Erstellt am: 7. 8. 2012 - 14:53 Uhr
"Willkommen auf Skios"
Carl Hanser Verlag
Wenn man am Strand liegt (oder am See, am Badeteich, am Pool oder wo man sonst im Urlaub so rumliegt), ist das die beste Gelegenheit, ein gutes Buch zur Hand zu nehmen. Allerdings sind Hegel und Proust bei 38°C im Schatten nicht für jeden die erste Wahl. Vielleicht lieber etwas Entspannteres. Zum Beispiel das neue Buch von
Michael Frayn Willkommen auf Skios.
Doch bevor ich zum Buch und seinen Inhalten komme, schwenken wir kurz ab in die Antike:
Der gordische Knoten
Einer Legende nach hatte ein Orakel prophezeit, dass nur derjenige die Herrschaft über Asien erlangen kann, der den gordischen Knoten löst - ein Knoten am Streitwagen des Königs von Gordios, der von den Göttern gemacht war, und als unlösbar galt.
Bis hier klingt die Geschichte, finde ich, sehr interessant und man wartet gespannt, was wohl als nächstes passiert (sofern kein Humanist in der Nähe ist, der einem das Ende spoilt). Jedenfalls so geht die Geschichte weiter:
Da kam Alexander der Große und schnitt den gordischen Koten einfach mit seinem Schwert durch. Schnipp, schnapp und durch. Also ich finde, dass das geschummelt ist und überaus unspektakulär. Aber was hat diese Geschichte mit dem neuen Roman von Michale Frayn zu tun? Dazu komme ich gleich.
Michael Frayn
Michael Frayn ist ein erfahrener Autor, hat schon Sachbücher, philosophische Bücher, zig Romane und zahlreiche Bühnenstücke verfasst und als Journalist für The Guardian und The Observer gearbeitet. Er beschäftigt sich oft mit historischen und politischen Themen. Eines seiner erfolgreichsten Stücke ist zum Beispiel Kopenhagen, in dem die beiden Physiker Nils Bohr und Werner Heisenberg über ihre Verantwortung als Wissenschaftler in Hinblick auf die Atombombe diskutieren. Aber Frayn versteht es auch, gute Komödien zu schreiben. Sein Stück Noises Off ist eine Farce, die zu inszenieren wohl am besten ein Choreograph imstande wäre, so kompliziert und genau getimed sind die vielen Auf- und Abtritte. Frayn ist also darin geübt, verwickelte Handlungen zu schreiben. So wie sein neuer Roman "Willkommen auf Skios".
Willkommen auf Skios
Der junge, draufgängerische Frauenheld Oliver Fox reist auf die griechische Insel Skios, um dort ein kleines Tête-à-tête mit einer jungen Frau zu haben. Der renommierte aber unbeholfene Wissenschaftler Dr. Norman Wilfred reist zu ebendieser Insel, weil er dort in einer millionenschweren Stiftung einen Vortrag halten soll. Am Flughafen werden die beiden durch ein Missverständnis miteinander verwechselt
Sie sah, wie er näher kam. Er lächelte noch immer. Sie lächelte auch noch immer, merkte sie. "Dr. Wilfred?" sagte sie. "Ich kann nicht lügen", sagte Oliver. Nein - sagte Dr. Wilfred. Sie wollte eindeutig, dass er Dr. Wilfred war. Das sah er. Später, wenn sich herausstellte, dass er doch nicht Dr. Wilfred war, wäre sie wahrscheinlich enttäuscht. Aber später war später. Von unmittelbarer Priorität war, dass er sie jetzt nicht enttäuschen durfte.
Von da an nimmt die klassische Verwechslunggeschichte ihren Lauf. Die verfahrene Situation verfährt sich immer weiter, immer mehr Personen werden involviert, fahren mit dem Taxi von A nach B, von B zurück nach A, verpassen einander, verwechseln einander, verwechseln ihre Koffer, verlieren ihre Pässe, verlieben sich und entlieben sich wieder.
Zu lesen, wie sich die Situation immer weiter verwickelt und verwurschtelt macht Spaß. Man fragt sich zwar immer wieder "Wie kommen die wohl da wieder raus?", auf der anderen Seite ist das aber auch irrelevant. Wie sollen solche Verwechslungsgeschichten schon groß enden? Am Ende kommt natürlich alles raus und alle regen sich furchtbar auf und die Situation eskaliert und Ende gut, Alles gut. Jo, eh.
Das Ende von Willkommen auf Skios ist - ohne spoilern zu wollen - so ähnlich, nur ist die Eskalation schon ziemlich obskur. Und nicht auf eine gute Art, sonder eher so, dass man die eine Hälfte der Oberlippe hochzieht und die Nase rümpft.
Conny Lee
Deswegen hier mein Resümee: Willkommen auf Skios ist die richtige Urlaubslektüre. Es ist eine unterhaltsame Verwechslungsgeschichte, die sich auch bei 38°C im Schatten leicht liest. Allerdings ist der Weg das Ziel und der Schluss eher ein Appendix. Es ist ähnlich wie bei der Geschichte mit dem gordischen Knoten: Die Verwicklungen sind interessant und das Rätseln über die Auflösung macht Spaß. Aber kurz vor Schluss sollte man am besten aufhören. Dann kann man immer weiter rätseln und sich selbst ausmalen, was wohl am Ende passiert. Denn jedes andere Ende wäre wohl spannender, als dass Alexander der Große kommt und den Knoten einfach durchschneidet.