Erstellt am: 2. 8. 2012 - 11:30 Uhr
The Princess' Pride
2010 markiert das Ende einer Ära. Eine Ära, die von verzückten Blicken, geröteten Bäckchen und jeder Menge rosa Merchandise definiert wurde: Es ist das Ende der Disney-Märchenprinzessinnen-Dynastie, die 1937 begonnen hat. Da schickte Wald Disney Schneewittchen auf die Leinwand, die erste dieser romantischen Animationsfilmheldinnen blieb auch die einzige, deren Haare nicht wallend über die Schultern fielen. Nach "Tangled", mit dem 2010 das Märchen von Rapunzel in Disneyzeitgeist-Passform gegossen wurde, hat man sich dafür entschieden, keine weiteren Prinzessinnengeschichten mehr zu erzählen und man konnte ein leises Aufatmen der feministischen Filmtheorie hören. Nun aber entschließt sich ausgerechnet Pixar, das seit 2006 zu Disney gehört, seine erste weibliche Titelheldin in ein Königstochter-Korsett zu stecken.
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"Brave" heißt der 17te Film aus dem Hause Pixar, der nicht nur zum ersten Mal keinen männlichen Helden hat, sondern auch erstmalig Märchenterritorium betritt. Merida ist der Name der blaublütigen jungen Madam, die im mittelalterlichen Schottland gerne Pfeil und Bogen schießend durch die Wälder reitet und deren rote Lockenmähne locker für fünfzig Mich Hucknall-Haarteile reichen würde. Diese ungezähmten leuchtend-roten Haare sind nicht nur ein Beweis für das Pixar'sche Animations-Handwerk, sondern haben auch Symbolkraft. Nicht nur haben rothaarige Mädchen vor allem in der Kinderliteratur Tradition als starke, eigenwillige Identifikationsfiguren, vor allem aber setzt Pixar den wohlfrisierten Disney-Prinzessinnenhäuptern eine Figur entgegen, deren Herz ebenso wild ist, wie ihre Haarpracht.
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Die Sache mit dem Prinz
Zwar waren auch Disney-Charaktere der jüngeren Filmgeschichte wie Mulan oder Pocahontas mutiger und eigenständiger als ihre Vorgängerinnen, eine Romanze mit einem Prinzen - oder einem edlen Generalssohn - war in all diesen-Geschichten aber fix verankert. Damit bricht "Brave". Als Merida erfährt, dass Tradition und vor allem ihre Mutter Elinor wollen, dass sie mit einem Sohn der umliegenden, kilt-tragenden Clan-Vorstände verheiratet wird, protestiert sie. Von Elinor eingeschnürt in Korsett und edles Tuch steht sie da und meint, sie könne nicht atmen. Ein einfaches, aber wirkungsvolles Bild dafür, wie ihr die Tradition, die zugeschriebene Rolle die Luft abschnürt. Es geht nicht einmal so sehr darum, dass Merida sich nicht für einen der drei Kandidaten interessiert, es ist viel revolutionärer, wenn man die Disney'sche Geschichtentratidtion mitdenkt, dass Merida überhaupt von romantischer Liebe oder gar Heirat nichts wissen will. Alle Disney-Damen vor ihr brauchten einen royalen Galan, in romantischer und rettender Funktion. "Brave" meißelt die Prinzessinnenhauptfigur frei von romantischen Anwandlungen und auch den Bechdel-Test besteht "Brave" mit Bestnoten.
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Mutterrollen
Die für Filmprinzessinnen ziemlich rebellische Haltung der Hauptfigur war auch der Takt, zu dem die Werbetrommel gerührt wurde. Trailer und Filmclips, die vor dem Kinostart veröffentlicht wurden, drehten sich um Meridas Auflehnung und das Turnier, bei dem die drei Männer von beispielloser Dämlichkeit, gegeneinander um ihre Hand antreten. Sieht man dann den ganzen Film, stellt man fest, dass all diese Szenen aus der ersten halben Stunde von "Brave" stammen und das Pixar-Märchen dann einen überraschenden dramaturgischen Haken schlägt. Zu einem Themengebiet, das im Animationsfilm auch dringenden Revolutionsbedarf hat: Die Mutter-Tochter-Beziehung. Für Mutterfiguren gab es bisher kaum Grauzonen, man war entweder eine rundliche übervorsichtige Glucke oder eine hagere, böse Stiefmutter. "Brave" aber lässt Merida und ihre Mutter Elinor - grandios gesprochen von Kelly McDonald und Emma Thompson - eine Beziehung haben, die Wandlungen unterworfen ist. Das ist insofern noch bemerkenswerter, da sogar bei Filmen vom japanischen Studio Ghibli, die eine Vielzahl an mutigen weiblichen Hauptfiguren auf die Leinwand gebracht haben, bei den Müttern ebenfalls eher zu altbackenen Klischees tendierten.
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Sidekicks und Stichwortgeberinnen
Und so setzt "Brave" gleich auf zwei weibliche Figuren, ein kleiner Ausgleich zu 15 Jahren Pixargeschichte, in denen es männliche Helden waren, die in so großartigen Filmen wie der "Toy Story"-Trilogie oder "Up" Leinwand und Box Office eroberten. Frauen waren darin in Nebenrollen zu finden, als Impulsgeber wie Ellie in "Up", die den schüchternen Carl zum Mitglied im "Adventurer's Club" macht, als Sidekick wie Dory in "Finding Nemo" oder aber als überraschend furchlose Barbie, die sich im Meisterwerk "Toy Story 3" eloquent dem tyrannischen Bären entgegenstellt: "Authority should derive from the consent of the goverend and not from the threat of force". Da schaut selbst Mr. Potato ziemlich blöd aus der nicht vorhandenen Wäsche.
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"Brave"/"Merida - Legende der Highlands" läuft ab 2. August 2012 in den österreichischen Kinos
Mit "Toy Story 3" kann (und soll) "Brave" sich nicht messen; in Sachen Humor und Erzählhaltung orientiert sich die Geschichte um Merida mehr an Disney als an Pixar. Mit Meridas drei kleinen Brüdern - Hamish, Hubert und Harris - und einer Tendenz zu Slapstick richtet sich "Brave"eher wieder an ein jüngeres Zielpublikum.
Die werden auch wahrscheinlich mit dem vorsichtig düsteren Märchenplot, mit Hexen, Zauberkesseln, alten Flüchen und Bären mehr Freude haben als Erwachsene. Und für all diese Kinder gibt es nun auch eine Alternative, wenn es zu Leinwand-Prinzessinnen kommt, ein Gegenstück zur tiaratragenden Artigkeit mit Klimperwimpern, die sich einem Prinzen entgegensehnt. Sind also alle zurieden? Nay, manche Schotten fühlen sich verunglimpft und blickt man auf anstehende Pixar-Filme, so scheint "Brave" mit der weiblichen Titelheldin auch eine Ausnahme zu bleiben, dafür kehren Mike und Sully aus "Monsters Inc", Nemo und wahrscheinlich auch die Toy Story-Bande auf die Leinwand zurück, vielleicht darf dann ja wenigstens Barbie wieder auftrumpfen.