Erstellt am: 4. 9. 2012 - 12:37 Uhr
The revolution will be youtubed
Wenn das Musical mein Genre-Sorgenkind ist, dann muss der Tanzfilm konsequenterweise als echtes Problemkind bezeichnet werden. Während die Musical-Genrekonventionen zumindest ab und zu ein bisschen gedehnt und variiert werden, sich Woody Allen und Lars von Trier darin versuchen, so ist der Tanzfilm seit Jahrzehnten ein festgefahrener Klotz an Sterotypen und ewiggleichen Geschichtenbausteinen und Gesichtsausdrücken. Wenig ist in den Abhandlungen über Tanzwettbewerbe, Tanzschulen, Ehrgeiz und Körperbeherrschung leider von den "utopischen Energien" zu finden, die das Österreichische Filmmuseum im Rahmen der "Singen und Tanzen im Film"-Reihe untersuchte. Und dabei gibt es wenig, was ich so gerne auf der Leinwand sehe wie eben singen und tanzen.
arthaus
Die kleine Hölle namens Franchise
Weitere Kino- und Filmrezensionen
Der Preis für diese Liebe ist allerdings hoch, denn wer sich Tanzfilme der letzten Jahre anschaut, muss dialog-, schauspiel-, und dramaturgietechnisch einiges aushalten. Und ich kann mich nicht damit abfinden, dass das eben so ist. Ich glaube nicht, dass Tanzfilme per Definition dämliche Filme sein müssen. Warum soll etwas, das auf Videocliplänge funktioniert und für Faszination sorgt - von Björks "It's all so quiet" über Christopher Walkens ekstatischen Tanz in "Weapon of Choice" bis zur Weirdo-Choreografie in "Praise you" nicht auch auf Spielfilmlänge funktionieren. Ein Hauch von Bruch mit Traditionen oder ein Hauch überdrehte Hommage oder einfach nur Tanz abseits von perfekter Boyband-Synchronizität. Irgendwann wird jemand so einen Film machen. Bis dahin wate ich weiter durch die kleine Hölle namens Franchise-Filme.
Summit Entertainment
The Mob
Abwechselnd schicken die britische "Street Dance"- und die amerikanische "Step Up"-Reihe einen Film auf die Leinwand. Personal- und geschichtentechnisch ist hier alles ziemlich austauschbar in 3D. Die Figuren in "Step Up: Revolution" sind allerdings trotz 3D immer noch ziemlich eindimensional. Muskelbuben im Wifebeater-Leiberl mit exakt getrimmten Frisuren. Einer davon, Sean, ist sowas wie der Mastermind der Gruppe "The Mob", die Miami und das Internet mit aufsehenerregenden öffentlichen Performances in Atem hält.
"The Mob" ist ein Konglomerat aus zusammengegoogelten Subkulturen, neben Hip Hop-Tänzern gibt's hier auch ein paar Parcours-Experten, einen Graffiti-Artist, einen Visual-Wizard und eine Frau an den Plattentellern. Man wird an dem greislichen Wort flashmob nicht vorbeikommen, wenn man über "Step Up 4" spricht, also bringen wir's lieber gleich hinter uns. "The Mob" braucht Klicks, um bei einem Videocontest zu gewinnen (da haben wir ihn wieder, den Wettbewerb, der in jeden Tanzfilm Eingang findet) und übt sich in guerillaartigen und spektakulären Auftritten an der Grenze zur Legalität. Man heißt ja nicht umsonst "The Mob". Reich wird man mit YouTube-Klicks auf jeden Fall noch nicht, die Mobsters haben alle auch noch Tagesjobs. Sie lassen sich von arroganten Karrieristen genau dort anschreien, wo schon so viele amerikanische Träume ihren Anfang genommen haben: in einer Hotelküche. Klassenbewusstsein, Klassenunterschiede und - am allerwichtigsten - die Überwindung der Klasse sind ebenfalls ein Baustein des Tanzfilms.
