Erstellt am: 14. 8. 2012 - 17:57 Uhr
Glück ist, wenn das Schlimmste nicht passiert
Am Anfang steht eine Zeitungsnotiz: ein 17-jähriger Moldauer habe einen 30-jährigen Rumänen in Graz-Gösting niedergestochen. Mit fünf bis acht Messerstichen habe er, der 17-Jährige, ihn, den 30-Jährigen niedergestreckt. Der habe sich noch ein Stück weitergeschleppt und sei dann zusammengebrochen. Details zur Tat, aber nichts darüber, wie es dazu gekommen ist. Diese beispielhafte Zeitungsnotiz steht am Beginn des Romans "Geschwister“ des Grazer Autors Markus Mörth.
edition keiper
Glück bedeutet, wenn das am schlimmsten zu Befürchtende nicht eintritt, sagt der Großvater. Eines Tages wird er von nicht näher spezifizierten Militärs zu Tode gefoltert. Seine Enkelkinder Bebe und Mikhael überleben die Folter und fliehen. Auf die Flucht nimmt die ältere Schwester Bebe ein Säckchen Erde vom Grab des Großvaters mit.
Sie organisiert die Flucht, befreit den kleinen Bruder, als er sich bei der nächtlichen Donauüberquerung in Fischernetzen verheddert, lässt ihn in ihrem Bett schlafen.
Nach einem holprigen Anfang mit eigenwilligen Metaphern - etwa dem Vergleich von Mikhaels „verlorenen“ Augen mit „kleinen Brombeeren in der hellen Gischt eines Flusses“ – beschreibt Markus Mörth in reportagehaftem Stil eine atemberaubend anstrengende Flucht. Bebe gerät in die Hände von Menschenhändlern, die sie bis nach Graz verfolgen werden; und ein LKW-Fahrer, der die Geschwister in eine Kiste einpfercht, nimmt ihnen all ihr Geld ab.
Der Roman ist aus einem Drehbuch entstanden, für das der Autor im Jahr 2011 den Carl Mayer Förderungspreis der Stadt Graz erhalten hat. Im Roman nimmt das Drehbuch teilweise überhand, diverse Drehanweisungen verstellen einen möglichen Interpretionsspielraum und der allwissende Autor kann in die Herzen und Köpfe der Geschwister genauso wie in jene der österreichischen Asylbeamten hineinschauen kann. Als Drehbuch und im Film mag so etwas funktionieren, im Roman wirkt es eher altbacken und holprig, wenn Bebe etwa vor einer Glastür steht, anklopft, eine Frau ihr winkt, einzutreten, ihr befiehlt, die Tür zu schließen und sie tut, „wie ihr geheißen.“
Es ist zwar eine Ankunft, in Graz im Flüchtlingsheim, aber die Odyssee der Geschwister hat kein Ende. Deutsch lernen, auf Asylbescheide warten, illegal Geld verdienen. Mikhael, der sich als Zeichengenie entpuppt, wird zusehends depressiv und seine Schwester beginnt sich aus der tragischen Abhängigkeit zu befreien.
So erfahren wir, wie es zu der auf drei Absätze einer Zeitungsnotiz reduzierten Messerstecherei kommen konnte. Gegen Ende der Geschichte erscheint Mikhael der Großvater in einem Traum. Man solle Uhren nicht mit dem Hammer reparieren, empfiehlt er. Da ist es schon zu spät.