Erstellt am: 4. 9. 2012 - 16:05 Uhr
Mythen, Monster, Mashups
Ein Mythos, so erinnert uns Wikipedia, ist eine Erzählung, mit der Menschen und Kulturen ihr Welt- und Selbstverständnis zum Ausdruck bringen. Im traditionellen religiösen Mythos wird durch ihn das Dasein der Menschen mit der Welt der Götter verknüpft. Das ganz Große, Welterklärende, Existenzielle also ist hier Thema und schon in der Wahl seines Settings zeigt Vigil Games' Action-Adventure "Darksiders 2", dass man sich hier mit Kleinkram nicht abgeben mag. Big is beautiful, mehr ist mehr und Tiefstapeln ist was für Schwächlinge: Während man in anderen Fantasy-Spielen als mickriger Mensch gegen lächerliche Könige oder Orks zu Felde kleckert, klotzt hier ein leibhaftiger Reiter der Apokalypse, der personifizierte Tod, als Hauptfigur im Kampf gegen das universell Böse, gern in der Gestalt von hochhausgroßen Giganten. In dieser wild aus christlicher, apokrypher und Popmythologie zusammengeklauten epischen Saga um das Schicksal der Menschheit gilt: Size matters.
Vigil Games/THQ
Das ist das Schöne an Spielwelten: Dem Bombast sind nach oben kaum Grenzen gesetzt. Doch nur selten spürt man die Lust am Wow-Effekt, an der Überwältigung des Spielers durch schiere Größe und selbstbewusstes Übertrumpfen der Erwartungshaltungen wie hier: Alles ist riesenhaft in dieser mit Liebe zum Detail entwickelten Dark-Fantasy-Welt und schon die Spielerfigur selbst ist ein prototypischer düsterer Hüne, der Waffen schwingt, die wieder einmal größer sind als er selbst. Wie Vigil Games im Verlauf des beachtlich umfangreichen Abenteuers diesen Riesen zur kleinsten Ameise im Reich der zyklopischen Ruinen und gigantischen Monster werden lässt, ist schon für sich selbst eine Attraktion.
Best of Mashup
Mehr Gamesrezensionen
Das Pathos der letztlich belanglosen Story passt zum epischen Grundton des Ganzen, doch auch der ist wie im Vorgänger sowieso dem Gameplay untergeordnet: Als grimmiger Tod reiten und laufen wir sensenschwingend durch Gegnerhorden, erforschen beeindruckende Dungeons samt überdurchschnittlich gut designten, logisch herausfordernden Puzzles, erklettern akrobatisch düstere Ruinen, verwalten RPG-typisch Inventar und Charakterskills und stehen staunend vor hausgroßen Monstern, die wir in den zahllosen Bosskämpfen zum Teil erst erklettern müssen, um sie zu Fall zu bringen.
Vigil Games/THQ
Klingt irgendwie vertraut? Mit gutem Grund: Es mag zwar nicht originell sein, verwandte Spiele zur Beschreibung herzunehmen, doch im Fall von "Darksiders 2" ist es unvermeidlich: Von "Zelda" über "Metroid Prime", "Ratchet & Clank" und "God of War", von "Legacy of Kain" über "Rune" bis hin zu "Prince of Persia", "Shadow of the Colossus", "Diablo 3" und, jawohl, sogar "Portal" spannt sich der Referenzbogen. So gut wie hier wird allerdings selten geklaut, und auch wenn "Darksiders 2" als Mashup all dieser zu Recht geliebten Games-Legenden nicht deren Ausnahmestatus erreichen kann, verbaut es diese Elemente doch mit so viel Stil, Intelligenz und Selbstbewusstsein, dass es fast als Best of der Action-Adventure-Geschichte durchgehen kann.
Vigil Games/THQ
Am Gipfelpunkt
Als solches, so könnte man es bildlich umschreiben, steht "Darksiders 2" aber auch irgendwie am Ende eines Weges: Hier ist das Genre des Action-Adventures auf einem beeindruckenden Gipfel angelangt, von dem es zufrieden, aber auch erschöpft auf den zurückgelegten Weg herabblicken kann. Bahnbrechend Neues gibt es in diesem perfekten und überraschend umfangreichen Remix aus Erforschen, Kampf und Rätseln nicht, auch wenn das dem Spielspaß keinen Abbruch tut. "Darksiders 2" ist ein Spiel aus der Spätphase einer Konsolengeneration wie auch eines Genres, in dem mit viel Liebe und auch technischer Präzision, aber wenig Innovationsgeist an bewährten Erfolgsrezepten bis hin zur Perfektion gefeilt wird. Auf diesem speziellen Weg geht es wohl nicht noch höher hinauf; andere Berge gäbe es aber noch zur Genüge.
"Darksiders 2" ist für XBox 360, PS3 und Windows erschienen.
Doch wie gesagt: Big is beautiful, und dem Reiz der charmanten Perfektion in XXX-Large erliegt man als Spieler auch gern. Denn "Darksiders 2" erinnert uns irgendwie nicht nur an das Beste der Games-Geschichte, sondern, in seinem Spiel mit Größe und Kleinheit, auch an die goldenen Zeiten der Kindheit, als wir auf Händen und Knien mit unserer Lieblings-Actionfigur ganze Nachmittage lang riesige Sofaburgen erkletterten.
Und das ist durchaus als Kompliment zu verstehen: Erwachsener als der 25. sauertöpfisch-grimmige Military-Shooter ist das bunt-bombastische Fantasyspektakel als perfekter, unschuldiger Eskapismus allemal.