Erstellt am: 10. 8. 2012 - 11:46 Uhr
Die Götter müssen verrückt sein
Ich für meinen Teil kann wirklich nicht behaupten, zu den eingefleischten Fans von Sir Ridley Scott zu zählen. Der letzte Film des Briten, der mich einigermaßen berührte, war der Horrorthriller "Hannibal" Anno 2001. Aber das hauptsächlich, weil ich auf Bilderbuch-Romantik und Kannibalismus im Kino stehe und Hannibal Lecter hier unschlagbar fand.
Danach kam eigentlich nichts Aufregendes mehr, viele Ärgernisse und Belanglosigkeiten. Einige Momente in "American Gangster" rockten vielleicht, trotzdem hätte ich mir den Film lieber von Martin Scorsese gewünscht. Auch davor werde ich in Scotts Filmografie punkto Begeisterung nicht so leicht fündig: Ich liebe zwar die Blackmetal-artige Eröffnungssequenz von "Gladiator", mag die überbordende Sentimentalität in "Thelma & Louise", finde den Neon-Look von "Black Rain" ziemlich lässig. Die einzigen Ridley-Scott-Werke aber, die in meiner cineastischen Ewigkeits-Liste auftauchen, ihr ahnt es schon, entstanden in seiner Frühzeit, direkt hintereinander:
"Blade Runner" von 1982 besticht als Neo-Noir-Monument, in dem Melancholie und Futurismus zu einem hypnotischen Tagtraum verschmelzen.
Vor allem aber "Alien", drei Jahre zuvor entstanden, veränderte auf extrem spannende Weise - und sicher nicht nur für meine Wenigkeit - die Parameter des Science-Fiction und Horror-Kinos.
Centfox
Schrecken und Schönheit
Mit "Alien" hat Ridley Scott 1979 ein bis heute faszinierendes Hybrid aus Science Fiction- und Horrorelementen erschaffen: Als das Raumschiff Nostromo auf einem fremden Planeten landet, kommt ein ungebetener Gast an Bord. Aus dem Bauch eines Besatzungsmitglieds bricht ein Wesen, das sich in kurzer Zeit in eine schleimige Kampfmaschine verwandelt. Nur ein Besatzungsmitglied überlebt das Massaker: die mutige Pilotin Ripley alias Sigourney Weaver.
In James Camerons extrem spannender Fortsetzung "Aliens" kehrt Ripley zurück. Die einflussreiche Weyland-Corporation, stellt sich heraus, will einige der Monster auf die Erde bringen, um sie als Biowaffen zu verwenden, eine Gruppe Siedler wird dabei gnadenlos geopfert. Ripley sabotiert die Pläne, es spritzt viel grünes und rotes Blut.
David Fincher gelingt mit dem unterschätzten dritten Teil ein apokalyptisches Industrial-Kammerspiel. Erst der französische Regisseur Jean-Pierre Jeunet vergreift sich bei "Alien Resurrection" im Tonfall und macht aus den unheimlichen Wesen ironische Comicmonster. Mit der "Alien vs. Predator"-Reihe werden die Bestien aus dem All endgültig der Lächerlichkeit preisgegeben.
Die Geschichte hätte damals simpler nicht sein können: Eine Gruppe von Astronauten kämpft an Bord eines Raumschiffs gegen eine außerirdische Bedrohung. Was Ridley Scott 1979 aber aus dieser Idee machte, beeindruckt noch immer. Die Kamera, die gewandt durch enge Räume schwebt, das zeitlose Dekor, die grausige Eleganz des Giger’schen Monsters, all das begeistert bis zum heutigen Tag. Nicht zu vergessen das großartige Ensemble, angeführt von der toughen Sigourney Weaver.
"Alien" spielt in einer ganz eigenen Liga. Auch im Vergleich mit den großteils umwerfenden Fortsetzungen. In denen gab es dann mehr Schleim und Blut und vor allem massive Action zu sehen. Sir Ridley gelang aber ein Film, der das Gegenwartskino beeinflusste und veränderte, eine Schnittstelle zwischen Kunst und Kommerz, Popkultur und Psychoanalyse, Schrecken und Schönheit.
