Erstellt am: 1. 8. 2012 - 18:16 Uhr
Glamouröse Grauzonen
Die Kontroversen reißen nicht ab. Auch unabhängig vom nachhallenden Schrecken des Aurora-Massakers sorgt der neueste Batman-Blockbuster für hitzige Wortgefechte. Ob im Feuilleton oder in den sozialen Klatschbörsen des Internets, überall wird über „The Dark Knight Rises“ heftig diskutiert.
Die mehrheitlich argwöhnischen, enttäuschten bis erzürnten Kommentare haben sich auf den Schöpfer des Films und der dazugehörigen Fledermaus-Trilogie eingeschossen. Die einen werfen Christopher Nolan unerträgliches Pathos vor, betrachten ihn als verantwortungslosen Vermarkter zeitgenössischer Ängste und vermissen in seinen Werken die leichtfüßige Ironie anderer Comicverfilmungen. Andere sehen mit „The Dark Knight Rises“ endlich ihren Verdacht bestätigt, dass es sich bei dem 42-jährigen Autor und Regisseur um einen eitlen Blender handelt, hinter dessen aufgeblasenen Genre-Konstrukten ein einziges Vakuum aufklafft.
In gewisser Weise treffen diese kritischen Stimmen durchaus ins (Nacht-)Schwarze. Aber – und ab hier meldet sich der Nolan-Fan in mir zu Wort – auf ganz andere Weise, als es die Gegner des britischen Filmemachers meinen.
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Wenn Schrecken zur Schönheit wird
Christopher Nolans Kino lebt tatsächlich von Furcht und Paranoia, die Angst frisst viele seiner Charaktere nahezu auf, treibt sie aber auch gleichzeitig an. Das hat einerseits mit den gesellschaftlichen Grundstimmungen der Post-9/11-Ära zu tun, die der Regisseur vor allem in die Dark-Knight-Trilogie einfließen lässt wie kein anderer Blockbustermacher.
Nolans Meisterwerk: The Prestige
Entgegen jeder Vernunft liefern sich zwei Varieté-Zauberer im London des ausgehenden 19. Jahrhunderts einen Konkurrenzkampf um das unschlagbarste Kunststück. Dabei schrecken Robert Angier (Hugh Jackman) und Alfred Borden (Christian Bale) auch vor hinterlistiger Erpressung und mörderischer Sabotage nicht zurück.
Nolan, der nicht nur für verschachtelte Erzählstrukturen bekannt ist, sondern auch für eine Affinität zu psychologischen Abgründen, zeigt sämtliche Schattenseiten dieses Duells. Herzensmenschen bleiben auf der Strecke, Kollaborateure werden betrogen, Affären scheitern, Fanatismus mutiert zum Wahn. Und trotzdem: Die Faszination der Magie überstrahlt alles.
Christopher Nolan, der seinen Historienthriller ebenfalls wie einen Zaubertrick aufgebaut hat, voller Geheimnisse, Irreführungen und Drehungen, scheitert ausgerechnet beim Finale. Halbwegs findige Zuseher werden zumindest einen Teil des Twists schon lange vorher ahnen.
Aber das macht nichts. Denn in 'The Prestige' geht es um viel mehr als spannendes Rätselraten. Alleine die Bilder bestechen, einerseits mit düsterer Eleganz, auf der anderen Seite mit einem fiebrigen Handkamera-Realismus.
Völlig überzeugend wirkt auch die Besetzung, aus der neben Jackman, Bale und Scarlett Johansson als charmanter Assistentin vor allem David Bowie in einer großartigen Nebenrolle herausragt.
Eine Liebeserklärung an Männer, die von vielen wohl als gefühlskalte Egozentriker abgetan werden. Wenn aber einer der beiden Zauberer in einem Schlussmonolog sentimental von der Macht der Wunder schwärmt, dann verwandelt sich 'The Prestige' endgültig in ein Plädoyer für das unnachgiebige Verfolgen von irrationalen Lebensträumen. Und er wird auch zu einer Huldigung an die größte Illusionsmaschinerie überhaupt - das Kino selbst.
