Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Loving the Alien"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

6. 8. 2012 - 18:08

Loving the Alien

Das STUCK! Festival im Salzburger Rockhouse bot vergangenes Wochenende wieder feinsten Vibe und im allerbesten Sinne krude Style-Durchmischung. Crystal Fighters, BOY, Gold Panda, Light Asylum u.v.m.

Die Geschichte geht so, dass sich Valeska Steiner und Sonja Glass am sogenannten Popkurs an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater kennengelernt haben. Zwar spielen die beiden über alle Maßen sympathischen Damen von der Band BOY den Einfluss dieser Einrichtung auf das eigene perfekt eingeschliffene Songwriterhandwerk immer ein wenig herunter und betonen, dass es sich bei dieser Institution nicht um eine Anstalt der Konformität handelt, die einem die kreativen, künstlerischen Flausen austreibt und die in kritischen Stunden im Schweiße der Existenzangst ersonnenen Liedchen bloß nach Formel und Lehrbuch produktförmig umgestaltet. Dennoch ist es ziemlich genau das, was die immens erfolgreiche Pop-Band BOY tut: nahezu perfekte Pop-Songs schreiben, die gut Einzug in Reklame und Fernsehprogramme finden können. Dies ist bei weitem nicht das Allerschlechteste, was einem passieren kann. Das Duo BOY war mit drei im Bühnenhintergrund mitstreitenden Musikern vergangenen Freitag neben dem ungleich rabaukenhafteren Elektro-Rock der dänischen Band Reptile Youth quasi der Headliner des ersten Tages des STUCK! Festivals im Salzburger Rockhouse.

BOY

Lorena Meichelböck

BOY
The Hundred in the Hands

Lorena Meichelböck

The Hundred in the Hands

Dabei stellten BOY jedoch bloß die oberste Oberkante, also jene, die gerade noch in Gegenden hineinreicht, die man, wenn man gerade mal wieder vorgestrig denkt, mit einem hässlichen Wort als "Mainstream" bezeichnen könnte, des wild zusammengestellten Musikprogramms des STUCK! Festivals dar. Man muss ja nicht immer derjenige sein, der auf Festival-Plakaten nur das ganz Kleingedruckte liest. Und so konnten BOY den großen Saal des Rockhouse am ersten von zwei Festivaltagen auch sehr, sehr gut füllen und mit ihrem mal melancholischen, mal beschwingten Kuschel-Pop aus dem Genre "Feist" selbst die Herzen von Meschen erweichen, die sonst immer nur die Kindertotenlieder von Pita Rehberg und Stephen O'Malley hören.

Im Publikum wurde von Anfang mitgesungen, auf der Bühne gab es Handclaps, Tamburin und sonst noch alles, was so eine Popmusik eben braucht. Es war sehr schön, wenn es nicht stellenweise nachgerade zu sehr sehr schön war. Die Lieder von BOY haben keine Störungen eingebaut und verlaufen genau so, wie man das gerne haben will, Überraschungen finden nicht statt. Mitunter ist der Zungenschlag von Sängerin Valeska Steiner ein wenig ein zu bedeutsamer. Aber wir wollen doch ab und zu bloß schwelgen, besonnen grinsen und die Feuerzeug-App schwenken.

Light Asylum

Lorena Meichelböck

Light Asylum

Alle Fotos: Lorena Meichelböck

Crowd

Lorena Meichelböck

In den unteren Reihen des Programms gab es aber wie immer beim STUCK! Festival Abseitigeres zu erleben.
Beispielsweise das feine Duo The Hundred in the Hands aus Brooklyn, das mit seinem gerade - wie schon der Vorgänger beim englischen Traditionslabel Warp - erschienenen zweiten Album "Red Night" seinen bislang eher kaugummifarbenen Wave-Pop Richtung Dunkelheit, dezentem Goth und Kate-Bush-hafter Atmosphärik gedreht hat.

Hier dockten auch die New Yorker Nachbarn von Light Asylum an, zweifellos, trotz einiger Soundprobleme, ein Höhepunkt des gesamten Festivals. Shannon Funchess und Bruno Coviello waren zwar mit ihrem schweiß- und sexdurchsetzten Synthie-Pop, der stark im Maschinellen und Trostlosen des Industrial Raubbau betreibt, schon das eine oder andere Mal in Österreich zu sehen, bis jedoch die, ja, Energie ihrer Live-Performance verblasst, dürften noch ein paar Jahre ins Land ziehen. Bruno Coviello trug ein T-Shirt der betagten und verdienstvollen Band Killing Joke, die forschen Postpunk schon früh Richtung Industrial geformt hat. Damit die Band Killing Joke auch einmal ín Zusammenhang mit Light Asylum Erwähnung findet. Naheliegend eigentlich.

