Erstellt am: 16. 8. 2012 - 18:13 Uhr
Legendäres, Partykessel
Boy & Bear: Folk-Pop mit nur ein bisschen wucherndem Bart
Das FM4 Frequency Festival 2012
What’s in a name? Nicht viel, wie man weiß. Nur eine Ansammlung von Zeichen, arbiträr auf irgendein etikettenloses Ding draufgepfropft, um es zu „bezeichnen“. Bei Bandnamen ist es umso wahrer: Möglichst uninterpretierbar soll er sein, mystisch vielleicht – ein echtes „Meaning“ oder eine Intention schon im Bandnamen zu transportieren, das ist doch für Rap-Metalbands, die salbungsvoll die Welt verändern wollen. Boy & Bear, die am Donnerstag schon am allerfrühesten Nachmittag einen kleinen Höhepunkt auf der Green Stage darstellen, heißen aber nun Boy & Bear, und nur allzu leicht sprießen hier die Assoziationen auf, von Märchenwald, von Putzigkeit, von Tieren mit Fell und dem Rauschen und Knuspern im Unterholz.
Das australische Quintett Boy & Bear, das in seiner Heimat übrigens nicht gerade unerfolgreich ist und auch schon ein paar der prestigeträchtigen Aria Awards einstreifen hat können, zaubert nun so aus seinen – sehr gerne auch in der akustischen Variante dargereichten – Gitarren und seinen Harmoniegesängen eben genauso eine zottelbärtige Waldschrat-Musik, wie sie im letzten Jahrzehnt diese vielen anderen Tierbands ähnlich gemacht haben: Grizzly Bear, Fleet Foxes. Dabei erreichen Boy & Bear nie die Dichte und Komplexität der genannten Gruppen, driften auch nie ins „Weirde“ ab, sondern bleiben stets dem geradlinigen, immer ein bisschen melancholischen Songwriting verpflichtet. Mit Mumford and Sons waren Boy & Bear schon auf Tour, gar so glatt werden sie dann aber nie. Erfreulicherweise hat sich diese nette Band auch schon bis nach Österreich herumgesprochen, so ist für die frühe Uhrzeit schon einiges los im Publikum, in der zweiten Reihe steht ein junger Mann mit Bärenmütze auf dem Kopf. Boy & Bear bezirzen und lullen ein, sie poltern, schrammeln und lassen harte Herzen ein bisschen Leben in sich aufkommen spüren. Sich den Bart ganz wild stehen zu lassen, haben sie sich dann aber doch nicht getraut.
We Are Augustines – Hurts So Good
Über dem Schaffen von We Are Augustines schwebt der Geist großen Leidens. In der Biografie der Band aus Brooklyn, New York sind Schizophrenie und Suizid verzeichnet. Bei We Are Augustines mündet der Terror jedoch nicht in zerbrechlich vorgelebtem Pathos und Selbstbeweinung, sondern in über allem Unheil triumphierendem Überschwangsrock und Jubelchören, die auch bei einer ungehobelteren und durch die Straßen geprügelten Variante von Arcade Fire nicht fehl am Platz wären – oder in einem Heulen, wie es andere Trübwassertaucher wie die Antlers oder The National gerne oder vielleicht auch eher ungerne betreiben.
We Are Augustines sind eine Band, die einem die Seele mitreißt, dabei die Faust ballen und sagen lässt: “Die Welt ist schön, ich lebe gern.“. Sie schauen mit dem optimistischen Auge auf die Trauerweiden, und, dass sie, weil ihnen die Fluglinie das Equipment verschmissen hat, mit geborgten Gitarren und Drums und Synthesizer ihr Tagwerk verrichten müssen, fällt nicht auf. Was diese Herren da auf die Bühne stellen, ist ein weiteres frühes Highlight des Tages, das vom Publikum nachgerade „abgefeiert“ wird - und dass, obwohl man davon ausgehen kann, dass das Werk der Band nicht allzu bekannt sein dürfte. Wenn Frontmann und Sänger Billy McCarthy, ganz der kernige Kerl in speckiger Jeanskluft, mit dem Fuß aufstampft und röhrt : „C’mon! Yiieah!“, dann merkt man auch hier, dass über We Are Augustines, wie bei so vielen, vielen anderen Rockbands im Moment, mit fettem Marker geschrieben steht: Bruce Springsteen. Im allerbesten Sinne.
Ane Brun – Schleiertanz
Nebel steht auf der Bühne, im Hintergrund hat man eine braunkohlefarbene Plane aufgezogen, Ane Brun erscheint in beigefarbene Gewänder gehüllt . Eine Frau streicht ein Cello. So eine Musik ist das. Die norwegische Musikerin und Songwriterin Ane Brune, die schon eine ordentliche und über weite Strecken durchaus ansprechende Diskographie im Lebenslauf führt, bewegt sich smooth gleitend zwischen spinnertem Folk, leiser Geister-Elektronik, Kunstlied und skandinavischem Kunst-Quietschen. Auf Tonträger - vor allem auf dem 2011er-Album „It All Starts With One“ - funktioniert dies dampfend Elixier meist betörend und gut verstörend, live werden die oft sehr kleinteilig und detailverliebt arrangierten Stücke vom Wind verblasen. Es ist schon eine sehr theoretische Musik, die dem fleischeslustigen Spirit eines Großfestivals nicht unbedingt in die Arme spielt. Irgendwo hat jemand, hinter vorgehaltener Hand, „Kate Bush“ geflüstert.
