Erstellt am: 18. 8. 2012 - 18:36 Uhr
Sleep when I'm dead
Das FM4 Frequency Festival 2012
Cloud Nothings
Es fängt gut an. Die Cloud Nothings aus Cleveland kamen früher aus einer Ecke, in der Funpunk, Powerpop und Lo-Fi-Geschrammel fröhliche Urständ gefeiert haben. Bereits auf ihrem zweiten, im Februar dieses Jahres erschienenen Album „Attack On Memory“ haben sie ihren Gitarren aber dunklere Seiten aufgezogen und die Fühler - auf Platte nicht minder ausgiebig als live und in echt - in Richtung Noise und Post-Hardcore ausgestreckt.
Ohrwürmer wie „Stay Useless“ oder „Fall In“ stehen noch immer auf dem Programm, werden aber auch heute in lange Instrumentals, allerlei Gerausche und, vielleicht, Improvisationen eingebettet. Sogar das Gitarrestimmen und Effekteinstellen zwischen den Songs lassen die Cloud Nothings zu rauschigen Soundwänden anwachsen, bevor die altbekannten Harmonien wieder durchbrechen (Wolkenwitz hier dazudenken). Die laut Eigenaussage von Sänger, Mastermind und eigentlich alleinigem Cloud Nothing Dylan Baldi früher mitunter von den US-Nervensägen Blink 182 entlehnten Akkordfolgen verschwinden zuerst durch den wackeligen Indie-Fleischwolf, bevor die Band sie dehnt, streckt, verwischt oder vom Schlagzeug niederknüppeln lässt. Gegen Ende erhebt sich noch eine zehnminütige, melodische Metalorgie, ein endloser Sog, ein herrlicher Abschluss.
The Jezabels
Zu größerer Bekanntheit sind die Jezabels aus Australien gekommen, als ihr Song „Easy to love“ in einer Folge von Grey's Anatomy gefeatured wurde. Ohne das wertend zu meinen, darf man das getrost als treffende Charakterisierung ihres dramatisch aufgeladenen Pop-Sounds hernehmen. Randomly ausgedachtes Setting: Dr. Grey und McDreamy überleben einen Busunfall und retten sämtliche weiteren Insassen durch vor Ort durchgeführte Notoperationen, wobei leider herauskommt, dass McDreamy früher heimlich mit einer der Geborgenen verheiratet war. Während Grey daraufhin traurig durch das verregnete Seattle spaziert, erhebt sich ein Trommeln über die Szene, das Piano setzt ein, wird lauter und lauter, die Gitarren gesellen sich dazu und verheißen einen neuen Tag. Plötzlich glitzert die Sonne zwischen den Häuserfronten hindurch und Jezabel-Sängerin Hayley Mary erhebt ihre Stimme: „Get your groove on, girl“. Meredith erkennt den Sinn ihres Lebens und lächelt, Ende. So eine Musik ist das.
Blood Red Shoes
„It´s been four years since we played at this Festival“, ruft Laura-Mary Carter ins Mikrophon, „we´ve made three albums since then!“ Das britische Boy-/Girl-Duo Blood Red Shoes hat sich auf den vielen Lorbeeren, die sie für ihr Debütalbum „Box of Secrets“ bekommen haben, nicht lange ausgeruht. Mit ihrem rohen, sehr eingängigen Power-Punk-/Indie-Rock, den man angeblich nicht mehr Indie nennen soll, weil sie mittlerweile bei einem Major-Label untergebracht sind, sind die beiden in Österreich, ob auf Festivals, für Einzelshows oder am FM4 Geburtstagsfest, gern gesehene Gäste, und auch heute beweisen sie, dass gar keine großen Posen nötig sind, wenn, ganz rudimentär gesagt, die Musik passt. Eine Melodie, ein Schlagzeug, eine Stimme, mehr brauchen Songs wie „It´s getting boring by the sea“ oder „Don´t ask“ nicht, um zum Hit zu werden.
