Erstellt am: 3. 9. 2012 - 19:04 Uhr
"Die Kunst des Feldspiels"
Fast nirgends sind die Grenzen des US-Kulturexports so deutlich zu sehen wie im Sport. Die Big Four, die vier erfolgreichsten Sportarten in den USA (American Football, Baseball, Basketball und Eishockey) können in Europa Fußball nicht das Wasser reichen und Baseball geht bei uns gerade einmal als Randsportart durch. Das wirkt sich auch auf die Literatur aus. Das in den USA sehr erfolgreiche Genre "Baseball-Fiction" (oder Sportromane generell) wird wegen mangelnden Verkaufschancen kaum ins Deutsche übersetzt, und so wundert man sich doch, dass Chad Harbachs Debütroman "Die Kunst des Feldspiels" einen Baseball am Cover zeigt. Noch verwunderlicher wird das, wenn man erfährt, dass man in den USA versucht hat, jede Baseball-Referenz am Cover zu vermeiden.
Weitere Buchrezensionen
In Chad Harbachs Roman geht es nämlich nicht wirklich um Baseball, sondern um das Streben nach Perfektion und um das Scheitern, das diesem Vorgang inne wohnt. Man muss den Sport aber weder mögen noch verstehen, wenn man zu "Die Kunst des Feldspiels" greift (es reicht das Bild Werfer-Schläger-Fänger, den Rest führt der Autor aus), Harbach benutzt Baseball nur als erzählerischer Hülle, um seine ProtagonistInnen reifen zu lassen.
Das Jahrhunderttalent
Dumont Verlag
Die Geschichte ist anfangs simpel und gleicht den Sportfilmen aus Hollywood, die nach mäßigen Kinoerfolgen sonntagnachmittags im Fernsehen laufen. Ein Landei, Henry Skrimshander, wird bei einem unwichtigen Baseballturnier vom Kapitän der gegnerischen Mannschaft, Mike Schwartz, entdeckt und der vermittelt ihm ein Stipendium an einem geisteswissenschaftlichen College. Unter Mikes Anleitung und hartem Training macht er dort innerhalb kurzer Zeit sein eigentlich miserables Team zum Titelanwärter. Henry selbst winkt ein Profivertrag, weil er drauf und dran ist, den Allzeitrekord für fehlerfreie Spiele zu brechen und damit sein großes Vorbild Aparicio Rodriguez zu überflügeln.
Aparcio Rodriguez steht mit seinem Rekord für die Perfektion, die es zu erreichen gilt. Er hat wie Henry die wichtigste Position im Baseball gespielt, den defensiven Shortstop, die wichtigsten Titel gewonnen und nach seiner aktiven Karriere ein Buch über das Spiel geschrieben, das für Henry zur Bibel wird: "Die Kunst des Feldspiels", eine Aphorismensammlung im Stile von Sunzis "Die Kunst des Krieges":
"26. Der Shortstop ist ein Ruhepol im Zentrum der Verteidigung. Er strahlt diese Ruhe aus, und seine Mitspieler reagieren darauf."
Der Absturz
Doch dann geht genau der Wurf, mit dem Henry Aparicio Rodriguez' Rekord einstellen sollte, daneben, mit schweren Folgen. Denn der Ball trifft ausgerechnet seinen Mitbewohner Owen, der unaufmerksam auf der Reservebank sitzt, und zerschmettert ihm sein Gesicht. Ab dieser frühen Stelle im Roman, nach etwa 80 Seiten, tritt der Sport in den Hintergrund. Von nun an dominieren die komplexen Figuren Chad Harbachs, die dem simplen Plot zuwider laufen.
Harbach bricht mit dem Image des Profisports, der starke, unfehlbare Personen verlangt, funktionierende Maschinen. Seine Figuren sind verletzlich. Henry verliert nach seinem Aussetzer das Gefühl für den Ball, die Fähigkeit zu werfen. Selbst das härteste Training führt ihn nicht wieder zurück auf den Erfolgskurs, sondern nur in eine Depression. Mike Schwartz schleppt sich mit einer Unzahl von Medikamenten durch die Saison und muss erkennen, dass er sein Leben bisher immer für andere zurückgestellt hat.
Das schwierige Coming Out
Owen, der durch zahlreiche Knochenbrüche im Gesicht die deutlichsten Spuren des Bruches in der Handlung trägt, hat schon vor dem Unfall eine besondere Stellung eingenommen. Sein Interesse an Baseball ist enden wollend. Er hat ein Hochbegabtenstipendium am College und vertieft sich lieber in ein Buch, als sich auf das Spiel zu konzentrieren. Und schon vor dem ersten Mannschaftstraining hat er sich vor seinen Kameraden als schwul geoutet und damit im homophoben Umfeld des Mannschaftssports eine erstaunliche Offenheit an den Tag gelegt.
Damit kann Guert Affenlight, der College-Präsident nicht dienen. Nach über fünfzig Jahren als heterosexueller Mann mit vielen Affären verliebt er sich im Krankenhaus in Owen, ausgerechntet zu einer Zeit, als seine Tochter nach gescheiterter Ehe wieder zu ihm zieht.
Konfliktsituationen
Auf 600 Seiten lässt Harbach seine fünf unterschiedlichen ProtagonistInnen aufeinanderprallen. Versteckspiele und Geheimniskrämerei erzeugen dabei einen Konflikt, der unausweichlich in einen Showdown mündet, bevor die Lyse einsetzen kann. Bis dahin hat Chad Harbach unzählige literarische Verweise verwebt, den perfekten Menschen dekonstruiert und auch mit allen Tabus im Profisport gebrochen: Homosexualität, Medikamentenmissbrauch, Depression.
An manchen Stellen werden diese Themen vielleicht zu rasch und simpel abgehandelt, doch insgesamt ist "Die Kunst des Feldspiels" dann doch zu vielschichtig und komplex, um zu einem Sonntag-Nachmittag-Sportfilm zu werden. Auf dem Bildschirm werden wir den Roman trotzdem erleben können, HBO hat sich bereits die Rechte für eine Serie gesichert.