Erstellt am: 15. 8. 2012 - 21:02 Uhr
Teenage Rush
Cro hat so ziemlich alles richtig gemacht. Er hat ein paar coole optische Zeichen aus den Abteilungen Blog-Hype, Witch House und weirder Bastel-Elektronik in den HipHop überführt, er trägt Pandamaske, die anderswo eigentlich schon längst durch ist, mitten im Gesicht des Bärchens prangt ein aufgemaltes, auf den Kopf gestelltes Kruzifix. Die wahnwitzige Erfolgsgeschichte eines jungen Mannes, der den aggressiven Gangstern aus Berlin eine freundlich-flockiges Partygegengift in den deutschen HipHop gepflanzt hat. Deswegen ist der Platz vor der großen Bühne auch schon um 16 Uhr 15 extrem gut gefüllt.
Das FM4 Frequency Festival 2012
Der junge Stuttgarter hat sich in seinen unbekümmerten Sprudel-Limonade-HipHop Versatzstücke von Indierock, Bloc Party, Iggy Pops "The Passenger" und Aloe Blaccs "I Need A Dollar" einverleibt und kommt mit einer Leichtigkeit um die Ecke, wie sie vielleicht die Hamburger Mongo Clikke um die Jahrtausenwende oder auch die Native Tongues versprüht haben. Von "Conscious" Lyrics ist bei Cro aber bislang noch nichts zu erleben. Es geht um folgendes: Liebe und Liebelei, Party und, wie Cro auch auf der Bühne gerne sagt, "Mädels". Cro entertaint mit Band, treibt die hiphop-üblichen Call-and-Response-Spielchen mit dem Publikum, sagt "Alle Hände gehen hoch!" und erzählt den Witz "Kommt ein Pferd zum Arzt." Das ist die so ziemlich die allerbeste Nachmittagsmunterhaltung, die textlich - bislang noch - nicht immer ganz auf der Höhe der Reimkunst agiert und oft vom unfertigen Schnellschuß-Charme eines Mixtapes lebt. Aber das muss schon alles so sein. Musik in zu engen und unten eng zulaufenden Hosen und weißen Patschen, vermutlich Keds. Die ideologische Weiterführung von Will Smiths und Jazzy Jeffs "Summertime".
Ed Sheeran
Der junge englische Musiker Ed Sheeran bewegt sich zwischen dem fragilen Songwritertum eines Damien Rice und der Boyband One Direction. Im UK und auch anderswo ist das immens erfolgreich, kürzlich erst hatte Sheeran die Ehre im Rahmen der Olympischen Spiele in London mit einer Art Supergroup Pink Floyds "Wish You Were Here" zu performen. Dieses Lied könnte wohl auch als inoffizielles Motto für Sheerans Musik herhalten. Man soll den Mann aber nicht gleich vorschnell als wuscheligen Posterboy des juvenilen Herzschmerzs abtun, er hat ein paar sehr gute Lieder im Gepäck, die die ewigen Formeln der schmachtenden Singer/Songwriter-Trauerweide brechen - ein quirrliges, sympathisches Kerlchen ist er obendrein. Auf der Bühne steht er allein, jedoch munter, mit seiner akustischen Gitarre, loopt sich selbst und generiert aus Klopfgeräuschen Beats. Es wird halt mitunter immer ein bisschen zu Pub- und Straßenmusikantenmäßig gelitten und gegreint. Man möchte den guten Ed Sheeran nur mit den allerbesten Absichten unter die Kuscheldecke packen und ihm den Kopf streicheln. Ab das hat er, der nette Typ, freilich ja gar nicht nötig.
Dan Auerbach und Patrick Carney hören das nicht so gerne, wenn man ihre Band mit den White Stripes vergleicht. Nun gibt es zwischen den Black Keys aus Akron, Ohio und den White Stripes sicherlich genügend essentielle Unterschiede, andersrum gedacht jedoch haben die Black Keys mit den White Stripes mehr gemein als mit beispielsweise jeder anderen Band auf der Welt. Die Minimalbesetzung an Drums und Gitarre und Gesang forscht in den whiskey-schweren Kellern von Blues, Garagen-Rock und Holzfällerhemden-Punk. Dass die Black Keys mit ihrem mit voller Absicht doch recht simpel - das soll mitnichten bedeuten: langweilig - angelegten Soundentwurf überraschend erfolgreich geworden sind, Grammy verabreicht bekommen haben und Platten im Millionenbereich abgesetzt haben, mag nicht zuletzt mit ihren Live-Qualitäten zu tun haben. Vor allem auf der Bühne nämlich sind die Black Keys eine Erscheinung. Hier ist das Wort "Energie" nicht bloße Floskel.
