Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Immer bunt"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

18. 8. 2012 - 01:37

Immer bunt

Es sprudelt so schön beim FM4 Frequency: Mit den Fixers, Alt-J, Patrice, Mia.

Während auf der Green Stage die Band Enter Shikari eine wirklich schon bizarre Mischung aus Baller-Elektronik und Emo-Core ins Gelände schießt, kann anderswo Spannenderes erlebt werden.

Fixers - Hinter der Welle

In der kleinen Weekender Stage hat sich derweil nämlich ein, doch, doch Geheimtipp versteckt: Die Fixers aus Oxford. Das Quintett, das vor kurzem erst sein schönes Debüt-Album „We’ll Be The Moon“ veröffentlicht hat, bastelt Post-Chillwave-haftes Blubbern und überlagert unmiefigen, knackigen Indie-Rock mit elektronischem Breitwand-Summen der wohligen Sorte, das einen immer gleich einen in Pfirsich gepinselten Horizont sehen lässt. Das Animal Collective in weniger experimentellen Phasen, Brian Wilson und seine Beach Boys, wieder einmal, hinübergerettet in den synthetischen Kaugummi-Pop unserer toll bunten Internet-Welt, wo alles Kaleidoskop ist, schwindelig macht und Seifenblasen ins Herz schickt.

Alt-J – Trendspotting

Einen weniger subtilen Albumtitel als denjenigen, den die Band Alt-J für ihr dieses Jahr erschienene Debüt ersonnen hat, ist lange schon niemandem mehr eingefallen: Das Quartett aus Leeds, das an diesem Abend auf der Weekender Stage auf die Fixers folgt, hat seine Platte „An Awesome Wave“ genannt. Schlicht, prächtig, brutal, aber eben auch: awesome. „An Awesome Wave“, man möchte erschüttern, man muss damit rechnen, hier sehr gleich von einem Ansturm der wildesten Geschmacksrichtungen erschlagen zu werden. Ein Ritt auf dem Regenbogen ist nichts dagegen, ein schillerndes Büffet voll mit den exotischstes Früchten ist hier Frühstücksroutine. Und so verbraten Alt-J in ihrer Musik auch so ziemlich alles, was dem vernunft-, hype- und trendbegabtem Menschen in den letzten fünfzehn Jahren gut und heilig war: Barock verschnörkelte Folk-Balladen aus der Gartenlaube, Snythie-Pop, wildes Geklöppel, Radiohead’sche Melancholia, Zuckerwatte-Psychedelik der Marke MGMT.

Live wird das Gemisch mal hibbelig und gut nervös, dann aber wieder konzentriert und im besten Sinne halbbesinnlich gegeben. Das Thema Folk ist hier die treibende Feder. Die Songs „Matilda“ und „Tessellate“ sind da nur zwei Höhepunkte in einem von vorne bis hinten abwechslungsreich zischenden und brodelnden Konzert - wenn auch subtil dargereicht, und nicht um den grellen Effekt bemüht. Man stelle sich vor, man schüttete drei Päcken von diesem Pulver, das im Mund immer so schön knistert, in ein kleines Glas neontürkiser Limonade. Aber bitte unterschiedliche Farben verwenden und dann in den Mahagoni-Salon damit gehen.

Patrice - Sun ist immer noch shining

In ewigverblasster Vorzeit veröffentlichte das, damals noch, Kölner, damals noch, Zentralorgan der deutschsprachigen Pop-Aufarbeitung, die SPEX, es muss vor mehr als zehn Jahren gewesen sein, ein Heft, das von einem ausfaltbaren Doppel-Cover geziert wurde: Einmal Jan Delay, einmal Patrice. Die Headline dazu: Der gerechte Hype. Für Patrice gilt das nach wie vor, auch wenn dem Mann viel mehr Berühmtheit und Hype zuteil werden müsste, als das aktuell der Fall ist. Patrice vereint Reggae und folky Singer/Songwritertum zu einer Musik, die sich bei Live-Auftritten auch locker Bob Marley ins Repertoire einverleiben kann, ohne dabei so zu wirken, als würde sie bloß einen allgemein beliebten Vibe reiten. Die Menschen lieben ihn und seine sehr guten Songs, er soll doch bitte ein Star werden.

Mia. - Keine Witze über Berlin

Auch über die Berliner Band Mia. ist an dieser Stelle schon einmal etwas zu lesen gewesen. Eventuell zu frech formuliert damals, aber im Kern gilt es nach wie vor. Die Mischung ist immer noch vor allen Dingen Blondie/Nina Hagen/Ideal, aktuell aber rockiger dargeboten als bislang. Dass Mia. fantastische Stücke - den Kreisel, das hungrige Herz - im Repertoire führen, hat man fast schon vergessen gehabt. Diejenige Person, die performative Elemente in einer Rock-Show für besonders essenziell hält, die, ja, die tritt bei der Liveperformance von Mia. an die Grenzen des Machbaren: Sängerin Mieze besteigt - ganz dem Albumtitel "Zirkus" entsprechend - einen an der Bühnendecke hängenden Reifen und vollführt dort akrobatische Turnübungen. Man kann den nachfolgenden Liedern gar nicht mehr zuhören vor lauter geschockter Atemlosigkeit! Mia. ist Popmusik ohne subtile Energie oder irgendeinen Transfergewinn von irgendwo hin nach irgendwas. "Ihr Lieben!", sagt Mieze ständig, und ganz genau so ist es auch. Süßer Vogel Jugend, wir werden älter. Muss aber nicht. Mia. sind Glitzerregen und Luftballon-Theater. Selbst, wenn da gar keine Luftballons sind.

und morgen: The xx.