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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

17. 8. 2012 - 17:15

"Es war einfach nur Interesse"

Cevat Yerli ist Star und Aushängeschild der deutschen Spieleentwicklerszene. Auf der Gamescom in Köln spricht er über persönlichen Erfolg und die Zukunft des Marktes.

Es verändert sich gerade viel in der Videospielindustrie. Schon die letzten Jahre über hat sich der Zweig der Online- bzw. Browserspiele als neues Feld etabliert, mit den "großen" Spielen für Konsolen und PC gab es aber bis vor kurzem aber noch wenig bis gar keine Überschneidungspunkte.

Mit mittlerweile 35 Millionen angemeldeten Usern beim weißrussischen Panzer-Online-Spiel "World of Tanks" - eines der aktuellen Vorzeigeprojekte der Industrie - kann man die hohe Relevanz dieses völlig neuen Geschäftsmodells aber nicht mehr verleugnen. Das Spiel basiert, wie immer mehr aktuelle Games, auf dem sogenannten Freemium-Modell, ein Kunstwort zwischen Free und Premium, das bedeutet, dass das Spiel frei spielbar ist, einzelne Elemente davon aber später Zug um Zug bezahlt werden können. Erstmals seit längerer Zeit sind selbst Journalisten weitgehend ratlos, wie mit diesem Marktphänomen umgegangen werden soll - zumal viele Fachautoren und -expert/innen Online-Games aufgrund der hohen kompetitiven Komponente ungerne spielen.

Cevat Yerli

CC-BY: D-Kuru

Cevat Yerli bei der Gamescom 2009

Cevat Yerli, Gründer und CEO der erfolgreichsten deutschen Spieleentwicklerfirma Crytek hat hingegen weder Scheu vor neuen Märkten und komplexen Technologien noch vor unterschiedlichen Kulturkreisen und deren Spielgewohnheiten. Der Deutsch-Türke hat sich 1999 mit seinen Brüdern Avni und Faruk selbstständig gemacht und ist mit Crytek heute international nicht nur als Spieleentwickler bestens etabliert, sondern kann mit der selbst entwickelten Software-Technologie CryENGINE mit Industriegrößen wie id Software oder Epic Games locker mithalten.

Ich habe Cevat Yerli im Rahmen der Gamescom 2012 in Köln über die Anfänge seiner Firma, die Philosophie dahinter und das umgehen und mitgestalten von aktuellen Markttrends unterhalten.

Crytek gilt ja seit einigen Jahren schon in der deutschsprachigen Entwicklerszene als das große Triple-A-Aushängeschild. Ist das eine Bürde, oder sagt ihr: Wir sind einfach so gut, das übt auf uns keinen Druck aus.

Cevat Yerli: Ganz ehrlich, ich denke darüber nicht nach. Wenn ich das lese, freue ich mich natürlich, aber damit hat es sich. Wir denken über den deutschen Markt und unseren Ruf wenig nach. Wir überlegen, was wir mit Spielen machen wollen, überlegen uns unsere technologische Ausrichtung und wir entwickeln einfach.

Kannst du nochmal kurz die Ursprünge von Crytek zusammenfassen. Ihr wart ja ursprünglich drei Brüder als Firmengründer. Woher kommt vor allem dieses technische Know-How?

Ich mache ja schon Spiele seit ich 12 Jahre alt bin, und für mich waren technologische und kreative Herausforderungen immer schon interessant. Avni, Faruk und ich haben uns irgendwann dazu entschieden, unsere Tätigkeit in Form einer eigenen GmbH offiziell zu machen. Wir hatten Crytek bereits 1997, 1998 als Hobbyprojekt gehabt. Irgendwann haben wir dann aber gesagt: Okay, wir wollen jetzt mit Publishern zusammenarbeiten und wir haben hier Prototypen entwickelt, die wir auch veröffentlichen wollen. Woher der Erfolg kommt, ist schwer auf einen Nenner zu bringen. Meine Verantwortung ist ja die Entwicklung der Technologie und Produkte, und wenn mich jemand fragt: Woher kannst du das? Oder: Wo hast du das gelernt? - Das war für mich einfach nur Interesse. Ich hatte Interessen in bestimmten Bereichen und habe mir dann vorgestellt, wie man etwas ausarbeiten, was man Neues machen könnte. Das habe ich dann mit Engineers umgesetzt, und zum Glück kamen viele dieser Sachen sehr gut an und das hat zum Erfolg beigetragen. Man gründet aber nicht eine Firma, um Erfolg zu haben. Man designt Produkte, um Dinge zu verbessern.