Als der Regisseur vor längerer Zeit ankündigte, ins Weltall, wo dich niemand schreien hört, zurückzukehren, hinterließ das bei mir gemischte Gefühle. Einerseits freute ich mich, dass die geniale Saga endlich wieder einen notwendigen Schub Ernsthaftigkeit erhalten würde. Gleichzeitig konnte ich die eben beschriebene Skepis gegenüber Ridley Scotts Schaffen nicht verdrängen.
Centfox
Science Fiction für Erwachsene
Die Genrefans schienen sich jedenfalls ungebrochen auf "Prometheus" als filmisches Monumentalereignis zu freuen. Nach dem ersten Trailer und einer wieder mal hocheffektiven Viral-Kampagne fieberten sämtliche Geeks dem Streifen hysterisch entgegen. Als dann die ersten enttäuschten Vorabkritiken erschienen, machte sich plötzlich Niedergeschlagenheit breit. War es möglich, das Ridley Scott sein eigenes Gänsehaut-Vermächtnis beschädigt hätte?
Die Antwort ist wieder einmal: Alles eine Frage der Erwartungshaltung. Schon im Vorfeld wurden der Regisseur und sein Autor Damon Lindelof (der zu den zentralen Fädenzieher des TV-Wunders "Lost" gehörte) nicht müde anzukündigen, das "Prometheus" bestenfalls "Spuren von Alien-DNA" enthalte, aber einen ganz eigenständigen Weg einschlage.
Mit diesem Wissen im Kopf entfaltet sich auf der Leinwand ein Film, der zwar kein Meisterwerk wurde und tatsächlich das Alien-Universum nur streift, aber wohl zu den mitreißendsten Science-Fiction-Epen seit langer Zeit gehört.
In einem maßgeblichen Punkt knüpft Ridley Scott dabei tatsächlich an sein frühes Schaffen an: Die Geschichte des Raumschiffs Prometheus richtet sich an Erwachsene. Unzählige Lichtjahre von der Galaxis entfernt, in der sich infantile Star-Wars-Kreaturen tummeln oder John Carter sich mit Riesenkreaturen prügelt, wagen sich Scott und Lindelof auf bewusst heikles Terrain.
Centfox
Erinnerungen an die Zukunft
Der Schweizer Autor Erich von Däniken, mittlerweile halb vergessen, regierte einst den Bestsellermarkt mit seinen Büchern über das Themengebiet der Prä-Astronautik. Außerirdische, folgerte der umstrittene Mann in Werken wie "Erinnerungen an die Zukunft", hätten vor langer Zeit die Erde besucht und die Entwicklung der Menschheit entscheidend beeinflusst.
Wegen ihrer immensen technischen Überlegenheit wurden die Wesen aus dem All von alten Zivilisationen für Götter gehalten. Däniken belegte seine gewagten Theorien mit allerlei Fotos von Höhlenzeichnungen und antiken Inschriften, brachte den Bau der Pyramiden von Gizeh ebenso ins Spiel wie die Steinmonumente auf der Osterinsel oder Stonehenge.
Das Grundthema des Films greift, wie einst die "X-Files" im TV, auf die legendären Bestseller des Autors Erich von Däniken zurück. Ich erinnere mich, wie ich mir als minderjähriger Fan dieser Bücher hitzige Wortgefechte mit meinem Religionslehrer lieferte. Die Götter der Weltreligionen, behauptete ich vehement - auf den Spuren des Schweizer Schriftstellers - sind in Wahrheit außerirdische Wesen, die der Erde einst Besuche abstatteten.
Genau zum selben Schluss kommen die Archäologen Elisabeth (Noomi Rapace) und Charlie (Logan Marshall-Green) als sie in den schottischen Highlands auf mysteriöse Höhlenmalereien stoßen. Die Sternenmuster in den uralten Zeichnungen erinnern frappant an Bildnisse aus anderen, unterschiedlichsten Kulturen. Es scheint, als ob der gemeinsame Ursprung des irdischen Lebens auf einem weit entfernten Planeten zu finden ist.
