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Alex Wagner

Zwischen Pflicht und Kür

12. 8. 2012 - 13:05

Things will never be the same

Kazoo, Dating-Regeln und akustische Schallenergie. Das FM4 Wochenende am Poolbar Festival mit Effi, Speech Debelle und Jon Spencer Blues Explosion.

Auf den ersten Blick scheint das Line-Up vom Samstag wenig durchdacht: Was haben die österreichischen Indie-Poprocker Effi, die Londoner HipHop-Künstlerin Speech Debelle und das 90er Jahre Rock-Urgestein Jon Spencer Blues Explosion gemeinsam? Wie sollen sie in der Lage sein, ein und dasselbe Publikum einen Abend zu unterhalten? Kann dieser "Crossover" funktionieren? Die Details:

"We Got Love"

Die Erwartungen gering halten und dann alle überraschen, das war wohl die Taktik von Effi am gestrigen Abend. Keine zehn Minuten vergehen und die Band entschuldigt sich, sie wären ein wenig geschlaucht. Der Grund: Haldern Pop und eine zehn Stunden Fahrt inklusive Stau am Pfändertunnel. Ein kleines Raunen geht durchs Publikum, die ein oder andere will Effi wohl am liebsten umarmen, Mitleidsstimmung flattert in der Luft.

Und dann legen sie los, die Effis, zunächst wie eine frische Sommerbrise mit schmusigem Ozeanpop. "We got Love" appellieren sie eindringlich. Und von Nummer zu Nummer kommen mehr Fans, das Hallenbad füllt sich.

Das FM4 Wochenende am Poolbar Festival

Und plötzlich: Kompletter Stimmungswechsel. Extase flüstert der Effi-Sänger, knöpft sich den obersten Knopf seines Hemdes auf, geht auf eine Frau im Publikum zu und tanzt mit ihr eng und sexy. Es knistert. Seine Augen glitzern, die Fans tanzen mit den beiden. Am Frühstückstisch heute höre ich, dass das Buhlen anscheinend jedoch vergebens war.

"Denjenigen, den ich vorher beim Tanzen an den Hintern gegriffen hab: es tut mir leid!", sagt der Frontmann und tut so, als ob er es ernst meint. Die Fans durchschauen ihn.

Und dann wird die Ukulele ausgepackt und "Happy" gespielt. Spätestens jetzt tanzt die ganze Halle. Die Blechbläser kommen dazu, das Kazoo ertönt und die Mundharmonika darf auch nicht fehlen. Der Sound wird dichter.

"Danke für die schöne Zeit, danke für die Blumen und für die Musik" - eingesungen und geloopt, der Abschlusstrack. Theaterverbeugung. Danke, Jungs.

"I live for the Message"

Die aus London stammende Speech Debelle mit jamaikanischen Wurzeln war mit 19 Jahren obdachlos, hatte Probleme mit ihrer Familie - ihre Vergangenheit hat sie im ersten Album "Speech Therapy" verarbeitet und wurde dafür mit dem Mercury Award ausgezeichnet. Im aktuellen Album "Freedom of Speech" geht es eher um globale Probleme, wie die Krise in Lybien und die Arabische Revolution. Obwohl sie weiß, wie wichtig die Botschaft in ihren Songs ist, wird ihr das manchmal zu viel. "30% message, 70% fun", ist Speech Debelles Motto. Und so fordert sie das Publikum immer wieder auf "Enjoy yourself!"

Allerdings braucht das Publikum etwas, um sich auf die HipHoperin einzulassen. Der Umstieg von Effi auf Speech Debelle scheint eine Zäsur zu sein. Erst langsam wachen die Zuschauer auf. Spätestens aber, als sie aus Tribut an 2Pac "Changes" anstimmt, finden die Fans ihren Zugang zur Londonerin.

An Vorarlberg liebt Speech Debelle, dass die Menschen freundlich sind und die wunderschöne Natur. In London lächeln die Leute nicht, Bäume sind rar und die Seen sind voll von benutzten Kondomen und Cracknadeln.

Immer wieder wird das Konzert unterbrochen, etwa um eine Runde zu trinken. "Prost" ruft die Band ins Publikum, kurz kommt man sich vor wie am Stammtisch. Oder für Speech Debelles Dating Rules. So fragt sie, ob heute ein Paar im Publikum wäre, das noch nicht lange zusammen ist, vielleicht sogar das erste Date hier in Feldkirch verbringen und das etwas ganz besonderes erleben will. Die Band spielt cheesy Romantik-Fahrstuhlmusik. Ein Paar meldet sich, es soll nach vorne kommen. Wie lang es zusammen wäre - noch nicht lange, lügt das Paar. Speech Debelle lacht und sucht nach anderen Freiwilligen. Zwei Männer und eine Frau melden sich, "Oh, you´ve got a threesome? It´ll be hard to say, who´s the father if you become babies..."

Nicht unerwähnt soll hier der unfassbar supere Drummer sein, überhaupt die ganze Band, die schon beim Soundcheck soviel Spaß miteinander hatte und aus wirklich guten Musiker besteht. Als Zugabe stimmt Speech Debelle "Spinnin" an, das als Pop-Coverversion die offizielle Hymne der Olympischen Sommerspiele 2012 ist. Nach einer Minute bricht Speech Debelle aber die Zugabe wieder ab, "Sorry, I forgot the lyrics", sagt sie und geht von der Bühne.

"Put your Hands up in the Air"

Krawall, Krach, Action. Der Auftritt von Jon Spencer Blues Explosion wurde wohl von den meisten am gestrigen Abend erwartet. Zwanzig Jahre sind sie bereits im Geschäft, auf zehn Alben können sie zurückblicken. Nach längerer Pause erscheint im Herbst ein neues Album mit dem vielversprechenden Namen "Meat & Bone".

Innerhalb weniger Minuten schafft es das Trio, den Pool zum Sieden zu bringen. Schweißtropfen spritzen weg vom Frontmann, Jon Spencer Blues Explosion machen ihrem Namen alle Ehre. Man kann ihnen zwar ansehen, dass sie etwas ins Alter gekommen sind, aber sie wissen, wie man Energie auf der Bühne kanalisiert. Die Hände fliegen in die Höhe, headbangen, abshaken.

Interlude

So unterschiedlich die Bands des gestrigen Abends auch waren: an einem nächtlichen Intermezzo konnte man doch spüren, dass sie harmonieren. Während Philipp L´Heritiers DJ-Gig kam nämlich irgendwann Speech Debelle auf die Bühne und unterstützte ihn mit Rap-Einlagen, die Blechbläser von Effi standen plötzlich auch auf der Bühne, immer mehr wurden es und gemeinsam fusionierten und harmonierten sie wunderbar. Ein kleines Highlight des FM4 Wochenendes am Poolbar Festival.