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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

21. 8. 2012 - 10:31

Raserei und Entschleunigung

Neu im Kino: Das Actioninferno "The Raid" und der Mysterythriller "Red Lights".

"Ein sauberer, harter, konstanter Adrenalinschock", schreibt das britische "Empire"-Magazin. "Wenn das nicht der beste Actionfilm des Jahres ist, fressen wir einen Besen." - "Wie bespricht man einen Actionfilm, der all jene Versprechen erfüllt, die sämtliche Actionfilme der letzten fünf bis zehn Jahre nicht einlösen konnte?" überschlägt sich das einschlägige Blog AinItCoolNews.

In der Pressevorführung des Films, der diese und unzählige andere Jubelhymnen evoziert, blicke ich im Dunkeln auf meinen "House of Pain" Kollegen Dr. Nachtstrom. Immer öfter hat der eine Hand vor dem Mund, um ein breites Gähnen zu kaschieren. Meiner Wenigkeit geht es nicht anders. "The Raid: Redemption", der meistgehypte, angeblich härteste und hysterischste Streifen seit der Erfindung des Actionkinos, zieht uns leider alles andere als in seinen Bann.

The Raid

Koch Media

Dabei war die Vorfreude diesmal gewaltig. Dass es ein walisischer Regienewcomer namens Gareth Evans mit einem in Indonesien gedrehten Low-Budget-Film den großen Hollywood-Playern zeigt, das hörte sich fantastisch an. Wo Mainstream-Blockbuster mit aufgeblasenen Materialschlachten zu punkten versuchen, setzt "The Raid" auf irrwitzig choreografierte Martial-Arts-Choreografien, auf virtuose Stuntsequenzen, die einem den Atem nehmen. Verkündeten zumindest die Vorabschwärmereien.

Tatsächlich knacken unentwegt die Knochen in den 100 Minuten Laufzeit, endlose Kampfschreie hallen durch den Kinosaal. Sobald die Helden des Films, ein Sonderkommando der Polizei, in einen fünfzehnstöckigen Apartmentblock eindringen, in dem sich ein Drogenbaron verschschanzt hat, schlagen auch Kugeln im Sekundentakt in zuckende Körper ein. Blut spritzt in oft digital generierten Fontänen über die Leinwand.

The Raid

Koch Media

Visueller Non-Stop-Amoklauf

"The Raid" – und das passt auch zu den Protagonisten des extrem abgemagerten Storygerüsts – nimmt wirklich keine Gefangenen. Aber wie alle popkulturellen Versuche, die Sinne mit einem Dauerfeuer zu bombardieren, von bestimmten rastlos geschnittenen Musikvideos bis zu Hardcore-Techno oder Metalcore-Geknüppel wohnt die Reizüberflutung in unmittelbarer Nachbarschaft der Fadesse.

Zumindest bei abgeklärten Actionfilmveteranen wie Doc Nachtstrom und mir provoziert das pausenlose Rasen, Ballern und Auszucken das Gegenteil von Anspannung. Bleierne Müdigkeit, durch die morgendliche Vorführung zugegeben verstärkt, breitet sich in unseren Reihen aus.

The Raid

Koch Media

Als wir, wieder im gleißenden Tageslicht angelangt, die kapitale Enttäuschung zu verarbeiten versuchen, ist schnell klar, was uns Old-School-Tschinn-Bumm-Freunden so schmerzlich fehlt. Entweder die überlebensgroße, romantisch übersteigerte Emotion, die Klassiker von Bruce Lee bis John Woo ("The Killer") auszeichnet. Oder halt die lässig aus dem Handgelenk geschüttelten Oneliner eines Bruce Willis, Arnie oder Dolph Lundgren.

Stattdessen blitzt im visuellen Nonstop-Amoklauf nur jenes ausgesucht plakative und wortkarge Anti-Schauspiel auf, mit dem zwanzigtausend Billig-Kungfu-Streifen oder auch die thailändische Knochenbrecher-Saga "Ong Bak" quälen. Da gibt es keinen Hauch von brauchbaren Identifikationsfiguren, nur kinetische Sensationen und Egoshooter-Energie.