Was hat dich zur Anfangszeit von Crytek konkret gestört, was wolltest du verbessern?

Mein Grundmotiv - vielleicht war das ja aus einer kindheitlichen Erfahrung heraus, die mich antreibt, aber ich erinnere mich jedenfalls nicht - ist immer, anders zu sein und einen großen Unterschied zu dem Status Quo des Marktes zu liefern. Es geht darum, neue Wege zu gehen, die andere sich nicht trauen und dadurch in der Summe etwas wirklich Neues zu probieren. Bei "Far Cry" war die erste Regel: das gegenteilige Produkt der Masse zu machen. Damals waren in First-Person-Shooter-Games die Farben meist sehr dunkel und düster. Die Räume waren geschlossen, das Gameplay war linear. Wir wollten das Gegenstück: offene Welt, Sonnenlicht, bunte Farben. Das hat auch sehr gut funktioniert, und es war eine frische Wende für die Spieler/innen und ein großer Unterschied. Es war ein Weg, den die meisten nicht gehen wollten, weil es sehr schwer ist, helle Grafiken im Sonnenlicht darzustellen. In der Dunkelheit kann man viel verstecken, im Tageslicht sieht man alles - das ist in der Computergrafik auch so. Sich von Problemen und Ängsten nicht den Weg verstellen zu lassen, das ist für mich ein Hauptmotivator.

Bist du jemand, der sehr hartnäckig ist und lange an sich arbeitet, bis du etwas perfekt beherrschst?

Für mich passieren Dinge eher spontan. Es gibt auch keine Zeit, ausgiebig Erfahrung zu sammeln, weil sich die Games-Industrie ständig wandelt. Die Spiele wandeln sich, die Märkte, und auch die Plattformen. Somit kann man gar keine endgültige Spezialisierung eingehen, auch, wenn man es wollen würde. Insofern hat man also eher gelost, wenn man sehr speziell sein will. Weil zu dem Zeitpunkt, wo man perfekt spezialisiert ist, ist man schon wieder veraltet. Bei Crytek und bei mir gibt es diese Art der Spezialisierung nicht bzw. dieses lange darüber nachdenken und lange daran arbeiten.

Aber wie macht ihr strategische Planungen - gerade jetzt, wo der Freemium- bzw. Free-to-play- und MMO-Markt so richtig abhebt? Wie werden da Entscheidungen getroffen?

Die Entscheidung, dass wir Freemium gehen, wurde schon vor sechs Jahren getroffen - zu einem Zeitpunkt, wo kein westliches Studio diese Entscheidung getroffen hat. Als wir uns entschieden hatten, "Warface" zu machen, hat in der westlichen Welt noch keiner mit Free-to-play gerechnet. Das hat hier erst vor zwei, drei Jahren - wenn überhaupt - einen Aufschwung bekommen, und jetzt fängt es erst so richtig an. Vor sechs Jahren haben wir auch angefangen, dafür unsere eigene Plattform zu entwickeln. Das hieß am Anfang Crytek Live, dann Game Face, und jetzt heißt es GFACE. Langfristige Planung bedeutet bei uns eher, Sachen zu beobachten und Innovation oder Einflüsse von anderen Kulturen herzunehmen. In Bezug auf Free-to-play hat uns Korea stark beeinflusst. Ich habe dort stundenlang im Internet-Café beobachtet, wie die Leute die Spiele spielen. Da war es so, dass Freundeskreise von einem Spiel zu anderen gewechselt und danach über ihre Spielerfahrungen gesprochen haben. Dieses Verhaltensmuster wollen wir auch in GFACE verkörpern, dass man mit Freunden zu einem Platz hingehen kann, gemeinsam Spiele spielt und danach darüber redet. Diese Spielererfahrung wollten wir einfangen. Dieses Prinzip ist dem westlichen Spielerverhalten fünf bis zehn Jahre voraus. GFACE, wo unser Game "Warface" läuft, ist ein virtuelles Abbilden eines Internet-Cafés."

