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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

30. 7. 2012 - 02:34

Museum of Pop

Überlegungen zur medialen Wertigkeit und würdiger Abschluss des Popfestes 2012 u.a. mit Woodpigeon und Squalloscope.

Das letzte Mal, dass in wirklich jeder Zeitung dieses Landes am selben Tag das Wörtchen "Pop" in die Schlagzeilen rutschte, war der Tag, als Michael Jackson starb. Und heute, etwa drei Jahre später, ist es Madonna, alias "Queen of Pop", die sich nach schleppendem Ticketverkauf im Happel Stadion einfand. Mitten in einer Arena, wo Pop noch eine grelle, bombastische, provozierende, massenbewegende Inszenierung zu sein hat. Passend dazu das Datum, einige Tage nach der nicht ganz Pop-unlastigen Massen-Performance der Olympischen Spiele.

Popfest Wien

Dass sich daher heute der Großteil der medialen Aufmerksamkeit ausgerechnet nicht auf jenes Fest konzentrieren würde, das das Wort "Pop" sogar im Namen trägt, das konnte man erwarten: Für viele Medien war, wenn überhaupt, nur die Eröffnung des Popfestes einen Bericht wert. Dass wir aber auch danach an drei weiteren Tagen ein starkes, mutiges Lebenszeichen der heimischen Popmusik erlebt haben, das verpufft gern in der medialen Wahrnehmung. Daher ist es auch ein kleiner Fingerzeig, dass das Abschlussgeschehen ausgerechnet im Wien Museum stattfand - solange es selbst noch dort steht - dort, wo man sich beim ersten Popfest, noch in illustrer Runde Gedanken über das Pop-Museum machte.

Zuvor aber: Wortschwall Teil 4-6 im viel zu oft übersehenen Project Space, Gespräche mit Richard King und Attwenger, mit Auftritten von Martin Klein, Pulsinger und Mile Me Deaf, die ein lautes, energisches Set inklusive "Teenage Kicks"-Cover von den Undertones hinlegten.

Mile Me Deaf

Niko Ostermann

Sinkende Schiffe, traurige Herzen

Der Abschluss des heurigen Popfestes war ein stiller, ja er erinnerte sogar ein wenig an die nicht minder herzergreifenden Stunden am Blue Bird-Festival. Akustischer Folk, zarte, aber knisternde Arrangements, betörende Stimmen unter dem Sternenhimmel: Wer ins Wien Museum wollte, dem ging es um Besinnliches, und dafür musste man lange anstehen, auch bereits für Loose Lips Sink Ships. Wer von der kleinen Supergroup noch nichts gehört hat, der sollte sich schleunigst die Ohren waschen, denn Meaghan Burke, Werner Kitzmüller, Simon Usaty von Protestant Work Ethic, Mimu Merz, David Schweighart und Matthias Frey alias Sweet Sweet Moon werden bereits für ihre Soloprojekte geschätzt und hatten die feine Idee, gemeinsam die Songs des anderen zu interpretieren. Heraus kam eine stilvolle Kombination aus einem Cello, einer Violine und sechs traumhaften Stimmen.

Wien Museum

Niko Ostermann

Fotos von Niko Ostermann

Sympathisch vorweg: Die Band hat kein Album, gerade mal ein bis zwei Songs, die man gemeinsam (oder zumindest in nennenswerter Kombination) verfasst hat, und sieht das Ganze einfach als besonders wertvolle Stilübung. Und das ist auch das Spannende: Kennt man die einzelnen ProtagonistInnen, dann weiß man etwa um die Melodieverliebtheit von Werner Kitzmüller, oder man kennt die leidenschaftliche Hin- und Aufgabe des Teufelsgeigers Sweet Sweet Moon. Hier treffen sich all diese Stärken, verschmelzen zu einem Bottich an melancholischen, orchestralen Interpretationen, die mich an Lost in the Trees erinnern, einer ähnlich großartigen Supergroup aus North Carolina. Es wird an den Saiteninstrumenten geklopft, ein Schlagzeug fehlt nämlich. Ein kleines Seemannsliedchen klingt durch, die musikalische Bewandertheit dieses Kollektivs schreit nach einem Album.

