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Ali Cem Deniz

Das Alltagsmikroskop

24. 8. 2012 - 07:00

"Wuff, Wuff" statt "Hav, Hav"

Hier bellen die Hunde anders als in der Türkei. Was noch so anders ist zwischen österreichischen und türkischen Hunden, kann man in Mehmet Emirs Buch "Ich bin immer noch in Wien" lesen.

"Wer statt Kinder einen Dackel dressiert, der ist fast schon integriert", sang einst der großartige Cem Karaca von den "Kanaken", die bereits in den 80ern ihren Frust über Integrationsdebatten in einer Mischung aus Deutsch und türkischem Anadolurock verarbeiteten. Die Beliebtheit der Hunde in Österreich bietet auch heute Material für einige Kulturschocks.

Die Hunde waren für mich die größte Irritation, als ich im Volksschulalter nach Österreich kam. Lassie und die Beethoven-Hunde waren für mich eher phantastische Kreaturen, mehr so wie Pokemon. Dass es tatsächlich Hunde gab, die mit ihren Besitzern im Park spazieren gehen und mich nicht bellend durch das Dorf oder die Stadt jagen, war eine große Überraschung.

Keine Überraschung ist deswegen, dass mir beim Lesen von Mehmet Emirs Kolumnen zuerst die Hunde auffallen. "Ich bin immer noch in Wien – Briefe an Mama und Papa in der Türkei", ist eine Sammlung von fiktiven Briefen, die Mehmet Emir seit 2005 regelmäßig für die Straßenzeitung Augustin verfasst.

Sonderzahl Verlag

Fiktive Briefe an reale Eltern. "Ich bin immer noch in Wien - Briefe an Mama und Papa in der Türkei" ist im Sonderzahl Verlag erschienen.

In den Briefen dreht sich bei Weitem nicht alles um „typische Migrantenthemen“ wie Integration und Alltags-Rassismus. Emir schreibt auch über Richard Lugner, Karl-Heinz Grasser oder die Audimax-Bewegung. Für letzteres kann ich mich als Student der Internationalen Entwicklung a.k.a. "das ist doch das Studium, das abgeschafft wird oder?" besonders interessieren.

Den emotionalen Nerv trifft Mehmet Emir bei mir aber, wenn er eben über die Hunde schreibt. Denn in den fiktiven Briefen macht er Beobachtungen über Hunde, die mich durchaus an Cem Karaca und an meine eigenen Beobachtungen erinnern:

Eines Tages kommt eine Studentin mit ihrem Puzzi (einem Hund) und alle Leute im Hörsaal finden das Hundi so lieb und so toll, sie reden mit dem Tier, busseln es ab, sprechen mit ihm. Da bin ich sehr neidisch geworden. Du fragtest mich am Telefon, ob die Hunde in Österreich wirklich so viele Rechte hätten. Sie haben mehr Rechte als manche Ausländer.

Da muss ich etwas schmunzeln, bin aber vor allem fasziniert. Zwischen Cem Karacas Liedern und Mehmet Emirs Kolumnen liegen gut dreißig Jahre und immer noch sind Hunde ein heißes Thema für Menschen mit "türkischem Migrationshintergrund".

Vollintegriert mit Vollglatze

Dieses Ding mit dem "Migrationshintergrund" taucht auch in Emirs Kolumnen auf. Wobei auch er, wie viele Menschen, die diesen Hintergrund mit sich schleppen müssen (man muss ja immer bereit sein auf Fragen wie: "Aha und wo kommt der Name Deniz her?" eine Antwort zu haben), ein bisschen genervt ist. Mehmet Emir ist, wie er selbst schreibt, "bis zur Unterhose" integriert und zwar so sehr, dass er keine Haare mehr am Kopf hat. Der Mann ist also zu recht genervt, wenn er als Fotograf, Musiker, Künstler und Autor, der seit über 30 Jahren in Österreich lebt, die Staatsbürgerschaft hat und fließendes Deutsch spricht, immer noch bei gelegentlichen Artikelfehlern ausgebessert wird.

Am Schauplatz porträtiert das bewegte Leben von Mehmet Emir auf ORF2 am 24. August 2012.

Wem das alles ein bisschen zu sehr wie eine schriftliche Fassung von "Heimat fremde Heimat" klingt, braucht sich nicht zu fürchten. Mehmet Emir nimmt die Dinge mit Humor, besonders die österreichische Innenpolitik. Deshalb sind seine Kolumnen lesenswert, auch für jene, für die Hunde keine Kulturschocks darstellen.