Glasvegas
Es übernimmt inzwischen Susi Ondrusova:
Ein Freund schreibt mir, ich soll mich nicht ärgern, dass Glasvegas keine Interviews geben, ich würde nichts versäumen. Sänger James Allan habe mal in einem Interview gemeint, er möchte vor sein Haus eine Skultpur aufbauen und zwar "a six foot glass angel with a broken heart in one hand and a machete in the other". WTF?! ist sein Kommentar. Aber ich dann so drauf: Da kann man doch schon bitte einen guten Gesprächsfaden daraus spinnen, und während ich vergrämt und der Interviewerfahrung beraubt vor die Bühne wandere, habe ich ein DejaVu an ein FM4 Frequency Festival vor ein paar Jahren: eine schwarz gekleidete, Sonnenbebrillte wortkarge Band, die über eine Sozialarbeiterin namens Geraldine singt.
James Allan stellt das gebrochene Herz in seiner ausgestreckten Hand auch im Song "It´s My Own Cheating Heart That Makes Me Cry" aus. Eine sehr gute Nummer.
Es ist ein wenig ruhig geworden um Glasvegas nach dem Erscheinen ihres rohen, lautem, verzerrtem Debütalbums. Die Band habe sich dann dem Erfolg des Debüts in eine weiße Phase begeben, ist nach Kalifornien gezogen und hat dort fast ein halbes Jahr an überambitionierten Songs gearbeitet, die schließlich auf "Euphoric Heartbreak" veröffentlicht wurden. Aus der schwarzen Seele wurde eine weiße Fläche. Ein Rauschen, ein Zischen, aber nicht mehr.
Auch wenn sie auf Albumlänge nicht an die schönen Momente vom Debüt rankommen, live kommen Glasvegas ganz schön wuchtig daher. Auch wenn sie am traditionellen "Nickerchen"-Slot gebucht wurden.
Hot Chip: Night & Day
Inmitten all der Gitarren und des Rock´n´Rolls, der hier auf der Space Stage seit vier Tagen, wenn auch als dehnbarer Begriff in unterschiedlichsten Ausdeutungen, stattfindet, hat sich eine Band geschlichen, die Hot Chip heißt, eine Armee an Synthesizern auf die Bühne stellt, mit ein paar Jahrzehnten Dancemusic-Geschichte herumjongliert und es schafft, auch Menschen im Beatsteaks-Tshirt mitzunehmen. Fair enough, denn sie sind, das sind ja beispielsweise die Subways auch, eine Partyband, und vor allen Dingen sind sie uneingeschränkt wunderbar.
Eine Cow Bell (eine echte, also so) haben sie auch dabei, dazu eine neue Drummerin (neues Role-Model/Silvestervorsatz: Drummerin von Hot Chip werden), außerdem ein Tamburin in der Hand von Joe Goddard und mit der Steeldrum jenes Instrument, das jeden Song, das darf man schon einmal so behaupten, irgendwie besser macht. Eine Steeldrum sollte immer mit an Board sein. Diese Engländer sind mitverantwortlich für Hornbrillen, Stoffhosen und Jeanshemden (Sänger Alexis Taylor trägt heute nur die abgespeckte Jeanshemd-Version, es ist ein Latzerl). Neue Songs wie „Flutes“ reihen sich nahtlos ein zwischen – Achtung, Retrowort – Evergreens wie „Over and Over“, die Zwei- oder Dreistimmigkeit (drei Melodien! Gute!) kommt live noch besser zur Geltung als auf Platte, die Sonne geht hinter der Bühne unter. Night and Day.
Bloc Party
Eine Band, die ab und an auch mit elektronischen Ästhetiken spielt, auch mal ein House-Piano bemüht („One more chance“), vor allem aber im großen, echten Pop zuhause ist, ist Bloc Party, der erste Headliner der heutigen Nacht. Neben den catchy Melodien, voll von starkem Wiedererkennungspotential, nicht unähnlich auch untereinander, profitieren Bloc Party vor allem, das ist klar, von Stimme, Präsenz und Charisma ihres Sängers Kele Okereke. 2009 angesichts des künstlerischen hiatus die kurze Befürchtung, das sei es jetzt gewesen mit dem Vierergespann, dazwischen ein Kele-Soloalbum, okay, dann eine Single mit Tiesto, 2012 dann die Arbeit an neuen Bloc Party-Stücken. Heute geht es aber vor allem um die Hits, der volle Platz vor der Space Stage weiß das zu schätzen, dazwischen gibt es sogar eine kleine Coverversion des überschätzten Rihanna-Stücks „We found love“, und dann „have fun with the Sportfriends Killer!“ Genau!