Weil sich die Meinungen bei "The Raid" aber dermaßen spalten, lassen wir kurz den geschätzten deutschen Euphoriker Sebastian Selig zu Wort kommen, der hier in infernalischen Plauderrunden immer wieder partizipiert. "Mein Plan für die kommenden Wochen", schwärmt er, "wenn möglich, jeden Tag einmal ‚The Raid’ im Kino sehen. Weil eine derartig intensive Großbildleinwanderfahrung bekommt man wohl in den kommenden zehn Jahren so schnell nicht wieder geboten." Macht euch am besten selber ein Bild.

Red Lights

Thimfilm

Akademiker gegen Scharlatane

Ein Film, der entschieden weniger Erschütterungen im Internet hervorgerufen hat als der indonesische Actionkracher, ist Rodrigo Cortés neuer Thriller "Red Lights". Mit seinem klaustrophoben Vorgängerstreifen "Buried" hat der junge spanische Regisseur noch für breites Aufsehen gesorgt. Spielte doch der billig hergestellte Schocker zur Gänze in einem Sarg, in dem Ryan Reynolds ums Überleben kämpft.

Als aufwändige, an der Oberfläche konventionelle Hollywoodproduktion präsentiert sich nun das neue Werk des Gänsehaut-Spezialisten Cortés. Dabei zieht der bewusst gemächlich inszenierte Film über weite Strecken entschieden mehr in den Bann als das schnell nervige One-Trick-Pony "Buried".

Das liegt am Thema von "Red Lights", dem sich der vermeintliche Mystery-Thriller erheblich ernsthafter nähert, als sämtliche vergleichbaren Filme der letzten Jahre. Die Rede ist von dem vielfältigen Esoterik-Boom, der immer mehr den Mainstream erobert. Ich wage zu behaupten: Auch in zigtausenden österreichischen Haushalten wird zwar nach Außen noch brav die Kirchensteuer einbezahlt, in Wirklichkeit regieren aber übersinnlich angehauchte Lehren als neue Religion.

Red Lights

Thimfilm

Unermüdlich versuchen im Gegenzug Vernunftanhänger jenen zwielichtigen Gauklern das Handwerk zu legen, die den spirituellen Hunger der Massen ausnutzen. Es sind Typen wie die Science Busters hierzulande, die Skeptikerbewegung in Deutschland oder Dr. Margret Matheson (Sigourney Weaver) und ihr Assistent Tom (Cillian Murphy), die in "Red Lights" hartnäckig gegen paranormale Scharlatane antreten.

Bei dem berühmten Hellseher Simon Silver (Robert de Niro) stoßen die Akademiker aber an ihre Grenzen. Das blinde Medium feiert nach dreißig Jahren ein fulminantes Bühnencomeback. Während Margret zurückscheut, versucht Tom mit allen Mitteln den faulen Zauber zu entlarven. Aber der mysteriöse Mr. Silver holt zum Gegenangriff aus.

Red Lights

Thimfilm

Sinistres Schauspielerkino

Auf den ersten Blick wirkt "Red Lights" wie ein Thriller aus den siebziger Jahren – und das ist als Kompliment gemeint. In klaren, eleganten Bildern und an der Oberfläche frei von plakativen Effekten breitet sich eine bedrohliche Geschichte aus. Der hypnotische Sog des Films entsteht durch die sichtbare minutiöse Recherche von Regisseur Cortés, der sich jahrelang in der Szene der Wahrsager und Wunderheiler bewegte.

Wo andere Streifen den wissenschaftlichen Kontext völlig ignorieren, bemüht sich der Spanier um Glaubwürdigkeit und zeichnet seine Hauptfiguren als Forscher abseits üblicher Stereotypen. Gegen Ende opfert Rodrigo Cortés die Kritik am parapsychologischen Hokuspokus aber immer mehr dem Drang zur schlichten Suspenseerzeugung.

Red Lights

Thimfilm

Die Auseinandersetzung mit den paranormalen Phänomenen, das faszinierende Gefecht zwischen Wissenschaft und Wahnwitz, all das mutiert zu einem schlichten Stück Genrekino. Langsam sollte man jungen Autoren in Drehbuchworkshops auch einhämmern, dass bemüht clevere Twists am Ende eines Films endlich ad acta gelegt gehören.

Sinistres Schauspielerkino, mit einem erneut faszinierenden Cillian Murphy, der strengen Sigourney Weaver und dem endlich wieder mal halbwegs eindringlichen Robert de Niro bleibt dennoch zurück.