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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

31. 8. 2012 - 11:24

Der neue Wolf Haas!

"Die Verteidigung der Missionarsstellung" wird zur Verteidigung eines Buches. Ich muss leider aufgeben.

Wolf Haas ist einer der ganz Großen.
Ein Sprachkünstler mit Witz und Intelligenz. Seine Texte wirken locker dahinerzählt und doch sind die Worte äußerst präzise gewählt.
Kurzum: ein Autor, dessen Bücher man gerne liest. Da kann man durchaus blind zugreifen, jedes Buch ist gut.

Wird wohl auch mit dem Neuen so sein.

wolf haas buchcover: die verteidigung der missionarsstellung

Hoffmann und Campe

Wolf Haas: Die Verteidigung der Missionarsstellung. Hoffmann und Campe 2012

Das Cover ist schon mal vielversprechend:
Ein Portrait von Wolf Haas, der hinter einem roten Buch hervorlugt. Man weiß nicht, ob er sich versteckt oder mit seiner hochgezogenen Augenbraue zum Lesen auffordern will.
Auf diesem roten Buch steht der Titel des neuen Buches.
Wolf Haas hält also sein neues Buch in der Hand. Und das ist - ganz im typographischen Design der Suhrkamptaschenbücher - rot mit weißer Schrift.

Sehr schön: Bei der Schrift auf dem Cover handelt es sich um die Alte Haas Grotesk. Da lacht mein Typoherz!

Hält Haas also ein anderes Buch hoch, als das, das wir in Händen halten? Ist dieses Buch nur Lug und Trug?
Wird dem Cover eine neue Metaebene eingezogen?
Wolf Haas, der alte Schelm!

Unter dem Schutzumschlag verwundert das geprägte Paisleymuster in der rechten unteren Ecke auf dem schwarzen Buchdeckel. Zierde? Ein Hinweis? Ein Versehen?
Wolf Haas, der gerissene Zeichensetzer!

Die Vorfreude ist also groß, als man umgehend ins London von 1988 geführt wird:
"Verrate mir bitte nicht deinen Namen", sagte Benjamin Lee Baumgartner zu der freundlich aus ihrem kleinen Imbisscontainer auf ihn herabblickenden Burgerverkäuferin.
"Ich finde, wenn man den Namen von einem Menschen weiß, ist der Zauber schon zerstört."

Benjamin Lee Baumgartner hat sich soeben das erste Mal verliebt. In die Frau, die ihm einen Burger verkauft. Ginge es nach ihm, wären sie längst im Bett. Und beinahe hätte er riesige Komplimente gemacht. Die sind aber teilweise so gestelzt und holprig, dass es nur zum Vorteil der jungen Frau ist, dass sich Benjamin Lee Baumgartner das alles nicht zu sagen traut und sich die Dialoge in diesem Liebesgeplänkel daher in Grenzen halten.
"Kinder loo loo", lachte sie.
"Luuuuuluuuuuu."
"Loooooooooolooooooo."
"Luuuuuluuuuuuuuuuuuuuu."
(HIER NOCH LONDON-ATMOSPHÄRE EINBAUEN. LEUTE. AUTOS. HÄUSER. 1988. THE BLICK FROM THE BRIDGE.)
"Looooooooooooo! Loooooooooooooo!"
"Luuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu!"
"Looooooooooooooooooooooooooooo!"

Zu den Einschüben in Klammer später mehr.

Und warum hat das Buch dann so einen verheißungsvollen Titel? Die Antwort findet man in einem kleinen Dialog auf Seite 138. Kurz vor der "dichtesten Stelle im Roman"...

Das Schicksal von Benjamin Lee Baumgartner - Obacht, ein Namensspiel! Er könnte der liebe Cousin von Rosa Schlüpfer und Axel Schweiß sein - sein Schicksal will es, dass er zeitgerecht zum Ausbruch von Pandemien direkt vor Ort ist: bei der Rinderseuche in London, bei der Vogelgrippe in China und bei der Schweinegrippe in New Mexico. (Dass die Schweinegrippe in Mexiko ausgebrochen ist, soll nicht weiter stören...)
Mit Ausbruch jeder Seuche verliebt sich Benjamin neu. Vielleicht ist die Liebe ja die ärgste Seuche überhaupt, so tief geht der Inhalt aber nicht.

Benjamin Lee Baumgartner erzählt seine unglaubliche Geschichte einem befreundeten Autor, dessen Biographie sehr viel Ähnlichkeit mit der von Wolf Haas hat.
Mit diesem dünnen Grat zwischen Fiktion und Wahrheit spielt Wolf Haas.
Eine der verblüffendsten Erfahrungen beim Schreiben ist es, dass erfundene Dinge oft wahr klingen und wahre erfunden.

Aufbauend auf diesem Gedanken könnte Wolf Haas unglaublich gute Geschichten erzählen. Diese Chance verpasst er aber.
Wolf Haas, warum?

Stattdessen wird die eh schon dünne Handlung zu oft von typographischen Spielereien gestört. Was einmal noch als witziger Einfall durchgeht, wird immer anstrengender.
Ob beim "Querlesen", das sich über sieben Seiten zieht, bei der "dichtesten Stelle im ganzen Roman", die in angenehmem 4 Punkt gesetzt ist oder der Szene im Lift, die gleich 16 Seiten füllt: Dabei wandert die schmal gesetzte Textpassage mittig von oben nach unten. Wie ein Lift, falls das jemand noch nicht verstanden haben sollte. Wie ein extrem enger Lift, denn sonst lässt sich nicht erklären, warum die Textpassage ganz klein gesetzt sein muss...

Was soll das? Zaghafte Konkrete Poesie? Typographische Übungen aus dem ersten Semester? Ein verhindertes Sprachbastelbuch?
Positiv an diesen Spielereien ist jedenfalls, wie perfekt sie gesetzt sind. Ein Kompliment an die oder den Gestalter.

Es hilft, wenn man jemanden kennt, der Chinesisch kann, schließlich sind auch fast vier Seiten in Chinesisch. Danke, Michael Ho.

Bleiben die Einschübe in Klammer, die wohl alles relativieren sollen und suggerieren, dass das Buch noch nicht ganz fertig ist. Regieanweisungen hier, Verbesserungsvorschläge dort und Randbemerkungen bei mittelprächtigen Szenen da und dort. Das alles darf man nicht zu eng sehen, das ist noch ein Entwurf, da wird noch das eine oder andere ausgebessert, die Endfassung wird viel besser. Schön wär's.

Denn spätestens, wenn es in einem dieser Einschübe heißt "NÄCHSTE WOCHE SCHNELL 50 SEITEN LEBENSGESCHICHTE ZUSAMMENSCHUSTERN." fragt man sich, in welcher Zeit eigentlich dieses Buch zusammengeschustert wurde.

Wolf Haas, der schlaue Fuchs!
Schiebt uns einen Entwurf unter und tut so, als wäre das der fertige Roman. Nein, natürlich alles ein großes Experiment. Ein Roman im Roman. Schon verstanden, aber dünn ist das dennoch.

Abschließend noch eine der wenigen interessanten Episoden, die der Autor dieses Buches erzählt:
Als mich einmal tagelang starke Kopfschmerzen quelten(!), dichtete ich diese einfach meinem Detektiv Brenner an. Ich bilde mir sogar ein, dass es seither besser geworden ist. Kann aber auch damit zusammenhengen(!), dass mir die Baum (NAME SPÄTER ERKLÄREN) zur selben Zeit riet, mehr Wasser zu trinken, mindestens zwei Liter am Tag, und seither ist es besser. Ich gebe diesen Rat gern weiter und stelle mir vor, dass mir einmal jemand sagen wird, das Buch war scheiße, aber ich bin dir ewig dankbar für diesen Rat.

Das mit dem Wasser wusste ich schon. Ansonsten kann ich dem letzten Satz nur zustimmen und jedes andere Wolf Haas Buch empfehlen.