UMA

Lorena Meichelböck

UMA
Gold PAnda

Lorena Meichelböck

Gold Panda

Ebenso formidabel gestaltete sich der Auftritt des englischen Produzenten Gold Panda, der mit seiner auf Tonträger eher verspielt und kindlich trotzigen Elektronik den Hauptraum des Rockhouse fast schon in ein Rave verwandeln konnte. Die kleinen Melodien, die Soundverwischungen und immer wieder aus dem Ruder laufenden Beats des Gold Panda erinnern nicht selten an die frühen Arbeiten des Herrn Four Tet, auch hier scheint sich jedoch mittlerweile neben vertrackter Listening-Elektronik ein verstärktes Interesse für den Dancefloor im Geiste der geraden Bassdrum einzustellen. Ist ja auch ein bisschen leichter zu konsumieren sowas. Egal wie hard hitting und fast schon konventionell housey jedoch Gold Panda mit seinem Live-Set wurde, immer wieder mussten Zäsuren, Verwirrungen und angenehm störende Umwege ins Beatgeschehen hineingeschnitten werden. Straight nach vorne marschierende Tanzbarkeit und kleinteilig zusammengetackerte Abenteuerlust im Einklang, ein Gedicht in Bewegung.

Dass großartige Bands wie UMA, Mile Me Deaf oder A Thousand Fuegos mit allesamt wunderbaren Performances zwischen weirdem Songwriting, Bastel-Elektronik und geiler Gitarrenverzerrung irgendwie einen Österreich-Bezug in der Biografie stehen haben, ist egal. Man muss es nicht wissen, und hat es, sofern man es je einmal gewusst hat, sogleich vergessen. Die kalifornische Musikerin Nite Jewel legte ihren nachtschwarz funkelnden Disco-Pop weit weniger weihevoll als auf Tonträger an und drohte, auf engste Kontaktaufnahme mit dem Publikum erpicht, immer wieder von der (wenn auch im kleinen Saal nur ein paar Zentimeter hohen) Bühnenkante in erwartungsvolle, offene Arme zu fallen. In der ersten Reihe war Shannon Funchess von Light Asylum zu erspähen, wie sie die Silben "Los! Angeles!" auf die Bühne schleuderte.

Nite Jewel

Lorena Meichelböck

Nite Jewel

Mit den Crystal Fighters war am Samstag ein zugkräftiger Headliner am Start, der das Rockhouse ausverkaufte und bis an den Rand füllte, unangenehm wurde der Trubel dennoch nicht. (Kleiner, kleiner Einwand am Rande: Eventuell könnte man das nächste Mal bei derartigem Publikumsaufkommen eine weitere Bar aufmachen.) Zugkräftig, und in Österrreich kaum Unbekannte, dennoch sind die Crystal Fighters eine Band, die vor allem live ihre Qualitäten entfaltet. Auf Tonträger hat man sich möglicherweise schnell an ihrer cartoonhaften und hibbeligen Verquickung von Rock, konfetti-sprühender Hochleistungs-Elektronik und folkloristischen Elementen sattgehört, in der Live-Darbietung lassen sie dem Publikum die Synapsen zerplatzen und es dabei glücklich werden und wie toll geworden, aber immer noch wohlerzogen über ein Meer aus Händen surfen.

Crystal Fighters

Lorena Meichelböck

Crystal Fighters

Das ist die Stärke des STUCK! Festivals: Dass die Synergie-Effekte zwischen (völlig wertungsfrei) musikalischen und unterschiedlich erfolgreichen Niveaus und Styles, die auch andere Festivals immerhin auf dem Papier festgeschrieben haben mögen, hier - wenn auch im vergleichsweise kleinen Rahmen des Rockhouses - tatsächlich stattfinden. Es ist sicherlich, hier muss man sich nichts vormachen, neben dem kreativen Willen und dem Forschergeist der Macher auch ökonomischen Notwendigkeiten geschuldet. Dennoch: Es funktioniert - und es funktioniert nicht nur, es glüht und brummt, und die Menschen, die da draußen vor dem Rockhouse standen und sich am frühen Abend vom DJ eine Nummer von Grimes in die Ohren spühlen ließen, strahlten. Später kam der heftigste Regen, den die Stadt Salzburg anzubieten hat, und man musste sich zu dreißigst unter einen dieser großen Sonnenschirme schmiegen und sich vor Freude gegenseitig ins Bier weinen.