Erstellt am: 17. 8. 2012 - 01:03 Uhr
Ein arg durchmischtes Trio
Die drei letzten Acts, die am Donnerstag die Green Stage bespielen, trennen einige Stufen auf der nach oben offenen Musikgenre-Skala: Kettcar, Lykke Li - und Paul Kalkbrenner.
Das FM4 Frequency Festival 2012
Kettcar – Es ist einfach Rockmusik?
Kettcar haben den Geist des Punkrock ins scheinbar schlagerhaft Erdige getragen. Das ist oft nur auf den ersten Blick allgemeinverständliche Alltagsphilosophie. Die Hamburger Band fährt mit dem trojanischen Pferd von eingängiger Rockmusik in die Mengen und schleicht den Menschen, Dir und mir und allen anderen, die hören wollen, Nachrichten für eine bessere Welt ins Bewusstsein. Agenten des Widerstands, kostümiert als schmissiger Pop/Rock. Sie rocken, live, wie immer, die Massen und verhandeln in Stücken wie „Graceland“ und „Money Left To Burn“ das Essenzielle: Älterwerden, Konformgehen-/Wollen/Nichtwollen/Müssen? Kettcar beenden ihren Auftritt mit “Balu“, dem perfekten Lovesong, ihrem besten Lied, einem besten Lied allgemein: „Vergiss Romeo und Julia, Wann gibt’s Abendbrot? Willst Du wirklich tauschen? Am Ende waren sie tot.“ Melodien für Millionen, immer wieder mit haardünn gesponnenem Unterton durchsetzt. Man soll ihn suchen. Es gibt kein Drinnen und Draußen mehr.
Lykke Li – Geisterpop, freundlich dargereicht
Hier ist der Act für den Distinktionsgewinn. Lykke Li, Blog-Darling, Popstar für die leicht abseitig sich Gebenden und die Grüblerinnen und echte Künstlerinnenpersönlichkeit. Im Kopf der schwedischen Sängerin Lykke Li scheint es ernsthaft zu spuken und ebenso scheint sie sicherlich keinen fuck zu geben, was du jetzt gerade von ihr halten magst. Ihre Eltern sind Künstler. Ein wildes Kind, Hippie-Schmuck und fliegende Roben. Bei Lykke Li geht es um alle wichtigen Dinge: Liebe, Sex, komische Tänze. Spezialdunkler Kajal, Synthie-Pop und Balladen des Geisterhaften ergeben gemeinsam mit der so merkwürdig sich drehenden und verrenkenden jungen Frau ein Magnetfeld von nahezu obszöner Kraft. Obwohl hier mit aller Macht der Kunst die Gemachtheit von Pop und das Affektierte ausgestellt und durchlitten werden, glimmt hier nicht nur finster die Oberfläche, nein, es brennt und brodelt auch im Kern.
Lykke Li hat zwei sehr gute, bisweilen dann doch ein wenig durchwachsene Platten veröffentlicht, die von ihren Kieks- und Stöhngeräuschen und wahrem, großen Gesangshandwerk („DIE muss doch schon auch echt etwas KÖNNEN“; sowas ist manchem Fackelhalter der Rockgitarre nach wie vor wichtig) getragen, mindestens zwei Handvoll richtig famose Songs zutage fördern konnten. Live ist der Sound von Lykke Li überraschend wenig von schwierigem Rauch verwaschen und geheimniskrämend, sondern arbeitet das Pop-Appeal klar heraus und lässt auch die leisen Einflüsse von Soul, Gospel und Phil-Spectorsch‘em 60s-Girl-Group-Kalkül stärker als auf Tonträger aufblitzen. Lykke Li selbst erscheint geradezu gut gelaunt und freundlich, jedoch: Obacht, Lykke Li, wird auch dir in den Arsch treten. Große Popmusik von einem großen Popstar, der wirklich alles, was es anscheinend braucht, um dieser Kategorie gerecht zu werden, schon vorgestern ins Badewasser getropft bekommen hat. Bzw. sich selbst hineingetan hat. Selten schien die Trennung der Kategorien „Authentizität“ und „ Artifiziell“ so obsolet. Schwarze Fahnen wehen im Wind.
Paul Kalkbrenner – TECHNO
Paul Kalkbrenner. Paul Kalkbrenner. Paul Kalkbrenner. Der Berliner Produzent ist längst schon nur mehr bloßes Logo, Symbol und Platzhalter für das „Lebensgefühl“ einer „Generation“, die einfach nur mehr zum Beat steil gehen will. Nicht dass er es müsste, aber verkauft der gute Paul Kalkbrenner noch Tonträger? Sein letztes Album „Icke Wieder“ schien auch ihm selbst nur notwendiges Übel gewesen zu sein. Man soll dabei aber nicht vergessen, dass Kalkbrenner den ganzen Quatsch schon sehr, sehr lange macht, und beispielsweise mit dem Album „Zeit“ 2001 eine sehr gute Platte veröffentlicht hat. Heute folgt jedoch nur noch die Funktion der Funktion. Viel Spielraum für feinstoffliche Ideen ist hier nicht mehr. Ein Beat ist ein Beat, Kalkbrenner ist Event. Gibt es eigentlich schon das Verb/die Redewendung "Gehen wir kalken?/Ich kalke"? Endlaser. Außerdem: „Sky And Sand“, lalala. We’ll Never Stop Living This Way.