Die gepeinigten Detektive, Vigilanten und Verbrecher, die durch Nolans Filme hetzen, beziehen sich aber auch gleichzeitig auf das zentrale Genre, aus dem sich sein Schaffen speist: den Film Noir. Von seinem schwarzweißen Low-Budget-Debüt „Following“ über den faszinierenden Zauberer-Thriller "The Prestige" bis zum Multiplex-Monstrum „The Dark Knight Rises“ stehen die klassischen rabenschwarzen und pessimistischen Krimis der vierziger und fünfziger Jahre Pate. An deren schwindelerregende Atmosphäre, in der Wahn und Wirklichkeit oft nahtlos ineinander übergehen, versucht der Brite mit seinen ganz eigenen Mitteln anzuknüpfen.
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Wenn Nolan wie so oft kritisiert die Gewalt und Entfremdung in elegante, stylische und poppige Bilder verpackt, dann ist auch das ein Erbe des Film Noir. Denn bereits die artifiziellen Kameraeinstellungen dieses Genres, die zynischen Detektive im Trenchcoat und undurchschaubaren Femme Fatales waren ein Versuch, die depressiven Abgründe des Menschseins in Coolness zu transferieren.
Christopher Nolan schließt an diesen Ansatz nahtlos an. Wie vielen Neo-Noir-Vertretern der Popkultur, ob in der Literatur, in der Musik oder im Film, geht es ihm eben nicht darum, das Grauen bloß sinnentleert zu ästhetisieren und in den Karren der Hollywood-Maschinerie zu spannen. Nein, im Vertrauen in die magischen Transformations-Möglichkeiten der Kunst, extrahiert er aus dem Schrecken der Existenz einen Glamourfaktor, der unser aller klägliches Zuschauerleben erträglicher macht. Nach einem Nolan-Film kommt man vielleicht erschlagen aus dem Kino, aber auch: inspiriert, aufgeregt, kribbelnd, euphorisch.
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Heiliger Ernst und angestrengte Originalität
Während andere Filmemacher ebenso legitim auf blanke Verstörung setzen, generiert der ewige Dandy Christopher Nolan also überwiegend positive Emotionen aus seinem Spiel mit den Schatten und der Dunkelheit. Es ist das selbe Gefühl, wie wenn man sich an einem grausamen, aber verschlungenen Märchen delektiert, den Suspense eines sinistren Hitchcock-Thrillers genießt oder sich an den Mode-Inszenierungen eines Alexander McQueen ergötzte, der Schrecken und Schönheit verknüpfte.
Damit der ganz spezielle dunkle und herrliche Sog, auf den Nolans Werke abzielen, sich wirklich entfalten kann, muss der Regisseur auch auf Elemente verzichten, die für viele seiner Genrekino-Kollegen essentiell geworden sind. Die Ironie, die bei Typen wie Sam Raimi oder Joss Whedon so brilliant eingesetzt ist, würde der verführerischen Noir-Taktik nur im Wege stehen. Und die selbstreferentiellen Aha-Erlebnisse, auf die Filme von Robert Rodriguez oder Quentin Tarantino abzielen, wären erst recht fehl am Platz.
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Christopher Nolans Filme durchweht im Gegensatz ein fast schon heiliger Ernst und ein Drang, dem Zitate-Wahnsinn der Posmoderne wenigstens halbwegs zu widerstehen. Beides kann manchmal angestrengt wirken und auch streberhaft. "Inception" ist etwa ein Streifen, dem man die analytische Angestrengtheit dahinter anmerkt, all die Denkarbeit, die Planung, die Bemühungen um Eigenständigkeit. Minutiös ausgetüftelt bis ins winzigste Detail, ungemein präzise und ziemlich kühl mutet dieses zweieinhalbstündige Epos an.
Aber schon bald, nachdem man irritiert von der Komplexität der Erzählung, die Nolan dem Massenpublikum zumutet, ins Freie gestolpert ist, passiert es dann. Wie bestimmte Drogen, deren Wirkung erst mit Verzögerung einsetzt, entfaltet sich plötzlich die ganze Fülle der Eindrücke, überschlagen sich die Assoziationen im Kopf, fangen die Synapsen zu rauchen an. Und dann, zumindest mir erging es so, lässt einen "Inception" nicht mehr los, verfolgt dich bis in die Träume hinein.