Black Keys
Die Black Keys haben die feinen Fäden und die Zerbrechlichkeit der Soul Music in ihre Platten gewoben oder diesen in Zusammenarbeit mit Überproduzenten Danger Mouse kleine experimenterelle Girlanden verpasst und da und dort Richtung Spaghetti-Western gedeutet, mit ihrem aktuellen Album "El Camino" ist ihnen ihre bislang stimmigste Symbiose aus Hauruck-Rock und leisen Ausweitungen ihres Klangspektrums in abenteuerlichere Gefilde geglückt. Live speist sich das Set so auch hauptsächlich aus "El Camino" und dem Vorgänger "Brothers". Unterstützung bekommen Auerbach und Carney über weite Strecken des Konzerts von einem Bassisten und einem Mann an der Orgel, die Bühne zieren überdimensionierten Stehlampen, die bei schon langsam abdimmendem Tageslicht aber doch noch nicht ganz so gut zu leuchten scheinen. Die kompakte Kraft der Black Keys kommt aber am Besten zur Geltung, wenn das Kernduo zu zweit, ohne Mithilfe anderer Kräfte, die Essenzen aus der guten alten Macht Rock'n'Roll herausschält. Hier kann man sehen, dass Raw Power nicht immer mit dem Fleischerhammer verabreicht werden muss. Rockmusik - so geht sie.
The Killers
Bei den Killers ist alles über die Maßen aufregend, in beide Richtungen, und groß; 500 in Popbrillanz gefrachtete bengalische Feuerwerke und der wildeste Sonnensturm der Emotionen. Die Band The Killers stammt bekanntlich aus Las Vegas, wo alles funkt und sprüht. Dem ollen Symbol für die wild aus dem Ruder laufende Party, ein ganzes im Automatenslot verschenktes Leben und den wenig schüchtern aufgetürmten Pomp. Die Killers machen Musik für den Krieg, auch wenn sie – wie es in ihrer schönen und schön rührenden Nummer „All These Things That I’ve Done“ in einem wunderbar patscherten Wortspiel heißt – keine „soldiers“ sind, sondern doch bloß „soul“ haben.
Die Killers haben Seele oder immerhin das exzessive Vorgaukeln davon mit allen Bühnentricks, Lichtern und Spiegeln gut gelernt. Sänger und Frontmann Brandon Flowers trägt seine zur Konsumation apart aufgespritzte Seele auf der Zunge. „All These Things That I’ve Done“ wird an diesem Abend mit Mitsingeinlage des Publikums das reguläre Set der Killers beenden, die Bühne betritt die Band kurz vor 9 Uhr jedoch mit dem höchstmöglichen in Songform gegossenen Fanfaren- und Paukenorchester: „Runaways“.
„Runaways“, die aktuelle Single der Killers; der Vorbote zum demnächst erscheinenden, vierten Album der Band namens „Battle Born“. „Battle Born“ so heißt das Studio der Killers, „Battle Born“, so steht der Slogan auf der offiziellen Flagge ihres Heimatstaates Nevada eingeschrieben – mit dem Druckbleistift wird hier nicht gezeichnet. Ebenso „Runaways“: „Runaways“, alleine der Titel. Schwingen hier nicht in jedem Menschen unzählige - freilich jedem seine individuell verschiedenen - Bilder und Erinnerungen wohlig durch den Geist? Jugendbanden, Teenagerdramen, Ausreißen von Zuhause, Messerstechereien, Motorräder, Moped? Lederjacke mit Fransen und Bon Jovi. In der Kunst oder im echten Leben erfahrene Zwischenfälle der Jugendsehnsucht. Filme mit dem frühen, halbstarken Matt Dillon oder Ralph Macchio?
„Runaways“ , es ist der beste Popsong des Jahres, ist ein einziges Gefäß für Bilder der Popkultur, ein Song über Popsongs, jede Zeile hier war schon einmal Liebeslied. In erster Linie ist „Runaways“ eine Update von Bruce Springsteens Album „Born To Run“, und hier vor allem von „Thunder Road“: Brandon Flowers imitiert nicht nur stellenweise die Phrasierung des ewigen Bosses und rettet Schlüsselwörter wie „ghost“ und „haunt“ in den eigenen Song hinüber – das Thema des ganzen Stücks ist nahezu dasselbe: Die jugendliche, eventuell unvernünftige Liebe und das gemeinsame Aufbrechen, die Flucht aus dem echten oder immerhin als solchen empfundenen Mief. „Runaways“ spiegelt die Euphorie des Aufblühens und des Weiterkommens, blickt aber auch jäh in die Zukunft: an den Punkt, an dem die Harmonie sich abgewirtschaftet hat: „We Got Married On A Friday Night“, singt Flowers, „I Swore On The Head Of Our Unborn Child, That I Could Take Care Of the Three of Us“, diese schmalzig-klischeehaften Zeilen, um dann in dem schelmenhaftesten, witzigsten, so also auch traurigsten Euphemismus für sein Dasein als Hallodri zu enden: „But I Got The Tendency To Slip When The Nights Get Wild.“
Musikalisch ist das so perfekt nach Handbuch umgesetzt, in bestem 80er-Jahre-Schwülst, in Toto-haftem Pop/Rock mit Synthesizer-Erdbeerfeldern, Pre-Chorus, Super-Bridge und Hyper-Chorus, dass einem gar schwindelig wird vor Reizschock. So ein Lied wäre U2 und Coldplay wohl unangenehm, für die Killers ist es selbstbewusstes Statement und die Kulmination aller Gründe, weswegen wohl überhaupt jemand die Killers jemals super gefunden hat. Too much ist gerade richtig.
