Erstellt am: 31. 7. 2012 - 11:43 Uhr
Artist Of The Week: Frank Ocean
Hoch schlagen die Wellen des Lobgesangs im Feuilleton. Der "neue Prince!". Der "neue Stevie Wonder!" Der "neue Kanye West!" Und dazu das Outing einer schwulen Liebesbeziehung - im Kontext von Hip Hop und R&B eine kleine Sensation. Wie es scheint, ruht derzeit die ganze Hoffnung und Glorie der schwarzen Popmusik auf den schmalen Schultern eines 24-jährigen Singer-Songwriters aus LA.
advent.com
Auslöser des medialen Lobgesangs: Das jüngst veröffentlichte Major-Label-Debütalbum „channel Orange“ (Island Records/Def Jam/Universal) von Frank Ocean. Bereits vor dem Release wurde es von der internationalen Kritik zu einem der wichtigsten Alben der jüngeren Popgeschichte hochgejazzt. Dabei war der Shootingstar noch vor einem Jahr bei hiesigen Kollegen und Freunden eher schwer vermittelbar. R&B? Das ist doch seit Jahren nur noch Sülze mit geföhnten Borsten! Andere stießen sich an Oceans Zugehörigkeit zum umstrittenen Hip Hop-Kollektiv Odd Future Wolfgang Kill Them All (OFWGKTA). Diese, aus dem schwarzen Mittelstand von Los Angeles hervorgegangene Skater-, Rap- und Comedy- Truppe rund um den "Art Director" Tyler, The Creator, verstört seit gut zwei Jahren sensiblere Musikfreunde und Betroffene mit extrem frauenfeindlichen und homophoben Texten.
Obamas Kids
Doch so wenig Odd Future das Erbe des Gangsta-Raps angetreten sind, so wenig gibt Frank Ocean den R&B-Sexgott am Mikrophon, wie es z.B. noch D’Angelo oder R Kelly abseits seiner Closet-Saga getan haben. Ocean zieht sich in seinen Lyrics vielmehr auf die Position eines erzählenden Beobachters zurück, der unter Anteilnahme des Publikums die Traumata gescheiterter Beziehungen aufzuarbeiten versucht oder die Verführung durch eine Frau als anlagebedingt gemischt gefühltes Ereignis reflektiert.
Auch die musikalischen Mittel sprengen den Rahmen des im R&B Üblichen. Vor allem auf der als digitales Mixtape veröffentlichten, letztjährigen Talentprobe nostalgia,Ultra. unterlegte Ocean seine Vocal-Parts mit allerlei Genrefremdem. Zur Anwendung kamen Lo-Fi-Sounds aus dem Flohmarkt-Keyboard statt hochgezüchtete Luxusbeats von Timbaland und Co.; Samples aus dem Wallmart-Kühlfach (u.a von den Eagles) statt Soulfood aus Bed Stuy. Ocean erweiterte das Soundspektrum um Psychedelic aus dem Heimwerker-Chemielabor, Indie-Pop und Singer-Songwriter-Musik. Einzig seine expressivst in die oberen Register vordringende und Verspannungen aller Art lösende Stimme vermochte an das traditionelle R&B-Gewerbe zu erinnern.
Frank Ocean
Ähnlich wie Odd Future im Kollektiv löste sich auch der Solokünstler Ocean von der Erwartungshaltung, die schwarzen Künstlern vielerortens noch immer entgegengebracht wird, sich nämlich den Erzähltraditionen afroamerikanischer Populärmusik – von Soul bis Hip Hop - unterzuordnen und für die Verbreitung derselben die klassischen Umschlagplätze und Communities aufzusuchen. Dass sich das Gros des Odd Future Publikums anfangs vorwiegend aus weißen Musiknerds zusammensetzte, ist dabei nur ein kleines Detail am Rande der gewaltigen Umbrüche, die derzeit den Musikmarkt der USA erschüttern und seine Höhrgewohnheiten und Identitätsangebote nachhaltig verändern (siehe auch den Siegeszug von EDM als neue Volksmusik, oder die „true Hip Hop“-Kontroverse um Nicki Minaj).
channel Orange
Und jetzt doch noch die Vergegenwärtigung des Erbes. Denn auf "channel Orange" schlägt Frank Ocean nun eine Brücke zum sozialpolitisch engagierten Soul eines Curtis Mayfield oder Marvin Gaye und lässt die üblichen Boy-Meets-Girl-Lustbarkeiten des aktuellen R&B weit hinter sich. Wo aber zB. bei Aloe Blacc die Sozialkritik bloß so aktuell ist, wie der Retro-Sound, der sie trägt, schafft es Frank Ocean, allein durch die Beobachtungen seines direkten Umfelds und das Ringen um seinen Platz in diesem Spiel ein brisantes Sittenbild der ins Wanken geratenen und um neue Identität ringenden USA zu zeichnen.
In dem Song "Pyramids" endet die stolze afroamerikanische Emanzipationsgeschichte an der Stange eines Stripclubs zu den klamm abgebremsten Sirenen von Euro-Dance. Auf "Super Rich Kids" cruist Ocean im Zeitlupenfunk mit Earl Sweatshirt, seinem engsten Buddy von Odd Future, durch die junge schwarze Schickeria von Los Angeles und ist angeödet von deren Ziel- und Maßloßigkeit, während er in "Sweet Life" beinahe selbst den kalifornischen Verlockungen erliegt. "Crack Rock" und "Pilot Jones" führen in die Abgründe von Sucht und Missbrauch. Das epische "Bad Religion" ist in Form eines Dialogs mit einem Taxifahrer angelegt und kreist um die Themen Religion, Bigotterie und Sexualität.
Def Jam
Die Musik dazu ist komplex und detailverliebt, reicht von verhatschtem Spielzeug-Hip Hop bis zu Kathedralen füllenden Wummer-Sounds. In ihrer Anmutung bleibt das Album aber stets simpel und eingängig. Zusammengehalten von Samples und hörspielartigen Zwischenstücken nimmt uns Ocean mit auf die Reise durch sein Leben und Überleben im "channel Orange"-Mode.
Angesprochen auf sein Talent für die Verschmelzung von Text und Melodie, die ihm bisher Auftragsarbeiten für Kanye West, Jay-Z, Beyonce aber auch Justin Bieber einbrachte und die sein Debütalbum zu einem epischen Hörgenuss machen, erklärte Ocean der BBC, dass er letztendlich nichts anderes wolle, als Geschichten erzählen. Und Aufmerksamkeit dafür ließe sich am besten noch immer mit einer mörderisch guten Melodie gewinnen. Daran scheint es vorerst keinen Mangel zu geben. In Farben gesprochen steht der stille Ozean, der derzeit so hohe Wellen schlägt, ja immer noch erst bei 1, also ganz am Anfang eines vielversprechenden Spektrums.