Erstellt am: 2. 9. 2012 - 15:18 Uhr
Neuigkeiten aus dem Aquarium
Die allerschönste Klangwatte: Ende der 80er, Anfang der 90er hat die englisch/irische Band My Bloody Valentine in klangästhetischer Nachfolge von Gruppen wie The Jesus and Mary Chain (Noise-Pop) und den Cocteau Twins (ätherisch-ambientös) immerhin teilweise eine Musik miterfunden, auf jeden Fall aber zu höchster Perfektion gebracht, die da sehr bald schon "Shoegazing" genannt werden sollte. Aus allerlei Effektgeräten gezauberte und auf enormem Hall aufgebaute Soundwände, die nur noch entfernt daran erinnerten, dass das eigentlich doch bloß Gitarren waren, die hier gespielt und deren Summen und Tönen massiv hinein in einziges Dröhnen manipuliert wurden.
- Der Song zum Sonntag auf FM4
- Über "The Shore" macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
Der viel besungene Monolith der kurzen, aber immens, bis heute hinauf einflussreichen Welle des Shoegazing ist das zweite und - bislang - letzte Album von My Bloody Valentine: "Loveless" aus dem Jahr 1991. Ein bestes Album aller Zeiten, das als solches auch schon oft, oft in allerlei Listen und Rückblicken ausgewiesen und gepriesen worden ist, das aber genaues Zuhören verlangt, wenn man seine Epochalität begreifen will. Hinter all den zunächst eventuell nur als Wabern und Brummen wahrgenommenen Klangnebeln verstecken sich meist zuckersüße Melodien und echte Lieder, die auch ganz einfach und schlicht "nachgespielt" werden können - wie das beispielsweise das kanadische Dreampop-Duo Memoryhouse kürzlich mit dem Song "When You Sleep" getan hat. Auch passierte auf "Loveless" eine frühe, so noch nicht gehörte Auflösung zwischen "Gitarre" und "Elektronik": Radiohead haben da noch lange dran zu knobeln.
G R E A T W A V E S
In den Nuller-Jahren haben sich wieder so einige Bands auf diesen Sound der zärtlichen Verzerrung bezogen, mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, am Prominentesten und Effektvollsten da wohl M83, die Horrors und Deerhunter. Auch das junge Duo Greatwaves knüpft hier an: Über die Identitäten der Menschen hinter dieser Gruppe aus Manchester ist nichts bekannt, auf den wenigen existenten Fotos, die es von Greatwaves überhaupt gibt, stehen sie in dunkelblauem Nebel, kaum erkennbar, das Schemenhafte ist hier Prinzip. Gerade ist die erste 7" von Greatwaves mit den Stücken "The Shore" und "Into The Blue" erschienen.
"The Shore" ist einer der geglücktesten Songs, die im morastigen Wasser des Shoegazing fischen, der jüngeren Vergangenheit. Ein Song, der leise vor sich hinpulsiert und blubbert, ein Glimmen, ein konstantes Schweben. Aus dem magischen Dunst, den hier Synthesizer gesponnen haben, schält sich jedoch schon bald eine kleine muntere Gitarrenmelodie und ein mit schickem Ennui besetzter Gesang, die den Song wiederum recht deutlich in seiner Heimatstadt Manchester verorten: Hier sprechen die geile Arroganz und die Soundverwischungen des 1989 erschienen Debütalbums der Stone Roses aus der Musik; ein Album, das wiederum seinerzeit ebenfalls eine Umschichtung und Auflösung zwischen britischem Gitarrenpop und Rave eindrucksvoll angedeutet hat.
Trotzdem ist das, was Greatwaves hier machen, keine Retromusik. Alle Chillwaver und Post-Animal-Collective-Bands sind hier schon mitgedacht, jedoch entschlackt und zu einem unscheinbaren Song runtergedimmt. Das Schönste an "The Shore" aber ist, dass den Greatwaves selbst das Stück egal zu sein scheint. Ein Song, an dem nichts neu ist, der aber aus einigen wenigen bekannten Elementen einen tatsächlich hypnotischen Sog entwickeln kann. Einmal die Augen zumachen und untergehen.