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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

23. 8. 2012 - 14:11

Den Feminismus "ausradieren"?

Dringende Klarstellung zu einer auf diestandard.at erschienenen Umdeutung meines Blogs zum Thema Pussy Riot.

Als ich heute früh aufwachte, sah ich einen Tweet auf meinem Telefon, der mich auf einen gestern auf diestandard.at erschienen Artikel hinwies: Eine Analyse von Beate Hausbichler namens Protest, in sexy und ohne Feminismus, die offenbar irgendwas mit mir zu tun zu haben schien.

Beim Durchlesen hab ich dann nicht schlecht gestaunt. Da wird die massenmediale Fehlinterpretation des Phänomens Pussy Riot zuerst anhand einer Kolumne von Georg Diez auf spiegel.de abgehandelt, bevor mein eigener Blog auf der FM4-Website an die Reihe kommt.

Und zwar auf eine völlig verdrehte Weise, die ich beim besten Willen nicht als meine Aussage wiedererkennen konnte.

„Auch diese Sache mit dem Feminismus möchte man am liebsten ausradieren“, steht da, mit Verweis auf meinen Text unter Erwähnung eines darin von mir zitierten Tweets von Mary Epworth, dass Pussy Riot ihrer Meinung nach nicht „einzig ein feministisches Thema“ seien.

Gefolgt wird dieses Zitat in meinem Originaltext von einer Klarstellung:
„Einerseits liegt im Kern des inkriminierten, von Pussy Riot in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale gesungenen Songs 'Jungfrau Maria, Jag Putin fort' eine ganz konkrete feministische Stellungnahme: 'Mutter Gottes, werde zur Feministin', heißt es da.“

Im Kern. Ganz konkret. Feministisch.

Stimmt schon, da steht ein relativierendes „einerseits“ voran: Nämlich weil mein Text dann weiter auf Pussy Riots ästhetischen Bezug zur Riot Grrrl-Bewegung eingeht - samt historischer Herleitung vom Punk und auf der Tradition des Rock'n'Roll als Vehikel des RebellInnentums.

Ganz offensichtlich sind Pussy Riot ein feministisches Künstlerinnenkollektiv – ein Hintergrund, der ganz sicher nicht im Widerspruch, sondern in logischem Zusammenhang mit ihrem popkulturell sattelfesten, nicht zufällig gewählten Auftreten als Rockband im Stil der Riot Grrrl-Bewegung steht.

Pussy Riot

CC-BY-SA-3.0 / Igor Mukhin / Wikipedia

Mein Punkt war nun, dass Pussy Riot über die popgeschichtlichen Zusammenhänge dieser bewusst zitierten Ästhetik hinausgehen, indem sie ein "komplettes revolutionäres Umsturzmanifest" präsentieren.

Hausbichler zitiert diese These und konstruiert daraus flugs eine Schmälerung von Pussy Riots Feminismus:

“Denn Feminismus versteht Rotifer eher als einen 'individualistischen Befreiungsgestus'“

Das ist leider nichts anderes als ein mutwilliges Falschzitat.

In meinem Text steht:

“Mit all dem, was sie tun und sagen, verkörpern Pussy Riot nämlich – und so gesehen hat Mary Epworth völlig recht – ein komplettes revolutionäres Umsturzmanifest, also weit mehr als der individualistische Befreiungsgestus der Rock-Kultur, die situationistische Irritation des Punk oder die feministische Selbstermächtigung von Riot Grrrl je zu verlangen wagten.“

Hausbichler genügt es nicht, den von mir der Rock-Kultur zugeschriebenen „individualistischen Befreiungsgestus“ völlig irreführend als meine Einschätzung des Feminismus auszugeben.

Sie fälscht in ihrem nächsten Absatz auch noch (unter Anführungszeichen, als wärs ein Zitat) meine Charakterisierung von Riot Grrrl als „feministische Selbstermächtigung“ in die herablassende Formulierung „feministische Selbstverwirklichung“ um.

Zur Erklärung: Selbstermächtigung, also „self-empowerment“, war und ist die zentrale Strategie von Riot Grrrl. Und ist als solches selbstverständlich auch eine der zentralen Strategien von Pussy Riot.

Aber, und das geht aus meinem Text klar hervor:

Die Riot-Grrrl-Bewegung der Frühneunziger verfolgte nie ein derart konkretes Modell zum Umsturz des gesellschaftlichen Systems, wie die drei verurteilten Mitglieder von Pussy Riot es in den Schluss-Statements ihrer Gerichtsverhandlung formulierten.

Das hervorzuheben bedeutet natürlich keineswegs einen Versuch, den Feminismus von Pussy Riot „auszuradieren“, diese Deutung ist schlicht absurd.

Zur Präzisierung meiner von Mary Epworths verknapptem Tweet inspirierten These eignet sich nichts besser als Nadya Tolokonnikovas am 16. August veröffentlichter Brief aus dem Gefängnis (hier in der von mir übersetzend zitierten englischen Fassung):

„Die Feministinnen der zweiten Welle sagten: Das Persönliche ist politisch. So ist es. Der Fall Pussy Riot hat gezeigt, wie die individuellen Probleme von drei Menschen, die des Hooliganismus angeklagt sind, einer politischen Bewegung Leben spenden können. Ein einziger Fall von Repression und Verfolgung gegen jene, die die den Mut hatten, in einem autoritären Land die Stimme zu erheben, hat die Welt aufgerüttelt: Ihre AktivistInnen, Punks, Popstars und Regierungsmitglieder, ihre KomikerInnen und ÖkologInnen, ihre Feministinnen und ihre Maskulinisten, ihre islamischen TheologInnen und die ChristInnen, die für Pussy Riot beten. Das Persönliche ist politisch geworden, der Fall Pussy Riot hat Kräfte so verschiedener Richtungen vereint, dass es mir immer noch schwerfällt zu glauben, das sei kein Traum. Das Unmögliche passiert in der zeitgenössischen russischen Politik: ein fordernder, beharrlicher, mächtiger und konsequenter Druck der Gesellschaft auf ihre Regierung.“