Summit Entertainment
Schillerndes Tanzen
Um derartiges deutlich zu machen, braucht es aber zwei Gegensätze und da treffen wir auch schon Emily mit den glänzenden Haaren an der Strandbar. Emily ist Ballett-Tänzerin und Tochter des steinreichen Unternehmers (Peter Gallagher) und kaum, dass man "Pas de Deux" fertig gedacht hat, tanzen das reiche Mädchen und der Working-Class-Junge auch schon am Strand. Wenn Regisseur Scott Speer hier einen Flirt in einen Tanz verpackt, dann geht das kaum über Spirituosenwerbunghinterngewackle hinaus. Doch in späteren Tanzszenen schillert die Leinwand. Da die Performances meist illegale Angelegenheiten sind, schleicht sich eine Winzigkeit von Suspense wie in heist movies in die Inszenierung - etwas, was im Tanzfilm normalerweise kaum zu finden ist.
Summit Entertainment
Um Emily zu zeigen, was "The Mob" so macht, wenn der Tag lang ist, nimmt Sean sie zu einer Kunsteröffnung in einer fancy Galerie mit. Irgendwann wummert dann ein bauchboxender Bass durch die Galerie und erschüttert die Sektgläser der geladenen Gäste. Statuen entpuppen sich als Tänzer und in einem dunklen Raum tanzen Frauen mit fluoriszierenden Kostümen, im Hintergrund scheinen leuchtende Quallen zu schweben. Für ein paar Minuten funkeln visuelle Ideen und eine Choreografie, die über das übliche Locking, Popping, Freeze hinausgeht. Mehr als in vergleichbaren Auswüchsen dieses Genres geht es hier auch um Rückeroberung oder Neubesetzung von Räumen - öffentlich wie die Straße oder nicht öffentlich wie ebenjene Galerie oder Restaurants.
Summit Entertainment
Us vs Them. Over and over again
Weil finanzieller Background und gegensätzliche Tanzausrichtung noch nicht genügend Konfliktpotential zwischen Emily und Sean sind, holt "Step Up 4" mit der größeren Keule aus und lässt Emilys Vater (sie nennen ihn hier Mr. Anderson, aber Peter Gallagher bleibt wohl für immer Sandy Cohen aus "The OC") planen, das Viertel, aus dem Sean und der Rest des Mobs kommt, abzusiedeln, um dort einen neuen Hotelkomplex zu bauen. Und auch wenn Emily dann im Zuge einer Diskussion, was man denn dagegen machen könnte, den unglaublich dämlichen Satz "Enough of performance art, it's time for protest art" äußert, so ist der Geschichtenverlauf - in Tanzfilmgenregrenzen gedacht - fast originell. Der Glaube an die potentiell revolutionäre Kraft einer Subkultur wird formuliert. Und getanzt. Mit der Tanzfilm-üblichen blauäugig-naiven Erzählhaltung spinnt der Film eine David gegen Goliath-Geschichte, eine Beschwörung der lokalen Community und Zivilcourage. Erzählerisch und dramaturgisch ist das immer noch alles holprig, aber immerhin bewegt man sich weg von den üblichen Geschichtenpfaden. Gerade weil derartige Franchise-Filme ohnehin nicht ernst genommen werden, irritiert eine Art antikapitalistische Tanznummer, bei der "The Mob" in Anzügen in einer Bank auftaucht und Geldscheine von der Decke flattern lässt. War das jetzt ein Hauch Occupy Wall Street zwischen Robo- und Streetdance? Sind das die 2% der 99% die richtig gut tanzen können?
Summit Entertainment
Achtung, genaugenommen ist das jetzt ein Spoiler: Das Kartenhaus der Rebellion fällt aber mit einem Schlag zusammen. Ein letzter, gigantischer Flashmob überzeugt den Hotelzampano, das er seinen Komplex ja auch woanders aufbauen kann, das Viertel wird in Ruhe gelassen. Während "The Mob" noch freudig high-5t, kommt auch schon das Angebot von Nike. Der gerade noch so integer agierende Tanzverein schlagt mit dem Marketingmann ein. Gegen Banker tanzen heißt nicht, dass man nicht für den Sportartikelriesen arbeiten kann. Früher oder später landet ja ohnehin jede Subkultur im Sneakerstore, ich glaub nur, dass die Macher von "Step Up 4" nicht derartig beißenden Zynismus im Sinn hatten, als sie sich diese Wendung ausgedacht haben. Das Revolution im Titel möchte man dem Film auf jeden Fall ein paar Mal um die Ohren hauen.