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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

22. 8. 2012 - 18:27

Neue Nazis

Autonome Nationale sind die neue Speerspitze der Nazis und bergen ein großes Terrorpotential in sich, schreiben Toralf Staud und Johannes Radke in ihrem Buch "Neue Nazis".

Es ist nicht einmal ein Jahr her, dass die Mordserie der rechtsextremen NSU die deutsche Öffentlichkeit erschüttert hat. Noch ist nicht einmal restlos geklärt wie und durch wessen Unterstützung die Terrorgruppe so lange unerkannt morden konnte und trotzdem verstehen Toralf Staud und Johannes Radke die NSU bereits als Überbleibsel aus der Vergangenheit, aus einer Zeit, in der Neonazis noch Springerstiefel und Bomberjacken trugen.

"Vergessen Sie die Springerstiefel, bitte!"

Buchcover "Neue Nazis"
schwarzer Kapuzenpulli

Kiwi

"Neue Nazis" von Toralf Staud und Johannes Radke ist bei KiWi erschienen.

Mit diesen Worten beginnen Radke und Staud ihr Buch "Neue Nazis", eine Analyse der extremen Rechten. Die beiden Journalisten beobachten seit Jahren die rechte Szene in Deutschland (unter anderem für Die Zeit) und haben das Onlineportal Netz gegen Nazis aufgebaut. Sie sagen, dass sich in den letzten Jahren die rechte Szene gewandelt habe. Einerseits habe sie sich radikalisiert, andererseits sei sie durch rechtspopulistische (Bürger-)Initiativen bürgerlicher geworden. Zwischen diesen beiden Polen drohe sogar die NPD zu zerreißen.

Das Ende der NPD ist nur spekulativ, die Bilderbuch-Skinheads hingegen seien wirklich am Ende. Sie wurden von einer neuen Erscheinungsform der Neo-Nazis verdrängt, den "Autonomen Nationalisten" (AN), die im Zentrum von Radke und Stauds Analyse stehen. Die AN sind mittlerweile die stärkste Gruppierung unter Jungnazis und die neue Speerspitze der Bewegung, extrem provokant und gewaltbereit. Sie haben mit den Dogmen der Skinheads im Bereich von Kleidung und Musik gebrochen und unter anderem Symbolik und Ästhetik ihrer politischen Gegner übernommen. Sie tragen schwarze Kapuzenpullis, Sonnenbrillen und Schildkappen, gerne auch mal weite Hosen oder Sneakers und hören auch, was ihnen Spaß macht, selbst US-Hip-Hop oder die betont antifaschistische Band Die Ärzte.

"Autonome Nationalisten" bei NPD-Demo in Nordhausen

- public domain - / Bilderspender

Patchworkidentität

"Anything goes" - Neonazis, die wie Linke aussehen, Döner essen und am Wochenende zu einem Aufmarsch gehen, Widersprüche in ihren Identitäts-Konstruktionen werden beiseite gewischt. AN leben eine Patchwork-Identität, in der sie alles machen können, solange sie in ihrem Inneren Nazis sind. Denn nur der Dresscode wurde aufgeweicht, nicht die Ideologie dahinter. Die AN bekennen sich offensiv zur NS-Ideologie und sehen sich als Nachfolger von Hitlers SA-Schlägertrupps. Bei Aufmärschen bilden sie einen "NS-Black-Block" und attackieren Polizisten, Journalisten und Gegendemonstranten. Videos davon werden auf Youtube hochgeladen, wo sie ungestört angeklickt werden können.

Das Draufgängertum und die Action, die bei den AN geboten wird, macht sie für junge Menschen attraktiv und so wundert es nicht, dass Staud/Radke ausführen, dass der Stil der AN 2002/2003 am Reißbrett entworfen worden ist. In gehackten Internet Foren kann man nachlesen, wie Dortmunder und Berliner Neonazi-Kameradschaften darüber diskutieren, wie sie für junge Leute attraktiver werden könnten. Schwarze Kapuzenpullis und englische Slogans waren ihre Antwort, die scheinbar funktioniert hat. Der deutsche Verfassungsschutz schätzt die Zahl der AN mittlerweile auf über 1.000 in ganz Deutschland und das Modell wurde auch nach Österreich und in die Schweiz, vor allem aber nach Osteuropa exportiert.

Westen vs. Osten

In Deutschland sind die AN ein Phänomen, das hauptsächlich in den urbanen Räumen im ehemaligen Westdeutschland anzutreffen ist, laut Staud/Radke als Reaktion auf die dortige politische Situation - polizeiliche Repression und eine funktionierende Zivilgesellschaft. AN tauchen in ihrem unauffälligem Erscheinungsbild oft unter dem Rechtsextremismus-Radar durch. Sie sind nur schwer als Nazis zu erkennen und müssten sich so nicht ständig für ihre Gesinnung rechtfertigen.

Im Osten Deutschlands ist die Situation anders. Nach dem Mauerfall waren dort die Sicherheitsorgane völlig überfordert mit dem Entstehen des Rechtsextremismus und auch die Zivilgesellschaft hatte den Neonazis nichts entgegenzusetzen. In solchen Strukturen konnte der Nazi-Terror der NSU gedeihen und in ihnen liege auch der Wahlerfolg der NPD im ruralen Osten begründet, die dort teilweise schon als "normale Partei" wahrgenommen wird.

Neue Terrorgefahr von rechts?

Staud/Radke decken in "Neue Nazis" eine große Spannweite ab und geben einen Überblick über den deutschen Rechtsextremismus seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie beleuchten die Entstehung der NPD und der Republikaner, die Situation in der DDR, die Wendejahre, die so entscheidend für die NSU und den bisherigen Rechtsterrorismus waren, behalten gleichzeitig die Neuausrichtung der NPD und deren Bedrohung durch die rechtspopulitischen PRO-Bewegungen im Auge und kritisieren die Arbeit des Verfassungsschutzes. Besonders ihre Analysen sind beeindruckend.

Am Ende stellen sie noch einmal heraus, dass der rechtsextreme Terror noch immer vernachlässigt wird und die neue Gefahr von den AN ausgeht. Ihre Mitglieder wären jung, skrupellos und hätten nicht viel zu verlieren, weshalb man sie im Auge behalten müsse. Diese Aufforderung gilt nicht nur für die Polizei, sondern vor allem für die Zivilgesellschaft. Im Interview meint Johannes Radke:

"Zu denken, dass man allein mit Repression die Nazi-Szene klein kriegt, ist wirklich zu kurz gedacht. Was ganz wichtig ist, ist eine aufmerksame Zivilgesellschaft, die sich kontinuierlich den Nazis entgegenstellt. Und das heißt auch, dass man eine nicht-rechte Jugendkultur ganz klar unterstützt, weil nur das hilft, dass junge Leute nicht abrutschen in die Nazi-Kultur."

Die "junge Rechte"

Hier gibt es die heutige FM4 Spezialstunde zum Thema zum Anhören:

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