das in einer Zeit der Unruhe entstanden ist.

FM4 Artists Of The Week:

Matthew Dear ist auch mit dem neuen Album in der Twilight Zone des Pops unterwegs, aber "Beams" klingt offener und verspielter als zuletzt. Dear stammt aus Texas, hat aber seine Collegezeit in der Nähe von Detroit verbracht, im Einzugsgebiet des Geburtsorts von Techno. Diese Perspektive, diese Geschichte durchzieht seine Arbeit, auch wenn Dear Pop macht. Mit seinem Schulfreund Sam Valenti hat er das Label Ghostly International gegründet und Dancefloor-Produktionen gemacht - lange, bevor er an Seelenporträts in Form von Popsongs zu arbeiten begann.

Matthew Dear mit Hund

Will Calcutt

Die Biographie auf seiner Homepage beginnt mit folgendem Satz: "Abhängig davon, wen du fragst, wer Matthew Dear ist, bekommst du verschiedene Antworten: DJ, Producer, Bandleader, Dandy, Suchender."

Matthew Dear hat vier Aliase, legt innerhalb von 48 Stunden in drei Städten auf. Er geht auf Konzertreise mit seiner Band. Er kreiert innerhalb kurzer Zeit dichte, durchdachte Alben voll mit Brüchen und Irritationsmomenten, die er - von Stimme bis Sound - im Alleingang produziert. Viele andere würden bei diesem Arbeitspensum zusammenbrechen, für Dear scheint genau das der Treibstoff zu sein, der ihn am Laufen hält.

Als ich mit ihm telefoniere, sitzt Dear im Hotel in Antwerpen. Er hat eine kurze Pause auf dem Weg über Berlin nach Ibiza und bastelt nebenbei schon am nächsten Album. "Musik macht mir einfach viel zu viel Spaß um aufzuhören, ich arbeite lieber als zu schlafen.", sagt er.

Spaß ist nicht unbedingt das Wort, das mir zu Dears letztem Album "Dark City" eingefallen wäre, es war eine fiebrige, düstere Reise in die Nacht. Ein New York-Album, das den Schock des wirtschaftlichen Zusammenbruchs, der bis in private und emotionale Sphären vorgedrungen ist, reflektiert.

"'Beams' ist ein robusteres, helleres Album als 'Black City'", meint Dear. Es ist im gleichen Brooklyner Heimstudio, im gleichen Verfahren entstanden, aber es beschreibt das Leben in der Zeit danach. "Es ist eine Zeit, in der die Dinge zwar nicht wieder gut sind, aber in der es eine Balance des Wahnsinns gibt, wir uns im Chaos eingerichtet haben", meint Matthew.

Ich bin mir nicht ganz im Klaren, ob das, was er mir gerade zu vermitteln versucht, etwas ganz Simples oder etwas sehr Komplexes ist und das tritt eine Fragen-Lawine an Matthew los.

Die Balance des Wahnsinns, in der Jede und Jeder sich im Moment scheinbar einzurichten versucht, hat die etwas mit höchst privaten biographischen Zufällen zu tun? Mit wem man gerade wo wie lebt, oder zerfressen gleich einem Schmetterlingseffekt wirtschaftliche und politische Zusammenbrüche unsere Seelen? War es schon immer so? Ist es tatsächlich intensiver und spürbarer geworden? Hat nicht ein gewisser Prince die Nummer "Sign on the Times" darüber geschrieben, dass sich die Wirbel des wirtschaftlichen, politischen und sozialen Mahlstroms immer schneller drehen?
Ist es ein individueller biographischer Moment oder ein kollektiv spürbarer pathologischer Zustand? Ist "Beams" ein Album, das die Reflexion von Privatumständen oder eines Zeitgefühls repräsentiert?

"Es ist alles", meint Matthew Dear. "Ich bin ein Vehikel der Artikulation für das, was um mich herum vorgeht und ich kann nicht leugnen, dass diese großen Umwälzungen mein Leben beeinflusst haben und ich versuche, es in kleinen Songs zu beschreiben. Träume, die Menschen, mit denen ich zu tun habe und wie ich mein Leben führen möchte."

Matthew Dear Cover von Beams

Matthew Dear

In diesen kleinen Songs ist Dears Stimme das zentrale Rhythmus-Instrument. "Das hat mit meiner Geschichte als Producer zu tun", meint Dear, aber Funktionalität ist keinesfalls ein Kriterium für seine Produktionen, die sich verspielt und versponnen in immer neue Spiralen winden. Brian Eno, Suicide, David Bowie und Krautrock würde Matthew Dear ein Podest in seinem persönlichen Panthoen einrichten. "Beams" ist musikalisch verwandt mit Hot Chip und !!!.

Matthew Dear ist ein Dandy. Sein Sinn für Ästhetik funktioniert in allen Bereichen auf allen Ebenen. Auf dem Cover von "Beams" ist ein Porträt des Künstlers, halb abstrakt, halb konkret, sehr bunt aber doch düster. Wir sind uns einig, es ist weniger das Bildnis des Dorian Gray, als vielmehr eine gelungene Übersetzung von "Beams": ein Lichtstrahl, der das bunte Chaos zeigt, in dem wir nach dem Fall der Giganten unsere Strukturen und Wünsche adaptieren.

Es ist noch nicht alles gut, aber die düstere, völlige Verzweiflung und Angststarre ist verschwunden, es gibt also wieder Farben, Wünsche und Begehr in der Welt von Mr. Dear.

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar