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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

30. 8. 2012 - 13:43

Der Herr Direktor

Boz Boorer ist mehr als nur Morrisseys Lieutnant. Er personifiziert die pop-historische Verbindungslinie von Psychedelik, via Hippie-Folk, Glam-, Pub-Rock-, Neo-Rockabilly und Punk bis zu Indie-Rock und Cockney-Rap.

Es gibt mehrere Versionen der Popgeschichte. Eine der so gut wie nie erzählten ist jene der Community von MusikerInnen in der zweiten Reihe, die einander über die Jahrzehnte hinweg in den Studios, bei Soundchecks, und in den Backstage-Containern der Festivals begegnen, immer mit dem Namen von jemand anderem auf dem Artist-Pass.

Unter diesen Unterbelohnten (in Bezug auf ihre Prominenz, manchmal auch auf die Finanz), ohne die aber gar nichts ginge, ist Boz Boorer ein Prinz – hyperkompetent an Tasten, Holzblasinstrumenten und vor allem Gitarre, seit 21 Jahren hauptbeschäftigt als der „,musical director“ eines gewissen Morrissey. Zwischendurch taucht er aber auch in der Band von Edwyn Collins auf, holt Adam Ant aus dem Orkus oder spielt mit einen obskuren Cockney-Rapper namens Alex Lusty als Teil des Duos Happy Martyr.

Boz Boorer Record-Cover

Fabrique

Als ich vor einigen Wochen von Fabrique Records erfuhr, dass Boorer ausgerechnet bei diesem, sonst nicht unbedingt auf Gitarrenmusik spezialisierten Wiener Label eine Compilation unveröffentlicher Schätze aus seinem Archiv namens „Some of the Parts“ herausbringen und sich dazu interviewen lassen würde, schien mir das eine gute Gelegenheit, einmal die Tür in diesen verborgenen Maschinenraum des Pop zu öffnen.

Ich sollte Boz also im Juli in seinem Lieblingspub in West Hampstead treffen. Auf dem Weg dorthin sah ich ihn auch schon aus einer Hintertür ins Sonnenlicht treten und in makellosen Jeans mit breiten Stulpen, nagelneuem schwarzen Gene Vincent-T-Shirt und frisch gestutzter Tolle die Straße runter gehen.

Nicht nur von außen betrachtet ist Boz Boorer ein unverbesserlicher alter Rockabilly. Als Teenager in den 1970ern war er mit seiner Band The Polecats ein Pionier dieser Retro-Subkultur, die zu jener Zeit eigenes an Verwandtschaften mit der Energie des Punk entdeckte.

Das heißt, eigentlich haben wir es hier mit einer Henne- und Ei-Frage zu tun. Schließlich begründete sich der Mittsiebziger-Proto-Punk von Bands wie Eddie & The Hot Rods oder Dr Feelgood formal auch auf einem Revival von Fifties-Rock'n'Roll und R&B.

Und nicht zufällig war „Let It Rock“, die erste Inkarnation von Vivienne Westwood und Malcolm McLarens Shop an der King's Road ganz dem Teddy Boy-Revival gewidment, ehe der S&M-Fummel und dann, gewissermaßen als Synthese, die Punk-Mode an die Reihe kam.

Mit letzterer Szene hatte der junge Boz oben in Nord-London jedenfalls nichts am Hut, allerdings ging er zu sämtlichen Punk-Gigs im Roundhouse zwischen Chalk Farm und Camden Town.

Im Frühwerk der dermaßen sozialisierten Polecats finden sich nebst dem vom Punk-Einfluss verfärbten Rockabilly-Sound auch interessante Verbindungen zum damals gerade erst verabschiedeten Glam-Rock in Form von Cover-Versionen von David Bowies „John I'm Only Dancing“ und „Jeepster“ von T-Rex, beides Songs, die schon Anfang der Seventies einen deutlich spürbaren Kern des Fifties-Revisionismus in sich getragen hatten.

Ab hier wird es insofern spannend, als Morrissey Boorer zum ersten Mal 1991 für die Rockabilly-lastige Single „Pregnant for the Last Time“ an Bord holte, ehe er ihn zu seinem musikalischen Direktor ernannte und sein nächstes Album „Your Arsenal“ von Mick Ronson produzieren ließ – der seinerseits in Bowies Glam-Rock-Phase Boorers Rolle des Gitarristen und musikalischen Direktors gespielt hatte (nach Ronsons Tod arbeiteten Morrissey und Boorer zudem noch mit Bowies Früh-Siebziger-Produzent Tony Visconti).

Die Frage wäre nun, ob Morrissey Boorer engagiert hatte, weil er in seiner Geschichte eine interessante Glam/Rockabilly-Verknüpfung erkannte, die er selbst erkunden wollte. Oder ob es umgekehrt Boorer war, der Morrissey in diese Richtung lenkte.

Gestellt hab ich sie allerdings nicht, da mein Gegenüber nach einer Weile mit der Bemerkung „This is a Boozer interview, not a Morrissey interview“ klarstellte, wo die Grenzen lagen.

Boz Boorer

Fabrique

Auch nicht unverständlich, Loyalität und Diskretion sind in diesem Job schließlich genauso wichtig wie das Gitarrespielen. Boorer war erst am Tag zuvor aus den USA zurückgekommen, wo er für den in Los Angeles exilierten Chef einen neuen Schlagzeuger einlernen hatte müssen.

Aber der rote Indie/Punk/Glam/Rockabilly-Faden ließ sich auch noch anderweitig zurückverfolgen, und zwar bis in die psychedelischen Sechziger hinein, anhand des Gastauftritts eines gewissen Andy Ellison auf „Some of the Parts“.

Ellison war vor 45 Jahren Sänger von der Popgeschichte zumeist bloß als Fußnote im Werdegang ihres temporären Mitglieds Marc Bolan zitierten Art-Pop-Band John's Children.

T-Rex-Fan Boorer, der John's Children der Bolan-Verbindung wegen schon Ende der Siebziger (also lange vor Erscheinen ihrer Reissues) wiederentdeckt hatte, sollte in den frühen Neunzigern selbst in der Reunion von John's Children mitspielen. Auch wenn man ihm das rein frisurentechnisch so gar nicht zutrauen würde.

Aber im Universum des Boz Boorer geht sich das alles ganz logisch aus. Da sitzt man dann einem puristischen Rockabilly gegenüber, der einem erklärt, wie Marc Bolan von Ravi Shankar zum Spielen im Lotussitz inspiriert wurde, und dass die frühe Hippie-Phase von T-Rex mit der Akustischen und den Bongos ihm selber überhaupt schon immer am liebsten gewesen sei.

Solche überraschenden Weltenverbindungen findet dann einer wie ich, der in den fraktionierenden, dogmatischen Achtzigern Teenager war, selbst heute noch eigentümlich befreiend. Und ja, das ganze trägt durchaus positiv zu meinem Morrissey-Verständnis bei (typischerweise kamen die besten Geschichten diesbezüglich allerdings erst zum Vorschein, als ich das Aufnahmegerät wieder abgedreht hatte).

Meine letzte Ausgabe von FM4 Heartbeat mit dem Boz Boorer-Interview und Musik von ihm selbst, Morrissey, John's Children und Adam Ant ist noch bis Montag hier im Stream zu hören.