Wie stark hilft dir dein eigener Migrationshintergrund, Ländergrenzen auszublenden?

Für mich war es bei Crytek immer so, dass die Grenzen Deutschlands prinzipiell nicht existieren sollten. Wir sollen auch nicht primär als deutsches Unternehmen gesehen werden, weil wir von Anfang an sehr international agiert haben. Wir haben eine internationale Kultur aufgebaut, unsere Office-Sprache ist Englisch.

Fibble

Crytek

Fibble

Ihr seid mit "Fibble" vor Kurzem auch in den Mobile-Games-Markt ein bisschen eingestiegen. Was ist da die kommende Strategie?

"Fibble" war unser erstes Casual Game. Wir wollten in diesen Markt eintreten, das ist uns auch über diesen Titel gut gelungen. Weitere Casual Games werden wir stärker mit GFACE verbinden.

Wie ist das Verhältnis von den Einnahmen aus dem Spieleverkauf und der Lizensierung von eurer CryENGINE?

Man kann klar sagen, dass unsere Haupteinnahmen aus der Spieleentwicklung kommen. Wir sind ein Unternehmen, dass Technologie sehr liebt, aber wir sind auch auf der kreativen Seite stark.

Ihr habt das Software-Entwicklungs-Kit eurer CryENGINE 3 gratis zur Verfügung gestellt - was ist da das Ziel?

Mehr CryENGINE-Entwickler zu haben, damit wir mehr von ihnen einstellen können! (lacht)

Aber wenn ich als Entwickler dann ein Produkt damit geschaffen habe, das ich verkaufen möchte, muss ich ja dennoch für die Lizenz der Engine bezahlen, oder?

Als Indie-Developer gibt es aber auch die Möglichkeit, dass man ohne Vorauszahlung ein kommerzielles Spiel entwickeln kann und später für die Lizenz zahlt. Die Profi-Entwicklerlizenz beinhaltet zusätzlich zu den Lizenzgebühren eine Vorauszahlung.

Hast du einen persönlichen Wunsch, wie sich Videospielkultur in den nächsten zehn Jahren entwickeln soll?

Ich will, dass alle Game-Genres nochmal neu sowohl als Social Games als auch als Core Games aufgelegt werden, und wir sind mit GFACE dabei, das zu präsentieren - zu zeigen, was z.B. ein Social-First-Person-Shooter wäre. Ich hoffe, dass Free-to-play sich richtig durchsetzt - sehr bald, damit diese Diskussion wegfällt, ob es jetzt bleiben wird oder nicht. Es ist jetzt da und das passt so. Und ich hoffe, dadurch, dass Free-to-play eine drei- bis zehnmal so große Community erschließen kann, kann der gesamte Games-Markt wachsen und viel mehr Community aufgebaut werden. Es heißt ja, fünf bis zehn Prozent der Free-to-play-User bezahlen. Das spricht schon dafür, dass der Games-Markt viel größer sein könnte, rein von der Menge der User.

Glaubst du, dass im Zuge der Wandlung des Marktes ein älterer Teil davon bald völlig wegfällt? Wird es in ein paar Jahren tatsächlich keine Konsolen und Boxed Products mehr geben?

Bei Boxed Products bin ich felsenfest davon überzeugt, dass es sie mittelfristig - in drei bis fünf Jahren - nicht mehr geben wird. Konsolen werden es sehr schwer haben, aber da bin ich mir nicht sicher ob sie komplett wegfallen werden.

Aber will nicht Omi dem Enkel immer noch ein Nintendo-Spiel als physisches Produkt kaufen?

Omi ja, aber ich bin nicht sicher, ob das Kind es möchte.