Erstellt am: 13. 8. 2012 - 19:02 Uhr
Das Dings aus dem All
"Mit sechs Jahren hab ich zum ersten Mal einen Film von Godard gesehen, mit acht lernte ich die Filme Ingmar Bergmanns kennen und mit 14 wollte ich Regie führen", so fasst Julie Delpy ihre filmische Prägungsphase zusammen. Mit 14 führt sie zwar dann noch nicht Regie, spielt aber bereits unter Godards Regie in "Detectives". Programmkino-Zehnerblock-Besitzer verfallen ihr mit "Homo Faber" und "Drei Farben: Weiß" und 1997 rafft sich auch das Grunge-geprägte Filmpublikum zu einem kollektiven Wow auf. Da schmust, philosophiert und spaziert sie als eloquente Celine durch Richard Linklaters Zeitgeist-Miniatur "Before Sunrise".
Delpy steuert auch Ideen fürs Drehbuch bei und fünf Jahre später gibt es mit "Looking for Jimmy" dann den ersten Spielfilm, geschrieben und inszeniert von Julie Delpy. Bis heute hat sie sieben Mal Regie geführt und jedes Mal auch das Drehbuch beigesteuert. Sie hat zuviel Interesse an Sprache und eigene sprachliche Theorien und Vorlieben, als dass sie das jemandem anderen überlassen würde. Wenn man ein bisschen gemein ist, so findet sich schon im Titel ihres ersten Kurzfilms ein gemeinsamer Nenner für ihr Oevre: "Blah Blah Blah".
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Redefluss abwärts
Delpys Filme sind randvoll mit Dialogen, mit Redeschwällen, einanderüberlappenden Sprachfetzen. Neurotisch angefütterte Wortwechsel sind nicht das einzige, was ihre Filme immer wieder Vergleichsfäden zu Woody Allen spinnen lässt. Auch Delpys Leinwand-Alter-Egos haben Gemeinsamkeiten mit den zappeligen Großstädtern von Allen. Da ist die schwarze Hornbrille, die in "2 Tage Paris" und "2 Tage New York" Delpys Nase ziert, nur mehr das Tüpfelchen auf dem Hommage-"I". Die oft krampfige Suche nach autobiografischen Spuren im Werk eines Regisseurs, Julie Delpy fordert sie geradezu heraus, nicht nur, weil sie ihren Vater Albert Delpy bereits zweimal auch als Vater ihrer Leinwandfigur engagiert hat.
Le Skylab
In "Le Skylab" verstrickt die Französin Kindheitserinnerungen zu einer Komödie. Es ist der Sommer des Jahres 1979, Oma feiert Geburtstag in der Bretagne und die Verwandtschaft versammelt sich, um zu feiern. Der deutsche Titel "Familientreffen mit Hindernissen" formuliert schon alle Zweifel aus, die man bei der Kurzbeschreibung haben kann. Gefühlt jeder zweite europäische Film dreht sich um vermeintlich chaotische Familien, in denen dann leere Worthülsen, Länderklischees und matte Pointen aufmarschieren. So unoriginell und nichtssagend wie eben auch dieser deutsche Titel klingt.
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Bei Julie Delpy liegt die Sache aber dann doch ein wenig anders. Und das fängt im Titel an. "Le Skylab" bezieht sich auf ein Nasa-Shuttle, das eventuell in jener Sommernacht in der Bretagne aufschlagen soll. Jahrhunderte nachdem die Gallier also Angst hatten, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt, schwebt nun diese Bedrohung über den französischen Häuptern. Die einzige, die diese Nachricht allerdings mit Besorgnis aufnimmt, ist die 11jährige Albertine, Tochter eines offenherzigen Schauspielerehepaars und Julie Delpys Alter Ego. Durch eine Brille und mit einer guten Portion Skepsis beobachtet die belesene Albertine die Erwachsenen.
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Pastis trinkende Tanten, die die Todesstrafe befürworten, wortkarge Onkel, die am Grill stehen, heimlich rauchende Cousins und der verwirrte Großonkel, der nicht mehr so ganz genau weiß, wer hier wer und warum er da ist. Klingt alles nach dem üblichen Personen-Sortiment der europäischen Familienkomödie, aber Delpys Herangehensweise unterscheidet "Le Skylab" von Filmen mit ähnlichen Ausgangssituationen. Sie verzichtet auf einen großen dramaturgischen Bogen, auf Läuterungen oder große Enthüllungen. Kleine Szenerien reihen sich aneinander, ein Tag, der von Essensabfolgen und kurzen Regengüssen bestimmt wird. Die Politik sitzt hier genauso bei Tisch zwischen Onkel Fredo und Tante Clémentine wie der Sex. Ein Streit über den Algerienkrieg wird vom Ruf eines Mädchens unterbrochen, dass es nun endlich die Regel bekommen habe. Der tabulose Redefluss plätschert ohne große Dramenwasserfälle dahin, einzig die Thematisierung des Traumas von Onkel Roger, einem ehemaligen Soldaten, bricht abrupt von der Komödie ins Drama ab und wirkt ein wenig an den Rest drangeklebt.
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Julie Delpy und Eric Elmosnino spielen Albertines Eltern, Schauspieler und für einen Teil der Familie die rote Gefahr höchstpersönlich. Bei Tisch brüllt man sich über Kolonialnostalgie und den Algerienkrieg an, bis Oma auf den Tisch haut. Soweit, so üblich in der bildungsbürgerlichen, europäischen Komödie. Schön allerdings ist der Blick von Albertine, die plötzlich die Locken und den Schnurrbart des kecken Onkels Loulou bewundert und im Erdboden versinken möchte, als sie einen gleichaltrigen Schönling ausgerechnet am FKK Strand trifft. Albertine fühlt sich reif und weise und steckt im Körper eines doch eher ungelenken Kindes, schwankend zwischen Neckereien mit der Cousine, eben jenem seltsamen Herzklopfen und der leisen Sorge, dass der Nasa Satellit ohnehin alles auslöschen wird, noch bevor sie geküsst hat.
Angst vor dem Tod, Neugierde auf Sex und eine Brille auf der Nase: Auch in Albertine steckt ein Hauch von Woody Allen. Und, wenn Delpys kühnster Traum wahr wird, dann steckt bald ein echter Allen in ihrem Film. Delpy plant einen Film namens "Virgo Rising" und will Woody Allen darin besetzen, nur der Mut, ihn zu fragen, fehlt noch: "I don’t know if I’ll ever dare to offer him the part." 2013 widmet sich Delpy wieder den französisch-amerikanischen Beziehungen und wird ein drittes Mal unter Richard Linklater auf Ethan Hawke treffen. In welcher Stadt und wie es nach "Before Sunrise" und "Before Sunset" in Teil Drei um den Sonnenstand steht, steht noch in den Sternen. Gleich neben dem Skylab-Satelliten.