Erstellt am: 17. 8. 2012 - 16:48 Uhr
Loud Little Voices
Herb enttäuscht zu sein ist eine Sache, aber über den Spott und die Boshaftigkeit, die sich angesichts der krankheitsbedingten Absage von Placebo vielerorts über Brian Molko entladen haben, muss man sich doch wundern. Es ging ihm nicht gut, er hat sich bemüht und entschuldigt. One love.
Das FM4 Frequency Festival 2012
Mit strahlendem Sonnenschein startet Tag zwei auf der Space Stage mit den steirischen Volksmusik-Skapunks und Bandcontestgewinnern Gnackwatschn, die so klingen, wie man sich das vorstellt, also das Moshpit voll rocken.
Sing it back to We were promised Jetpacks
Es beginnt mit einer Wall of Sound und endet mit einem Schrei. Dazwischen glüht die Luft unter den Gitarren der vier Schotten, die als We were promised Jetpacks seit zwei Jahren auf dem Aufstieg zum Indie-Olymp sind. Eine Erinnerung an Postrock und New Wave, ein sehr guter Drummer und das, was man Gespür für große Melodien nennt, ein Stachel zwischen eingängig und episch, wie ihn beispielsweise auch Interpol oder die Editors ins Herz bohren. Da ist Raum für lange Instrumentalpassagen, da sind Chöre aus Oooh-ooh-ooohs, die durch Mark und Bein gehen. Gitarrenriffs und Melodien grüßen wie alte Freunde, und über und zwischen allem ist die Stimme von Adam Thompson, die mit lange nicht mehr gehörter Inbrunst Sätze wie "I´ll die for you" sagen kann. Man will ihr glauben.
Einsamer Wolf Casper
Ein weißer Wolf faucht riesenhaft auf dem Transparent im Bühnenhintergrund. Während eines der aktuellen so genannten deutschen Pop-Phänomene in engen Hosen Pandamaske trägt und auf Kuschelkurs tappst, fährt der Bielefelder Benjamin Griffey als Casper die Krallen aus. Der raue Ton in seiner Stimme, der beim Zuhören fast körperlich wehtut, ist echt, auf seinen Merch-Shirts steht "Verachtung". Die Gitarre brummt schwer und metallisch, so viel ist klar, der Mittelfinger wird zum Himmel gestreckt und der Mund immer schön voll genommen. Casper schreit sich frei von seiner nicht medienunwirksam aufgebreiteten schweren Kindheit und bietet wie jeder ordentliche Popstar Halt und Verständnis in krisengeschüttelten Jugendjahren.
Lass dich von nichts und niemandem unterkriegen, du kannst es schaffen, wachse an den Stolpersteinen des Lebens, strahle, scheine, usf. "So perfekt" ist somit Trostverheißung und Hymne zugleich, ein Zittern geht durch den prall gefüllten Platz vor der Space Stage und Tränen fließen auch. Wenn Musik das bewirken kann, dann soll man es zulassen.
Dry The River
Schwierig, denkst du, diese Band nach Casper auf die große Bühne zu stellen und Peter Liddle mit seiner Falsettstimme gegen die Weltwut des Vorgängers ansingen zu lassen. Den Wirren dieses Lebens stellt die Band Dry the River nicht die geschwellte Brust, sondern Empfindsamkeit und verständnisvolle Blicke entgegen. Intensität, und darum dreht es sich hier, durch Geige, Augenaufschlag und Repetition, volltätowierte Arme zupfen über die Saiten der verletzlichen Männerseele. "I loved you in the best way possible" klingt wie eine Entschuldigung, die zu Tränen rührt; überflüssig zu sagen, wie dieser Satz sich bei jeder Wiederholung weiter ins Herz bohrt. Auf einmal macht es Sinn. Dry the River sind das retardierende Moment des heutigen Festivaltages, die Spannungssteigerung vor dem Finale, die Band, bei der man noch einmal die Ohren spitzt und Erschöpfung und Glück des Festivalmarathons spürt, bevor man sich wieder in den Taumel stürzt. Der Wavebreaker-Bereich vor der Bühne liegt bereits völlig im Schatten, der Sound, das soll auch einmal gesagt werden, ist sehr gut.
The Subways
Die Subways aus, klar, Großbritannien, sind alte Frequency- und FM4-Bekannte und waren erst vergangenen März für ein Überraschungskonzert bei uns zu Besuch. Je größer die Bühne, desto mehr blühen sie auf, ihre dem Punk entlehnten Riffs verfehlen ihre Wirkung auch heute nicht und Texte über Rock´n´Roll-Queens singen sich aus tausenden Mündern eben doppelt so gut. Wir brauchen kein Geld, um zu feiern - die Message der Songs ist einfach, aber effektvoll. Sänger Billy Lunn ist vor, zwischen und während der Songs Ringansager und Choreograph in einem. "You guys are very very crazy, but we wanna see you go even crazier" - hinsetzen, springen, circlepit machen, das muss er der springenden Menge nicht zweimal sagen. Eine Partyband im besten aller Sinne, nicht mehr, aber vor allem nicht weniger.