Bob Mould – immerjunge Musik
Man darf sich auch da und dort schlicht freuen, wenn Legenden wieder einmal auftauchen. Man muss nicht immer gleich den Geist der bösen Retromania beschwören. Bob Mould ist so eine, hier soll es noch einmal in deutlichen Lettern geschrieben stehen: Legende. Wer mit dem Werk seiner Band Hüsker Dü in den frühen 80ern oder auch vielleicht zwanzig Jahre später, es kann immer wieder weltverändernd und aufrührend sein, aufgewachsen ist, wird über Nirvana eventuell ein bisschen den Kopf schütteln wollen. Das gemeinsam mit dem Bassisten Greg Norton und Drummer sowie gleichberechtigtem Songwriter Grant Hart betriebene Trio Hüsker Dü aus Saint Paul, Minnesota hat so einiges erfunden, vor allen Dingen, auf eine kurze, vereinfacht, sicherlich, Formel gebracht, ein Gleichgewicht, das die Härte und Energie von Punk und Hardcore mit der Melodieseligkeit von Pop magisch neu vereinen konnte.
Die aktuelle Tour von Bob Mould jedoch steht, von ein paar kurzen Tupfern abgesehen, nicht im Zeichen von Hüsker Dü, sondern seiner zweiten Band, Sugar. Und hier vor allem deren großartigen Debütalbum „Copper Blue“ aus dem Jahr 1992. Hier führte Mould fort, was er mit Hüsker Dü selbst vorbereitet hatte: Man nannte es damals wohl noch Alternative oder College Rock, im Falle von Sugar jedoch ohne doofe Pose. Bob Mould nun scheint weder altersmild noch bitter darüber geworden zu sein, dass ihm Legionen schlechter Jammerboybands die Lorbeeren geklaut haben. Großer Mann, großer kleiner Rock ohne Muskelspiel, aber mit Attitude und ewigen Liedern, die nichts, nichts, nichts von ihrer Strahlkraft verloren haben, live beispielsweise, wo fangen wir an: „Changes“ oder „If i Cant Change Your Mind“. Erwartungsgemäß interessiert das die Jugend von heute nicht gar so zahlreich, unsere Leidenschaft ist ihnen rätselhaft, dafür aber ist in der fünften Reihe Florian Scheuba beim „Abrocken“ zu erspähen. Altern in und ohne Würde. Bob Mould kann alles spenden.
Saint Etienne – Ein weicher Beat
Auf Legende folgt Quasi-Legende. Die englische Band Saint Etienne wird verehrt und geschätzt, der verdiente Massen-Erfolg hat sich dann aber doch nicht so ganz einstellen wollen. Zehn Alben haben Saint Etienne schon veröffentlicht, mal sehr gut, mal wunderbar, mal okay solide. Hier wird und wurde eine im Wortsinne merkwürdige Verwebung von smartem Pop-Song (gerne unter dem Vorzeichen der englischen Sixties) und den um die 90er-Wende populären Geistern von Acid House und Manchester Rave betrieben.
In der Live-Darbietung – natürlich wird die unkaputtbare Coverversion von Neil Young’s „Only Love Can Break Your Heart“ gegeben, der Fokus aber liegt, wie das so üblich ist, auf dem neuen, wieder sehr guten Album der Band - schwelgen, schweben und vibrieren Saint Etienne so abgeklärt und tatsächlich, ja, zauberhaft, dabei keineswegs belanglos - man möchte, ganz ohne Chemie, dafür mit Kaleidoskopen im Kopf und Botenstoffen des Honigs im Magen, beinahe den schon vierten oder gar fünften Summer of Love ausrufen. Aber ganz leise, es ist bloß ein Hauchen, ein Flügelschlag der Libelle, der die Welt – für ein paar Augenblicke immerhin – verändern kann. Vielleicht hat man es sich nur eingebildet?
The Asteroids Galaxy Tour - Schräger Funk?
The Asteroids Galaxy Tour haben sich nach dem Fahrplan „Partyband“ zusammengestöpselt. Die dänische, rund um die betont expressiv-schrille – heute im Silber-Spacesuit - Frontfrau Mette Lindberg arrangierte Combo bemüht einen an die Talking-Heads-Ableger Tom Tom Club oder auch eine englische Postpunk-Band der Sorte Maximum Joy angelehnten, eckigen Funk, bügelt aber gerade die so notwendigen Kanten weich und schiebt sich dann doch immer wieder ins allzu leicht konsumierbare Mittelmaß des Instant-Popsongs. Zwei Bläser blasen mal schief, mal dann doch am großen Showtreppen-Effekt einer nur oberflächlich glamourösen Samstagabendshow für die ganze Familie interessiert in alle leicht nachvollziehbaren 2nd-Hand-Soul-Hörner. Dies ist eine Band, die die Party rockt, die aber etwas kokett bloß so tut, als wäre sie schräg.