Erstellt am: 18. 8. 2012 - 05:15 Uhr
Die G'schichtldruckerin
"Grüß Gott!" in St. Peter am Anger. Einem fiktiven Bergdorf irgendwo abgeschieden in den Alpen. Ein Dorf, in dem die knapp 500 BewohnerInnen so klingende Nachnamen haben wie Patscherkofel oder Kaunergrat, in dem für alles als übliche Erklärung gilt: "s'is halt so.", in dem in allen Lebenslagen als Allheilmittel großzügig zu Aderlitzenschnaps gegriffen wird und in dem im Zweifelsfall ganz klar derjenige im Recht ist, der stärker ist. Der Lebensinhalt ist einfach: "Einen Beruf im Dorf zu erlernen, in der lokalen Mikrowirtschaft tätig zu sein, die Volksschulliebe zu heiraten, Kinder zu kriegen, sich im Dorfvereinsleben zu engagieren und zwischen Kindergartenfreunden im heimischen Boden begraben zu werden."
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Vea Kaiser, geb.1988, studiert Klassische und Deutsche Philologie in Wien. Für ihre belletristischen Arbeiten erhielt sie unter anderem das Hans-Weigel-Literaturstipendium, das Start-Stipendium des BMUKK sowie den Theodor-Körner-Preis.
Das würde alles ganz prächtig funktionieren, wäre nicht dem Berufsschnitzer Johannes Gerlitzen in den fünfziger Jahren ein mächtiger Bandwurm gewachsen. Von wissenschaftlicher Neugierde getrieben, und auch, weil das Neugeborene dem verhassten Nachbarn extrem ähnelt, zieht er in die Hauptstadt und studiert dort Medizin. Als Doktor kehrt er zurück ins Dorf, ist als Hochg'schissener aber keiner mehr von ihnen. Auch zu seiner Tochter findet er kein gutes Verhältnis. Erst recht nicht, nachdem diese den ärgsten Dorfrüpel heiratet. Aus dieser Ehe entstammt ein Bub, der Hauptprotagonist der Geschichte, Johannes A. Irrwein. Der ist nicht wie die anderen Kinder im Dorf: statt zu lärmen und im Gatsch herumzutoben zeichnet und liest er lieber, assistiert seinem Doktor Opa und interessiert sich wie dieser für Geschichte. Er besucht das Gymnasium und will nach der Matura nur eines – weg aus dem Bergdorf. Bis dahin passiert allerdings viel in St. Peter am Anger. Das erzählt Vea Kaiser pointiert, mit einem lockeren Witz und äußerst einfallsreich.
Eine Gabe, die sie schon als Kind hatte. Schon damals habe man sie in der Verwandtschaft als "G'schichtldruckerin" bezeichnet. "Mir hat man ja als Kind nichts glauben können. Ich hab auf 99% der gestellten Fragen einen Blödsinn geantwortet", erklärt sie. "Das liegt wohl daran, dass ich mit drei Jahren vom Herd auf den Küchenboden gefallen und mit dem Kopf auf dem Fließenboden aufgeschlagen bin. Vielleicht ist da was hängen geblieben. Aber dieses Erzählen war immer schon da und auch immer leidenschaftlich."
Geschickt lässt sie die Handlung nicht verorten, auch nicht durch den Dialekt der BewohnerInnen. Dafür hat sie aus allen bairischen Dialekten die gemeinsamen Merkmale rausgesucht und damit einen Kunstdialekt geschaffen. Dass die BewohnerInnen im Dialekt reden war ihr wichtig, "weil der Dialekt immer so einen Mechanismus für Ausgrenzung in der Gesellschaft oder Aufnahme in eine gewisse Gruppe bildet."
Aber Vea Kaiser hat in "Blasmusikpop" nicht nur den Dialekt geschaffen, sondern auch eine besonderen Stil für historische Erklärungen und Beobachtungen gefunden. Zwischen den Episoden aus dem Dorfleben finden sich die Dorfchronik von Johannes A. Irrwein, dem Protagonisten. Der verehrt die griechische Antike, im speziellen Herodot, den Vater der Geschichtsschreibung. Herodot ist auch ihre große Liebe, erzählt Vea Kaiser, studiert sie doch Klassische und Deutsche Philologie in Wien. "Ich tauche gern aus der Gegenwart ab und in die Vergangenheit ein – vielleicht ist das auch so ein Ausleben von Realitätsverweigerung. Altgriechisch ist das Tollste, was es auf der Welt für mich gibt."
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Das Studium des Altgriechischen habe ihre jedenfalls für das Schreiben mehr gebracht als ihr Germanistikstudium oder gar ihr Auslandsjahr an der Schreibschule in Hildesheim. Dort habe man ihr von "Blasmusikpop" abgeraten. Sie sei mit 20 Jahren zu jung für so ein umfassendes Werk mit 120 Figuren und so vielen Wendungen. Das sei zwar als ein gut gemeinter Ratschlag gewesen, aber Vea Kaiser habe sich dann doch gedacht, dass sie vielleicht auch nicht an die Schule gehört. "Ich bin dann nach Wien, um in Ruhe das Buch zu schreiben."
Den Überblick über die vielen Figuren hat sie spielerisch behalten. "Ich hab irgendwie so geschrieben, als würde ich Lego spielen." Sie habe große Pläne gezeichnet, alle Figuren auf Kärtchen geschrieben und diese Kärtchen durch das Dorf marschieren lassen. In ihrer Wohnung habe sie eine große Wand mit allem möglichen Zeug zugeklebt. Bei der jährlichen Kehrung sei der Schornsteinfeger vor dieser Wand gestanden und hätte gefragt "Ah, san Sie ah ane von denen Verschwörungstheoretikern?"
"Blasmusikpop" erinnert an die "Piefkesaga" ebenso wie an den "Club der toten Dichter" und bedient gleich mehrere Genres: eine Coming Of Age-Geschichte, eine Familiengeschichte, ein Heimatroman oder ein Anti-Heimatroman. "Manche Leute behaupten ja, es sei ein Anti-Anti-Heimatroman", bemerkt Vea Kaiser, aber damit könne sie nicht so viel anfangen. "Ich seh' das Leben nicht sonderlich Schwarz-Weiß. Ich hab so ein bisschen ein Problem mit Texten, die nur eine Seite zeigen und auf die Figuren so einhauen. Auf ihre Art und Weise liegen mir alle Figuren sehr am Herzen und die haben mich ja auch ewig begleitet. Es gab so Phasen, wo ich mich mehr lustig gemacht habe, andere wo ich sie eher lieb habe. Am Ende bin ich wohl eher in der Mitte gelandet, aber doch eher auf der bunteren Seite des Lebens."
Vea Kaiser bringt mit ihrem Debüt "Blasmusikpop" erfrischende Farben in die Literaturlandschaft. Endlich kann man mal wieder dringend ein Debüt empfehlen!