Eine Raummission, finanziert von der mächtigen Weyland-Corporation, soll Licht ins Dunkel der menschlichen Schöpfung bringen. Als das speziell zusammengestellte Forscherteam vom Androiden David (Michael Fassbender) aus dem Hyperschlaf geweckt wird, macht sich aber an Bord der Prometheus Misstrauen breit. Die zynische Weyland-Vertreterin Vicker (Charlize Theron) verfolgt eine finstere Agenda, die wohl nur am Rande mit wissenschaftlichen Ergebnissen zu tun hat.
Centfox
Hoffnungslosigkeit statt Heiligkeit
Ab hier weiter explizit vom Inhalt zu erzählen, möchte ich bewusst vermeiden. Nur soviel: Ridley Scotts Sci-Fi-Comeback, Dekaden vor dem Original-Alien spielend, setzt sehr wohl auf unheimliche Wesen aus einer fremden Welt. Allerdings sollte man nicht die berüchtigten Chestburster und Facehugger aus der schleimspritzenden Saga erwarten. Bereits in der allerersten Szene von "Prometheus" lernen wir eine extraterrestrische Spezies mit humanoiden Zügen kennen, die im Mittelpunkt der neuen Mythologie steht. Diesen Engineers, wie sie im Film genannt werden, dürften die Fädenzieher hinter der irdischen Evolution sein.
Während der pathetische Soundtrack der Eröffnungssequenz diesbezüglich noch einen esoterischen Blockbuster befürchten lässt, elimiert Ridley Scott aber bald alle religiösen Untertöne aus dem Film. Und auch das Personal der Prometheus wird rasch dezimiert.
Today's Webtipp:2001
A documentary about the making of A Space Odysee
Der britische Regisseur, offensichtlich ähnlich pessimistisch veranlagt wie sein Landsmann Christopher Nolan, entwirft einen eisigen Kosmos, in dem man weder Göttern noch seinen Mitmenschen trauen kann. Wo der offensichtlich zitierte Klassiker "2001" von Stanley Kubrick noch mit überirdischen Erlöserfantasien kokettierte, setzt Sir Ridley auf Hoffnungslosigkeit als Grundgefühl.
Centfox
Kammerspiel der Gefühlskälte
Es ist dieser Hang zum wahren, existentiellen Horror, der den Film auszeichnet und über viele Schwächen hinwegsehen lässt. Denn die pompöse Ambition, die unzähligen offenen Fragen am Ende, die dramaturgischen Sackgassen, all das wird viele Zuseher wohl auch frustrieren und verärgern.
Vergisst man aber wieder einmal auf Plotlöcher und badet sich in der frostigen Atmosphäre, bleibt eine erbarmungslose Meditation über das Sein übrig. Ein Kammerspiel der Gefühlskälte entfaltet sich an Bord der Prometheus, in dem Charlize Therons Figur die Erbarmungslosigkeit des Kapitalismus karikiert und nur die mutige Elisabeth (mit physischer Präsenz von Lisbeth Salander herself verkörpert) zur Empathie verleitet.
Last but definitely not least ist es aber ein Schauspieler der Ridley Scott’s Vision auf den Punkt bringt, der durch den Film führt und ihn oft auch einfach übernimmt: Der omnipräsente Michael Fassbender festigt als Android David seinen Ruf als intensivster Darsteller seiner Generation. Wie er als platinblonder Peter O’Toole-Ersatz durch die Gänge des Raumschiffs gleitet, charmant über Schöpfungsfragen philosophiert und regungslos perfide Aufträge exekutiert, das ist aufregender als alle Spezialeffekte, 3D-Zaubereien und parasitären Déjà-Vu-Momente gegen Ende.
Alleine Fassbenders Gesicht ist den Kinobesuch wert, einen wirklich faszinierenden Science-Fiction-Film bekommt man als Bonus dazu geliefert.
Centfox