Sportfreunde Stiller
Wie geht’s euch eigentlich, Sportfreunde Stiller? Was die drei Bayern in den letzten Jahren so gemacht haben, weiß man vielleicht nicht auf Anhieb. Irgendwann war „Ein Kompliment“ in einer Unplugged-Version auf einmal wieder in den Charts, dann gab es noch eine Coverversion von Udo Jürgens' so genanntem Kult-Song "Ich war noch niemals in New York", ansonsten haben sich Florian Weber, Rüdiger Linhof und Peter Brugger diversen Nebenprojekten gewidmet. Das Strahlen im Gesicht ist ihnen aber geblieben. Wenn einen also mitten in der Nacht jemand aufweckt, an der Schulter beutelt und fragt: Wer ist die sympathischste deutsche Band?, dann kann man problemlos antworten, es sind die Sportfreunde Stiller.
Sänger Peter ist bereits seit Mittwoch hier in Sankt Pölten, wohnt am Campingplatz und hat sich das ganze Frequency Festival aus der Besucherperspektive angesehen. Neben professionellem Austausch mit dem Publikum – Fußballchöre, Zeichensprache, Plaudern übers Gewicht – weiß er, wenn bei den ersten Takten von „Ein Kompliment“ vierzigtausend Händepaare in die Höhe schnellen, auch ganz genau, dass er einzelne Worte nicht einmal anders zu betonen braucht, so sehr hat sich seine Art, „Chill Out AErea“ oder „Süüüßwarenabteilung im Supermarkt“ ins deutschsprachige Bewusstsein gebrannt. Wieviel Zeit muss noch verstreichen, bis wir uns die Hände reichen? Die bessere Zeit könnte ja kurz auch mal das Hier und Jetzt sein.
The Cure
Die Band The Cure hat Fans, die seit dem ersten Set heute, den Cloud Nothings vor vielen, vielen Stunden, nicht aus der ersten Reihe weggegangen sind. Mit Gepäcktragen beim Reingehen (einer läuft vor, die anderen lassen sich hinten kontrollieren) und Klogehen hat man sich abgewechselt (ab 16 Uhr wird nichts mehr getrunken), Sonne, Staub und Teeniegehopse hat man getrotzt und auf diesen Moment gewartet, genau auf 22:45 Uhr, bis die ersten Takte von „Open“ erklingen. Man hat The Cure vielleicht nicht wie sie auf jedem Konzert dieser Tour gesehen, aber wenn man ein, zwei Vergleiche anstellen kann, etwa zu Roskilde Mitte Juli oder Benicássim vor ein paar Jahren, zufällig, dann kann man schon abschätzen, was hier heute passiert. Die Rezeption eines Konzerts und das allgemeine Feeling hängen, natürlicherweise, mit dem Auge, der Position im Publikum und dem Allgemeinzustand des Betrachters zusammen, aber halbwegs unparteiisch, ähem, kann man den heutigen Abend als einen sehr, sehr guten Cure-Gig bezeichnen. Robert Smith, Lidstrich, Haare, Lippenfarbe wie gehabt - aber wen kümmert das schon? - ist gut drauf und wiegt sogar die Hüfte, manchmal. Er hat ein Liebeslied für seine Frau geschrieben und es "Lovesong" genannt, und "Just like heaven" gibt es ja auch noch als ewigen Song für all die Paare auf dem großen Platz. Aber ach, wieviele Zwischentöne und schöne Worte, wenn Rauch über den Platz geblasen und die Gitarre mit Hall belegt wird, und sich das "again and again and again and again" am Ende von A Forest für immer hinzuziehen scheint. Es sind Momente, die jeder begreifen kann, auch wenn er oder sie nicht mit der Musik von The Cure aufgewachsen ist. Sleep when I´m dead.