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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

17. 8. 2012 - 18:30

Es gibt wirklich alle Musiken

Das Pendel des guten Geschmacks schlägt beim FM4 Frequency unerbittlich in jede Richtung aus: Breathe Carolina, Giantree, Dispatch, BOY, Yellowcard und Frittenbude.

Tag drei auf der Race Stage beginnt merkwürdig, eine Band, die kaum je ein Mensch allein in seinen buntesten Träumen hätte sich ausdenken können, eröffnet die Green Stage.

Breathe Carolina – X-Over

Breathe Carolina sind ein Duo aus Denver, Colorado, das Emo, Crabcore, billige Techno-Beats, “atmosphärischen” elektronischen Budenzauber und das Konzept “Linkin Park” übereinandertürmt. Live wird das Duo zum Quintett aufgestockt. Es gibt einen Sänger/Shouter und einen Rapper. Es gibt einen Mann an Laptop und Synthie. Wer die Verbindung von fehlgeleitetem US-amerikanischen Dubstep, „EDM“ (Electronic Dance Music), wie man so sagt, und von Skrillex-Beats mit Rock-Pomp aus den Abteilungen Korn und Muse bislang für die furchtbarste Musik des Planeten gehalten hat, wird heute eines besseren belehrt. Weil es aber vermutlich zu leicht wäre, etwas Lustiges über die Band Breathe Carolina zu sagen, soll aus Gründen des Anstands an diesem Punkt erst einmal Schluss sein. Ein paar Bilder:

Giantree – Wir alle sind Kommunikation

Es geht weiter mit einer Band, die sich etwas erdnäher gibt als die Boys von Breathe Carolina, die es auch überhaupt gar nicht nötig hat, zu versuchen durch krasse Stylecollage irgendeinen Triumph zu generieren. Sie haben nämlich Lieder. Es ist nahezu schon wie ein langsames, wundersames Erwachen zu verfolgen, wie das österreichische Quintett Giantree in kurzer Zeit, in etwa im Verlauf eines knappen Jahres, so eine richtig, ja, tolle Liveband geworden ist. Ihr Debütalbum „We All Yell“ ist ohnehin ein kleines Wunderwerk – Dokument, dass das schon auch irgendwie gehen kann, in diesem Land, eine Platte zu machen, die noch im weitesten Sinne den Regeln dieses Dings namens „Indie“ folgt, und zwar in englischer Sprache, und die dann nicht nur nicht peinlich ist, sondern obendrein nachgerade betörend. Feingliedrige Rockmusik, der das Sich-Sehnen und das jugendliche Wollen eingeschrieben ist, durchdacht und reflektiert, ohne dabei jedoch diesen speziellen Reiz der frühlingshaften Naivität zu vergessen. Folk-Tupfer, Musik durchsetzt von Wave-haftem Synthesizer-Gloom, aus der sich dann aber doch noch immer der wärmende Lichtstrahl seinen Weg bahnt.

„We All Yell“: Giantree sind nicht zuletzt auch eine Band, die ein Wir-Gefühl beschwört, eine vage Jugendbewegung der Herzen - sie sind eine Mitmachband. Irgendwann während des Konzerts werfen Giantree - natürlich mit vorheriger Warnung - unzählige kleine, gelbe Plastikeier ins Publikum, die sodann ein putziges, kollektives Rassel- und Shake-Orchester formen, dessen erste Aufgabe nicht die Perfektion ist. Die Brüder Hele und Roland Maurer an Gesang, Korg und Gitarre geben ein perfekt sich ergänzendes Front-Duo. Die allerletzte Nummer im Set von Giantree ist ein brandneues Stück, das noch nicht auf dem Album der Band zu hören war, davor aber gibt’s die zwei großen, großen Singles der Gruppe: „Time Loops“ und, vor allem, „Communicate“. Zwei Popsongs, die auch im Werk älterer, anderer, erfahrener Bands speziell funkeln würden. Öffnet man nach dem Konzert die gelben Plastikeier, so findet man darin neben dem Rasselmaterial Reis einen Button zum Ans-Rever-Heften auf dem geschrieben steht: „Giantree – We All Yell“. Ketten bilden, Liebe machen.

