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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

10. 8. 2012 - 23:10

US-Patriotische Schmutzwäsche

American Exceptionalism. Oder: Wenn das Sport-Outift auf Stars & Stripes pfeift, verteilt Fox News keine Medaillen.

Mittlerweile müssen die US-Medien nicht mehr schummeln, wenn es um den Medaillenspiegel der sich zu Ende neigenden Olympics in London geht. Mittlerweile haben die US-Athleten nämlich auch in der offiziellen Wertung die chinesischen Sportler überholt. Noch bis Mittwoch lag die rote Nemesis vorne - zumindest laut Rechnung des Internationalen Olympischen Kommitees (IOC). Dort gibt die Anzahl der Goldmedaillen den Ausschlag. Und China hatte bis vorgestern mehr von diesem Edelmetal umgehängt bekommen als jede andere Nation. Die IOC-Methode wird - bis auf die USA und Russland - von allen Teilnehmerländern akzeptiert. In amerikanischen Medien hingegen sticht die Gesamtzahl der Medaillen die Anzahl der Goldenen aus. Bereits bei den Spielen in Peking vor vier Jahren gab es somit zwei Gewinnernationen. China mit 51 Goldenen und die USA mit insgesamt 110 Medaillen.

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"soft anti-Americanism"

Möglich ist die patriotische Auslegung deshalb, weil es laut IOC keine verbindliche Methode zur Eruierung des Medaillenspiegels gibt. Die US-Medien verteidigen ihre Zählung mit dem Hinweis auf die Übernahme der Daten von der amerikanischen Presseagentur AP. Jene gibt wiederum an, schon seit jeher die Gesamtzahl der Medaillen als Bewertunsgrundlage heranzuziehen. Mit Stand Freitagnacht liegen die USA nun auch bei den Goldenen mit 41:37 vor China. Uncle Sam kann also kurz vor dem Zielsprint zufrieden sein. Wer am Ende als Gewinnernation im Zielauslauf verschnaufen wird, wissen wir am Sonntag. Fakt ist, die amerikanische Zählweise begünstigt die Statistik des US-Teams.

Stoff für Legenden

Das Beispiel Medaillenspiegel ist in Sachen Patriotismus und Sport für US-Verhältnisse nichts Außergewöhnliches. So rückt etwa das die Olympics übertragende TV-Netzwerk NBC die US-Athleten dermaßen in den Mittelpunkt, dass wichtige Entscheidungen, bei denen andere Nationen favorisiert werden, einfach nicht auf Sendung gehen. Für Empörung beim Gastgeber England sorgte die Ausblendung der Trauerfeier für die Toten der Anschläge von London im Jahr 2005 während der Eröffnung der Spiele. NBC verkauft dem US-Publikum auch immer wieder bestimmte Quotenbringer als Live-Events, die schon längst gelaufen sind. Wenn z.B. seit Stunden eine Medaille um den Hals von Michael Phelps baumelt, setzt er im TV gerade erst zum Sprung ins Wasser an. Davor gibt's in der Berichterstattung bloß Standbilder zu sehen.

Für Gelächter, Staunen und die üblichen Aufreger sorgte hingegen einmal mehr der stramm konservative TV-Sender Fox News, im liberalen Volksmund auch „Faux News“ genannt.

Dort unterstellte David Webb, ein der Tea Party zugehöriger Kommentator, den US-amerikanischen Sportdressen „unpatriotisches, antiamerikanisches“ Verhalten. Richtig gelesen. Nicht den Funktionären oder Sportlern, das sind ja schließlich Helden, sondern bloß deren Arbeitskleidung.

Während die Chinesen mit ihrem Rot eindeutig Farbe bekennen würden, vermisse man auf den Outfits vieler US-Athleten „Stars & Stripes“. In Hinblick auf die pinken Bodies und grauen Trainingsjacken der erfolgreichen Turnerinnen wurde auch die Absenz der Farben „red, white and blue“ bekrittelt. Selbstverständlich ginge es dabei nicht um Politik, „but „they“ make a social issue out of it“, wie Webb feststellte. Ein bisschen traurig sei das schon.

Der Fox-Pundit nahm in seiner Klage einige Male ein Wortkonstrukt in den Mund, das im laufenden, nur bedingt sportlichen Präsidentschaftswahlkampf immer häufiger zu hören ist und dort immer wieder gegen Präsident Obama in Stellung gebracht wird: „American Exceptionalism”.

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American Exceptionalism

Der Grundgedanke dieser Phrase wird auf den französischen Historiker und Denker Alexis de Tocqueville zurückgeführt, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts als einer der Ersten den Geist der US-amerikanischen Demokratie beschrieben hat und sie von den Voraussetzungen und ihrer Ausrichtung als „einzigartig“ also "exceptional" bezeichnete. Doch ausgerechnet Josef Stalin gilt als offizieller Urheber des Begriffes. Man kann davon ausgehen, dass der russische Diktator den American Exceptionalism nicht positiv verstanden wissen wollte. Eine weitere Neudeutung fand durch die Neocons im Post-9/11 Amerika statt, als man die Waffengänge im Irak und Afghanistan auch mit der Kolonialisierung amerikanischer Werte („Democracy Building“) zu rechtfertigen suchte. In dieser Schule erhielt der ursprüngliche Gedanke der „Einzigartigkeit“ einen patriotischen Spin in Richtung „Überlegenheit“, mittels der wohl auch das angeschlagene Vetrauen in die Nation wiederhergestellt werden sollte.

Präsident Obama kann mit der Worthülse eher weniger anfangen. Auf eine diesbezügliche Journalistenfrage antwortete er 2009, dass er an den American Excepitonalism höchstens in der Art und Weise glaube, wie ein Brite an den Britischen und ein Grieche and den Griechischen. Das ging für die politische Konservative in den Staaten natürlich gar nicht und bestärkte jene in ihrem Verdacht, die glauben, dass der Amtsinhaber gar kein „echter Amerikaner“ sei. Auch deshalb wird uns der Begriff im laufenden Wahlkampf immer häufiger begegnen.

Aber zurück zum Sport. Dort fielen die Worte des Fox- News-Kommentators (wohl eher zufällig) auf fruchtbaren Boden. Denn schon wenige Tage nach seiner Mahnung sah man die amerikanischen Turnerinnen plötzlich in ganz und gar patriotischer Stars & Stripes-Aufmachung Salti schlagen. Ein Wermutstropfen bleibt freilich. Einige Sportuniformen und Outfits des US-Teams wurden in China genäht. Auch so ein Skandalthema - allerdings bereits vor der Eröffnung der Spiele empörungsbewirtschaftet. Immerhin ist das für das freie Auge unsichtbar. Und dem Medaillenspiegel ist es wohl auch egal.