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Blitzgescheiter Leinwand-Populismus
Apropos Zumutung: Die vielleicht größte Errungenschaft, die das Gegenwartskino diesem Mann verdankt, ist sein Versuch, seine Vorliebe für undurchschaubare Charaktere, verwickelte Plots und komplexe Weltsichten auch in Megamillionen-Unternehmungen zu retten.
Wir reden bei „Inception“ oder „The Dark Knight Rises“ schließlich von Filmen, deren Misserfolg einen Konzern gefährden kann, bei dem jede künstlerische Entscheidung in hunderten Marketingsitzungen hinterfragt wird und wo jeder einzelne Satz im Drehbuch von unzähligen Männern in grauen Anzügen abgesegnet werden muss.
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Die Schwierigkeiten, die sich für einen ernsthaften Künstler ergeben, wenn er sich in das Haifischbecken des Kommerz begibt, sind enorm. Einerseits ist die Möglichkeit, zuerst mit einem Erfolg den guten Ruf und dann mit einem Flop die Existenz zu verlieren, immer nur einen Hauch entfernt. Auf der anderen Seite wimmelt es vor miserablen Vorbildern, die den einfachsten Weg gehen und damit die ganz große Kohle einfahren.
Gelingt die diffizile Gratwanderung aber, wie bei Stanley Kubrick, James Cameron, Martin Scorsese, Steven Soderbergh oder David Fincher, um nur einige blitzgescheite Leinwand-Populisten zu nennen, dann ist das für mich die Königsklasse des Kinos.
Christopher Nolan hat sich in diese Liga auf ewig mit „The Dark Knight“ eingeschrieben, einem kassensprengenden Comicaction-Spektakel, in dem um nichts weniger ernsthaft und erwachsen als etwa bei Ingmar Bergman über die Fragen des Seins diskutiert werden.
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Sein oder Nichtsein
Moral, erklärt der Joker in einem formidablen Monolog, ist ein bloßes Konstrukt, eine Schimäre, eine philosophische Fleißaufgabe. Warum nicht einfach ohne Grund und völlig sinnentleert ein Krankenhaus in die Luft sprengen? Warum nicht einfach töten ohne monetäre Gründe, denen gewöhnliche Verbrecher nachjagen? Warum, wenn es keinen Gott gibt und man der irdischen Strafe entkommt, nicht einfach blindwütiges Chaos erzeugen?
Eine Verbeugung als Text-Remix: Teile dieser Huldigung wurden anderen Nolan-Artikeln meinerseits entnommen, die im Laufe der Jahre hier erschienen sind.
Batman alias Bruce Wayne weiß auf diese Frage nicht nur keine schlüssigen Antworten, er lässt sich von ihnen auch in die Ecke drängen. Und trotzdem gibt er dieses moralische Konstrukt nicht auf. „The Dark Knight“ schildert diesen Konflikt nicht bloß nebenbei in einem Subtext, er stellt ihn in den Mittelpunkt des Films.
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Ich würde es umdrehen und sagen: Die (durchaus zahlreichen und sensationellen) Kämpfe und Verfolgungsjagden sind der Subtext. „The Dark Knight Rises“ setzt diesen Ansatz, wenn auch auf ganz andere Weise, direkt fort. Auch hinter der Maske von Bane steckt einer dieser subversiven Charaktere, die alles auf den Kopf stellen. Und die in der Tradition von Nietzsche, De Sade und der bösen Schwiegermutter von Schneewittchen, sämtliche unserer moralischen und
ethischen Regeln und Normen als Fassade entlarven.
Weil der als Bildungsbürger verschriene Nolan aber keine Filme macht, die fein abgeschmeckte liberale Botschaften verbreiten, und weder seine Storys noch die Figuren politisch korrekten Idealen genügen, verharrt alles in einer ewigen Ambivalenz. Zwar erkämpft sich Batman jedes Mal den dubiosen Begriff „Heroismus“ aufs Neue. Aber die Grauzone, in der Helden und Bösewichte herumschleichen, sie bleibt erhalten. Auch wenn es in ihr höchst glamourös zugeht.
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