Dispatch – Ganz alte Weltmusik

Mit der folgenden Band lässt’s sich dafür dann wieder ab und an ein bisschen an der Welt verzweifeln. Das Trio Dispatch aus New England interessiert sich für Alternative Rock, Funk, diverse Weltmusiken, Reggae. In guten Momenten nähert sich die Band aus der weitesten Ferne den schlechteren unter den frühen Stücken von The Police und den Red Hot Chili Peppers an – es ist halt irgendwie so ein die ganze Menschheit umarmender Punkfunkrock, wie er von einer Fußgängerzonen-Kapelle vorgetragen einem „groovy“ vorkommen würde. Das kann Spaß machen und schunkeln lassen, wenn Dispatch die Funk- und Ska-Elemente trockener und klarer herausarbeiten, kann es bisweilen interessant werden. Wenn es schlecht wird, finden wir uns in der Post-Grunge-Blase wieder, dem Post-Eddie-Vedder-Gegreine, wo Vokale ganz langsam aus der Seele gezogen werden, wir spüren Nickelback sich in einem karibischen Ferienclub manifestieren und als Coverband „Sunshine Reggae“ geben. Vielleicht muss man es dazusagen: So eine Musik kommt natürlich extrem gut an. „Ohaha-yaheaayeah!“ Klatsch, klatsch, klatsch, Peace.

BOY - Popmusik ins reinster Form

Es geht wieder aufwärts - nicht nur im Vergleich zu Dispatch. Über die richtig feine Band BOY ist an dieser Stelle schon so einiges gemeint worden

Viel Zeit ist seither nicht ins Land gezogen. Das Teekesselchen kocht immer noch in der Puppenstube, ein verliebter Student der Pädagogik poltert mit seinem alten Waffenrad über das Backsteinpflaster der Altstadt von vermutlich Heidelberg, junge Mädels und junge Jungs sitzen in Straßencafes, blicken sich mit großen Augen ins Gesicht und trinken lässig Latte. Im Radio läuft BOY.

Die zwei jungen Frauen von BOY füllen den Platz vor der Green Stage erwartungsgemäß sehr gut, Überschwang und lebenssaftspendende Melancholie wehen übers Gelände. Das Publikum eint ein sonderbares Glücksgefühl, auch die Musikerinnen und Musiker auf der Bühne scheinen eine rechte Freude mit ihrem Auftritt zu haben. Es kann auch alles so einfach sein. Das beste Lied von BOY ist das Stück „July“; ein Song vom Nachhausekommen, die Wärme, eventuell auch die Liebe finden. Warum spielen sie den denn nicht? Macht nicht viel aus, dafür verursacht ihr Hit „Seven Little Numbers“ zum Abschluss des Konzerts einen veritablen, einen zärtlichen Tanz- und Mitsing-Sturm im Publikum. Ein paar Tränen der Freude stehen in der vor Hitze vibrierenden Luft. Auch auf die Gefahr der Wiederholung hin: BOY, das ist eine richtig feine Band. Hoffentlich spielen sie in drei Wochen wieder irgendwo.

Yellowcard – Punk heißt nicht klingen wie andere Punkbands

Die aus Jacksonville, Florida stammende Pop-Punkband Yellowcard ist dafür berühmt, dass sie irgendwann einmal „Don’t You“ von den Simple Minds gecovert hat, aber auch für den Song „Ocean Avenue“, der vor allen in den USA immens erfolgreich war. Sie haben auch eine Geige im Bandinstrumentarium. Manchmal kommt die Musik von Yellowcard in die Nähe von mittleren Green Day oder Lag Wagon oder auch der Get Up Kids in schlechteren Momenten, dabei sind Yellowcard immer kindischer, weinerlicher, schablonenhafter. Hier wird Punkmusik nachgestellt. Es ist eine Musik zum sich Jung und unverstanden fühlen, zum Stagediven und zum cartoonhaft vom Skateboard stolpern.

Frittenbude – Never Surrender

Das, was danach kommt ist eben die richtige Punkmusik. Musik, die weiß, dass man für Punk nicht unbedingt Schrammelgitarre und zwei Sicherheitsnadeln im Gesicht braucht. Frittenbude, das alte Haus. Weiß man irgendetwas noch nicht über sie, die gute Hamburger Terrorzelle? Die richtige Haltung und der Widerstand, hineingenossen in den großen Partybottich. Live funktioniert das immer, immer hervorragend – auch wenn das wohl etwas ist, was Frittenbude gerade eben nicht wollen: Funktionieren. Wir wollen doch zersetzen und bessere Formen schaffen. Es gibt die witzig geölte Kommunikation mit dem Publikum - „Man kann nicht den ganzen Tag nüchtern sein! Vor allem nicht in Österreich!“ - und den Beat, der uns alle zu Geschwistern im Kampf macht. Pandabär und Delfin und Katze mit Dangermouse-Augen tanzen auf der Bühne. Crowdsurfen und wahlweise gemeinsames Mittelfinger-in-die-Luft-Strecken gegen den ganzen Unfug, den uns irgendwelche "Systeme" erzählen wollen, oder Mit-den-Fingern-Herzchen-Formen, weil wir gerade ein "wir" sind. Eine großartige Gruppe, die mit scheinbar einfachen Mitteln Großes zu bewegen im Stande ist. Raven gegen alles, Raven für alle.