Erstellt am: 5. 8. 2012 - 14:08 Uhr
Wolken ziehen vorüber
- Der Song zum Sonntag auf FM4
- Über "Clouds" macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
Eine Tür geht zu, eine andere geht auf. Manche Fenster bleiben immer verschlossen. Das Leben ist eine einzige Verkettung von unglücklichen Zufällen und verpassten Chancen. Gelegenheiten, die man nicht genutzt hat und große Lieben, die man hat fahren lassen oder die einem frech davongeglitten sind. Ständig schwappen Veränderungen in die traurige Existenz, man kann versuchen, aktiv zu gestalten, um jetzt dann doch endlich ein guter oder zumindest ein besserer Mensch zu werden, oder sie werden einem vom fauligen Karma ungefragt aufgepfropft. Alles muss immer besser werden, und wird es nicht besser, so wird es immerhin anders.
Die Wolken, die dem Song "Clouds" der Band Deep Time den Titel spenden, sind ein schlichtes, also schönes Bild für die Umgestaltungen und Turbulenzen, die einem so im Dasein widerfahren können. Sie ziehen auf, färben den Tag schwarz und bringen Regen und Donnergroll mit sich. Sie gleiten, putzigen Watteschäfchen gleich, durch das blendendste Hellblau aller Zeiten und verheißen Aufbruch, Tagträumerei und, hach, Hoffnung. I can change.
Deep Time
Einfachheit und Reduktion sind die Lebensprinzipien von Deep Time. Das Duo aus Austin, Texas hieß bis vor kurzem noch Yellow Fever, musste sich aber aufgrund einer langweiligen Klage einer vermutlich noch langweiligeren Band gleichen Namens umbenennen. "Deep Time" nennt sich jetzt auch das gerade erschienene Debütalbum von Deep Time, und es handelt sich hier um nicht weniger als ein Mission Statement, eine Platte, die sich in aller Bescheidenheit dreist in die Welt stellt und sagt, dass hier mit wenigen Mitteln Neues, unaufgeregt Aufregendes geschieht. Neun knappe Songs, die dann auch gleich einmal wieder vorbei sind. Sängerin Jennifer Moore schrubbt gleichsam weltvergessen wie agil an ihrer Gitarre entlang oder lässt eine aufgeweckte Orgel quietschen, Drummer Adam Jones poltert durch die Rumpelkammer, ohne deshalb aber gleich großes Aufheben zu machen.
Ähnlich wie die kleinen großen Beat Happening das gemacht haben, definieren Deep Time Punk als Niedlichkeit und geben den minimalistisch-höflichen Postpunk von Bands wie Delta 5 oder den Young Marble Giants mit der schlauen Grandezza und der Chanson-haftigkeit von Stereolab und Broadcast. "Clouds" war die Vorabsingle zu "Deep Time" und packt einen ganzen Soundkosmos und die Weisheit aller Bibeln in schlanke 2 Minuten 45. Die Bitterkeit und die Resignation, weil einem das Leben ständig bloß angeranzte Sardellen schenkt, gleichzeitg aber auch das Wissen, dass morgen schon die glühendsten Erleuchtungen und Herrlichkeiten hinter der Ecke warten werden. Oder halt übermorgen. Trennungen, Vermissen, Drüberhinwegkommen, Triumphieren, Kollapse. "You got bigger while I was away [...] You got thinner, waiting for a change". Viele wahrere Wahrheiten gibt es nicht, ein ganzes graues Leben komprimiert in ein munteres Lied.