APA/Herbert P Ofzeret
Die Zerrissenheit ist das Thema der Killers. Ein Leben, Leiden und Jubilieren zwischen Penthouse, Casino und High-End-Fashion-Show hier, und Wüste, Dürre und von den Goldgräbern zurückgelassener Geisterstadt da. Eine wirklich gute, über die ganze Länge das hohe Niveau der Hitsingles haltende Platte haben die Killers innerhalb dieses Gefühlsdilemmas noch nicht zustande gebracht: Das Debüt „Hot Fuss“ wollte meist New Order sein, war aber nicht selten bloß das Parfum von Duran Duran, nicht jedoch deren feines Songhandwerk.
Der Zweitling „Sam’s Town“ gab sich erdiger, wollte reflektierter, erwachsener sein. Das erste Mal riefen hier die Killers überdeutlich den großen Gott Springsteen an, man trug Karohemd und den von Kentucky Fried Chicken’s Colonel Sanders geborgten Schnurrbart. Album Drei versuchte eine vage Einigung der Styles und endete im soliden Durchschnitt. Wenn aber nun die Killers ihre drei, vier herausragenden ewigen Popsongs pro Album zu einem Konzertabend, wie eben auch heute, verdichten, so ist dies die aromatischste Geschmacksimplosion in allen Farben, die derzeit zu erleben ist.
Der frühe Hit „Somebody Told Me“ ist vielleicht ein wenig schlecht gealtert, sonst aber schmiegen sich die Höhepunkte aneinander: „Read My Mind“, „Mr. Brightside“, das ja - Destiny is calling me – auch nicht gerade die kleinen Gesten bemüht, wird wohl nie an billiger Pracht und Glanz verlieren, und vor allem „Human“ - auch so ein Theme-Song der Killers: „Are We Are Human Or Are We Dancer?“ Sind wir Vernunft oder Ekstase, beides sind wir, natürlich. Dazwischen gibt’s eine, in wie in Anton-Corbijn-Licht getauchte Coverversion von „Shadowplay“ von Joy Division und als knappe Interlude „Forever Young“ von Alphaville. Zeichnet sich ein Topos ab? Brandown Flowers gibt derweil den zwischen eitlem Geck und Gockel hin und her gerissenen performenden Performer.
APA/Herbert P Ofzeret
Die Killers beenden den Abend mit einem ihrer besten Stücke; einem Stück, das wiederum das ganze Werken und Werk, das Jammern, das Jauchzen und das ganze Sich-Spüren, ein ganzes Leben schon alleine in den Titel eingeschrieben hat: „When You Were Young“.
Wenn es eine einzige Band geben muss, die auch weiterhin die opulentesten Stadienbauten von Kuala Lumpur bis Buenos Aires mit rosafarbenem Dampf, Duft und abertausenden von glücklichen Menschen füllen soll, dann mögen es The Killers sein. Dies ist – nicht in schnöden, kalten Zahlen, pah! - die momentan größte Band der Welt. Sie will nichts anderes, sie weiß es. Im Video zu „Runaways“, das übrigens bildreich diesen Status untermauert, steht Brandon Flowers, der den ganzen Clip über spielerisch betörend zwischen dem ihm typischen Blick des Größenwahns und sich selbst belächelnder Weinerlichkeit changiert, in einer Szene, mit Lederjacke bekleidet, mit dem Rücken zum Betrachter und blickt in eine bildschirmfüllende Explosion. Cool Guys Look At Explosions. Aber der todesmutige Blick ins Auge der Apokalypse allein genügt den Killers nicht; Brandon Flowers, der zerbrechliche Prinz, deutet mit seinem Finger - es ist die wohl prächtigste Geste aller Zeiten - mitten hinein in die Explosion. Es ist gerade so, als wolle er den Flammen und dem Rauch seinen und den Triumph seiner Band erklären.