Come on, come on, come on, come on, come on, come on Hives
Schon mal lockergeschüttelt und warmgetanzt, denn spätestens ab jetzt gibt es keine Gnade mehr. Die schwedischen Hives bleiben bei ihren Leisten und ein, zweimal im Leben sollte man schon gesehen haben, wie das so geht, der richtig echte Garagen-Rock´n´Roll im großen Stil. Fast zwanzig Jahre Übung haben die Hives darin, in Anzug und Zylinder über die Bühne zu wirbeln und come on, come on, come on, come on, come on, come on zu rufen. Für allerhand random Geplauder über den Alkoholpegel des Publikums, die Ähnlichkeiten zwischen Schweden und Österreich, und natürlich: do you like it hot and fast? ist auch Zeit, und dass auf die Frage, wer das soeben erst erschienene, sechste Album Lex Hives kennt, nur sehr wenige Hände in die Höhe schnellen, ist nur ein paar Sekunden traurig und dann wieder okay. Akkordfolgen sind eben eine universelle Sprache. Ausreißer nach "unten" (ruhiger, fader, besonnener, irgendwie anders) gibt es keine, das ist fein, aber auch anstrengend, denn das Süße ist nie so süß ohne das Saure, und Peak auf Peak auf Peak auf Peak - wobei, in Wirklichkeit funktioniert das hier eh ungebrochen.
Bush
Muss man sich alt fühlen, wenn man bei den ersten Takten dieses Songs in unkontrolliertes Kreischen ausbricht? Viel hat sich verändert, seit "Swallowed" 1996 in vereinzelten Kinderzimmern gerne die etwas kommerziellere Nachfolge von Smells like teen spirit angetreten wäre. Gavin Rossdale hat mehr Muskeln und ein paar Kinder bekommen und ist jetzt ein Quasi-Celeb. Die Posen der Neunziger hat er aber noch drauf und ein, zwei blonde Stränchen glänzen in seinem Pferdeschwanz, wenn er Rücken an Rücken mit seinem zweiten Gitarristen um die Wette rockt. Ach, Bush, du bombastischer Ausdruck unserer Teenage-Sehnsüchte, wenn auch oft wackelig auf dem schmalen Grat zur Peinlichkeit balancierend. Und what´s with the Muskelshirt anyway! Abgesehen davon soll man dieser Band aber uneingeschränkt Tribut zollen, allein für die vier, fünf, sechs großen Songs – mindestens! – die sie geschrieben hat. Natürlich sind die Festivalmenschen hier teils jünger als die Bandgeschichte und rocken zu dem, ähem, Beatles-Cover von "Come Together" mehr ab als zu, sagen wir, den "Chemicals between us", aber das Bad in der Menge kostet Gavin Rossdale heute aus wie kaum einer vor ihm. "Don´t let the days go by" - niemals, nie, vergessen wir diese Worte, deren Wirkung sich einigen heute auch beim ersten Hören zu offenbaren scheint.
Beatsteaks
"Das ist einer dieser Abende, an denen alles gut ist" - die sechs aus Berlin, die als Beatsteaks den Sprung in die ganz, ganz große Alternative-Rock-Area geschafft haben, orten gute Vibes in der Frequency-Luft. Sie stehen natürlich im Dienste des fucking Rock´n´Roll und binden Herzen und Hände ganz an sich, und Hits haben sie auch, Songs wie "Hello Joe" oder "Milk &Honey", so groß, dass man denkt, die Queens of the Stone Age hätten von ihnen abgeschrieben. Zwanzig Jahre Showgeschäft haben sie gelehrt, dass Coverversionen, wie cheesy auch immer, dazugehören und dass etwa "Twist and Shout", das fast-zweite Beatles-Cover des Abends (wenn auch im Original von den Isley Brothers), eine sichere Bank ist. Tanzen und Grölen und Springen, manchmal auch erschöpft Stehen, wir sind heute schon zu allem bereit, und einen Rest Energie müssen wir uns ja auch noch für gleich eben aufsparen. Soon to come: Korn.
Korn
Korn, angesehen von Susi Ondrusova:
Wer hätte gedacht, dass der zweite Festivaltag mit einem Song beendet wird, der mit einem Dudelsack eingeläutet wurde. So und nicht anders ist es geschehen. Nichts ist unmöglich, alles ist erlaubt. Korn waren die Headliner Freitag Nacht. Die kalifornische Band, die als eine
der Vertreter des Nu-Metal-Genres gilt und sich auch als Urväter des Dubsteps bezeichnet, hat vor einem enthusiastischen, aber doch schon recht ausgedünntem Publikum gespielt. Die Konkurrenz hieß Mia. und Nightpark. Bässe und Melodien hat man bei Korn auch bekommen, aber für den dazugehörigen Ausdruckstanz brauchte man mehr die Nackenmuskulatur als den Hüftspeck.
Der dazugehörigen Menge hats gefallen, ein Korn-Konzert sehen ist wie eine Extrarunde im Schleudergang einlegen, um an den Topf am Ende des Regenbogens zu gelangen.
Morgen to come: Pop und Sweetness von Cloud Nothings, The XX, The Cure, Hot Chip.