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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

1. 8. 2012 - 12:05

Sonntagsleiden

Ich habe große Schwierigkeiten mit den Ladenöffnungszeiten. Mein Kühlschrank ist am Sonntag immer leer.

Ich bin ein völlig planloser Mensch. Und das ist politisch korrekt ausgedrückt. Seit meiner Geburt verzichte ich auch lang- sowie sogar mittelfristiges Planen. Ich habe keine Ahnung, wie meine Zukunft ausschauen wird und versuche mir so wenig Gedanken darüber zu machen wie möglich.

Man weiß nie, was hinter der nächsten Ecke lauert und ich lasse mich gerne überraschen. Ich bewundere Leute, die über jeden Schritt in ihrem Leben sorgfältig nachgedacht haben. Ohne sie würde wahrscheinlich alles im Chaos enden und das Versicherungsgewerbe auf der Welt zur Grunde gehen. Ich hingegen bin eine absolute Katastrophe. Wenn ich meine Pläne für die Zukunft aufschreiben will, verliere ich immer das Heft.

Deshalb habe ich große Schwierigkeiten mit den Ladenöffnungszeiten in Wien. Mein Kühlschrank ist am Sonntag immer leer. Ja, natürlich könnte ich am Samstag einkaufen, aber es fällt mir einfach schwer, am Samstag zu planen, was ich am nächsten Tag brauche. Es belastet einfach mein System. Immer fehlen mir gerade an diesem Tag, an dem die arbeitende Menschen bei ihren Familien sein sollen, entweder Brot, Bier, Eier oder Waschpulver.

Supermarktregal

dpa/Oliver Berg

Dass ich mir jetzt nicht einfach Brot kaufen kann, deprimiert mich. Am Sonntag fühle ich mich einsam und verloren. Es mag paranoid erscheinen, aber viele Landsmänner von mir, die sich in Wien aufhalten, fühlen sich genau so.

Das Problem liegt wahrscheinlich darin, dass in Bulgairen seitdem der Kommunismus weg ist, die Geschäfte unaufhörlich offen haben. Deshalb erwarten alle, dass sie jederzeit die ihnen fehlende Produkte kaufen können. Mein Freund Vlado zum Beispiel, der seit mehr als 10 Jahren in Wien ist, hat noch immer das Gefühl, dass er am Sonntag hungrig bleiben wird. Zehn Minuten nachdem die Geschäfte zusperren, fängt Vlados Magen zu knurren. Bei ihm hat sich schon eine Art Krankheit entwickelt, die er „Geschlossene– Geschäfte–Syndrom“ nennt. Um seine Paranoia zu überwinden hat Vlado angefangen, Unmengen von Essen in seiner Wohnung zu horten. Und sie sieht wie eine Supermarktlagerhalle aus. Überall liegen Flaschen, Dosen und Verpackungen.

Neulich hatte ich Besuch aus Sofia. Die Freundin, die mich besuchte, wollte gegen 20 Uhr am Abend plötzlich Palatschinken machen. Wir hatten keine Eier zu Hause und konnten nirgendwo welche kaufen. Meine Freundin war sehr enttäuscht, dass sie mir keine Palatschinken machen kann und hat fast angefangen zu weinen. Zum Glück konnte uns Vlado mit ein paar Eiern aushelfen. Er hatte fünf Kartons eingekauft. Die Freundin konnte das alles nicht verstehn. Andere Länder, andere Sitten, erklärte ich ihr es.

Ich dachte, wir leben im Kapitalismus und dass hier die Nachfrage das Angebot bestimmen soll. Und schaut man sich das Gedränge in den ganz wenigen am Sonntag geöffneten Supermärkten dieser Milionenstadt an, dann gibt es ja sicherlich eine große Nachfrage.

Anscheinend gibt es viele solche verlorene Seelen wie ich, die zum Kreis der planlosen Schurken oder - milder gesagt - der „Spätentscheider“ gehören. Zum Glück gibt es aber euch, liebe Murrats, Hasans und Abdullahs, für die der Sonntag kein Familientag ist. Das ist wahrscheinlich möglich, weil meistens eure ganze Familie satt an ihrem Sonntagsgewinn beteiligt ist. Gott, wie immer er auch heißen mag, soll euch segnen! Ihre seid meine einzige Rettung in dieser Geisterstadt. Es ist einfach megageil, dass ich in den Bezirken, wo ich bisher gewohnt habe, immer einer von euch auf diesen verflixten Sonntag pfeifft.

Mir hat neulich ein Freund erzählt, dass viele von diesen Geschäften bestenfalls halblegal arbeiten. Es ist irgendwie cool, das ich weiß, das die Dose Bohnen, die ich mir letzten Sonntag gekauft habe, auch halblegal ist. Und die halblegalen Bohnen schmecken genauso gut, wenn nicht sogar besser.