Erstellt am: 25. 8. 2012 - 11:04 Uhr
Am heißesten Sonntag des Jahres
Christiane Rösinger
Rausfahren, schwimmen gehen, an den See, wäre eine nahe liegende Antwort, aber sonntags kann man ja leider solche Land- und Sommerpartien nicht machen. Man steht schon bei der Hinfahrt im Stau, vor den Freibädern in der Schlange, selbst die Seen 20km außerhalb von Berlin sind total überfüllt, und wenn man schon kein geregeltes Arbeitsleben und Wochenende hat, sollte man den kostbaren Platz draußen auch den von Montag bis Freitag Werktätigen überlassen. Am besten ist es so einen heißen Sonntag, geschwächt von der vorherigen Nacht, erst einmal ruhend anzugehen. Die Samstagnacht ist in Berlin zwar auch eine Problemnacht und die ungünstigste Ausgehnacht, weil alles so überfüllt und hysterisch ist, aber wenn man Besuch aus dem Ausland hat, darf man sich nicht so anstellen, man muss und will ja schließlich etwas bieten.
Christiane Rösinger
Wie Besucher nun mal so sind, wollen sie unbedingt ins Berghain, und alle krass-realistischen Schilderungen vom zwei- bis fünfstündigen Warten in der berühmten, mythischen, von manchen mit kathartischer Wirkung überfrachteten Schlange konnten die Briten nicht abschrecken. Als gute Gastgeberin brachte ich die Fünfergruppe um 2 Uhr nachts zum Schlangenende, sprach nochmal die dringende Empfehlung aus, zuerst woanders hinzugehen und dann um zehn oder zwölf Uhr mittags wieder herzukommen, wie es die Insider tun, um dann so ganz entspannt hinein zu laufen in die heiligen Berghain-Hallen, aber es half nichts. Aus Solidarität stand ich etwa anderthalb Stunden mit ihnen dort, wir hatten uns ja viel zu erzählen und auch für Getränke war gesorgt, denn findige Ein-Mann-Unternehmer hatten entlang der endlosen Reihe ihre mobilen Getränkestände aufgebaut.
Christiane Rösinger
Um halb vier verließ ich das Häuflein und legte mich zur Ruhe, wollte lange schlafen, wurde dann aber schon mittags von lauten, irgendwie bedrohlichen Geräuschen geweckt. Mehrere Hubschrauber kreisten über meinem Balkon, eigentlich über dem ganzen hinteren Ende von Kreuzberg. Ich wunderte mich sehr, denn außer am 1. Mai kommt es hier selten zu Hubschrauberaufläufen, dann fiel es mir wieder ein.
Die rechtspopulistische Partei "Pro Deutschland" hatte ja einen Marsch durch Berlin angekündigt, wollte vor drei Moscheen Mohammed-Karikaturen zeigen und linke Wohnprojekte besuchen. Und so waren ja schon am Samstag etwa 50 Pro-Deutschland-Leute durch Berlin gezogen, begleitet von 200 Gegendemonstranten. Um das Demonstrationsrecht der Rechten zu gewährleisten, waren an beiden Tagen 1.800 Polizisten im Einsatz, darunter Einheiten aus anderen Bundesländern und der Bundespolizei. Unterstützt wurden sie von Hubschraubern, deren Besatzung nach Wurfgeschossen auf den Dächern Ausschau hielt.
Aber alles blieb friedlich, später konnte man lesen die Gegendemonstranten hatten nur mit "Nazi"- und "Haut ab"-Rufen dagegen gehalten, auch der relativ neue Slogan "Deutschland ist Scheiße - ihr seid die Beweise" wurde ausgiebig skandiert.
Am Nachmittag kamen dann der Besuch aus dem Berghain angemessen verstrahlt und sichtlich derangiert nach Hause. Sie sahen schlimm aus, klagten über Vergiftungen und Hörstürze und wollten nur noch liegen. Ich führte sie zum Ruhelager, reichte Wasser, zog die Vorhänge zu und verließ die Wohnung.
Christiane Rösinger
Draußen war es unerträglich heiß, ich schlug den Weg zum nahe gelegenen Mariannenplatz ein. Auf dessen Rückseite, unter den großen schattigen Bäumen im Hof eines Cafés ließ es sich vielleicht aushalten. Auf dem Weg durch die kühle Bethanien-Eingangshalle fiel mir ein Plakat auf. Es wies auf die Performance "The reason why I became a hamster" im Kunstraum Kreuzberg, im gleichen Gebäude hin. Die japanische Künstlerin Kojima hatte eine Installation geschaffen, für die ein Teil des Ausstellungsraums abgetrennt und verglast wurde. Gekleidet in ein Hamsterfellkostüm will die Künstlerin die nächsten Wochen dort fünf Stunden täglich als Hamster agieren. Eine interessante Ausstellungsidee, befand ich, war aber zu schwach, um in der Hitze des heißesten Sonntag des Jahres der Hamsterperformance beizuwohnen.
Beim Frappé und Blättern in einem Stadtmagazin sah ich dann, dass zur ungewöhnlichen Zeit um 18.30 Uhr der historische Film "So war das SO36" in einem kleinen Kino am Prenzlauer Berg gezeigt wurde. Es hatte immer noch 36 Grad, aber die Aussicht, im Dunkeln zu sitzen und die Geschichte des alten Punkschuppen zu sehen, war irgendwie angenehm. Das kleine Kino war mit 35 Sitzen restlos ausverkauft, der Film führte zurück ins Jahr 1984 mit vielen Punkbands, einem der ersten Auftritte der Einstürzenden Neubauten und den sehr sehr jungen Ärzten, die damals noch Soilent Grün hießen.
Zu Hause angekommen wurde es endlich ein wenig kühler und dämmrig, der Besuch war gerade aufgewacht und taumelte durch die Wohnung und der heißeste Sonntag des Jahres ging langsam dem Ende zu.