Loose Lips Sink Ships

Niko Ostermann

Loose Lips Sink Ships

Niko Ostermann

Die Geschichte des nächsten und von mir heiß erwarteten Mannes habe ich bereits mehrfach erzählt, auch die durchaus verdiente Lobhudelei für Woodpigeon erspare ich mir dieses Mal. Stattdessen erzähle ich von der mutigen Reise, die er hinter sich hat. Wegen der Liebe ist er nach Wien gezogen, für Paolo, und hat seine Heimat Kanada hinter sich gelassen. Heute wohnt er irgendwo im 6. Bezirk und singt beizeiten in einem Chor, inbesondere auf die Weihnachtstour darf man sich freuen. Und dieser bewundernswerte, weil mutige Schritt, floss direkt ein in den Song "For Paolo", bei uns fällt der englischsprachige Text insbesondere durch das Auftauchen des Wörtchens "Schatzi" auf. Und auch wenn die Oma aus Simmering stammt, wir haben es in gewisser Weise Paolo zu verdanken, dass ein Kanadier am Popfest spielt - und die meisten Zugaben überhaupt dieses Jahr geben darf.

Woodpigeon

Niko Ostermann

Und dieser Woodpigeon, der kann was Besonderes: Obwohl er zumeist allein auf der Bühne steht, gelingt es ihm irgendwie mit ein paar Pedalen eine Landschaft aus akustischen Sounds und emotionalen Melodien aneinanderzureihen, für die Arcade Fire eine ganze Fußballmannschaft benötigen. Es sind diese kleinen Momente, in denen er mit einer Gitarrenmelodie und seiner gehauchten Stimme anfängt, dann beginnt für den Rhythmus zu klatschen, zu schnipsen und auf das Mikro zu klopfen, das alles aufnimmt und einfach laufen lässt. Dann widmet er sich den Harmonien, einer ergänzenden Melodie und schon ist man dahin.

Und wie in jeder antiken Tragödie, die was auf sich hält, muss der Chor auftreten: So auch hier, etwa ein Dutzend Männer und Frauen des Chores, in dem Mark auch privat singt, ergänzen einige Songs mit ihren großartigen Stimmen. Perfektioniert beim Meisterstück des Kanadiers "And as the Ship Went Down, You'd Never Looked Finer" - auch heute ist es das Beste, was dieser Abend zu bieten hat. Neben einer gänzlich vom Chor gesungenen deutschen Version von Milvas "Zusammenleben" ("Ich mag dich, weil du klug und zärtlich bist, und doch das ist es nicht allein") und einem herrlichen Abschlussstück, das wohl von Freiheit gehandelt haben muss. Woodpigeon wurde noch zwei weitere Male auf die Bühne gebeten, von mir aus hätte das ewig so weitergehen können.

Woodpigeon

Niko Ostermann

Die Verwandlung der Anna K.

So sah die eigentlich abwesende Paper Bird das Popfest-Finale von oben.

Squalloscope

Niko Ostermann

Denn Paper Bird, die ist bekanntlich auf Urlaub, ihre Vertretung heißt Squalloscope. Eine nicht minder talentierte, junge Dame, die es ähnlich wie ihre Vorgängerin schafft, sich auf einen Tisch zu setzen und den ganzen Raum mit ihrem Soul zu erfüllen. Trotzdem gibt es Unterschiede: Stephen King schuf sein Pseudonym Richard Bachmann etwa, um dreckiger, brutaler und wütender zu schreiben, als das Massenpublikum es von ihm gewohnt war und auch Anna Kohlweis, auch wenn sie es selbst nicht immer bemerkt, ist als Squalloscope anders, als als Paper Bird. Ich muss mich daran erinnern, als Anna mir erzählte, dass "Paper Bird" lediglich ein Nickname war, den sie für ihren Myspace-Account brauchte, ein juveniler Streich einer angehenden Musikerin. Und das blieb ihr halt.

Viele Jahre später ist "Squalloscope" auch eine gealterte Anna Kohlweis, eine, der man die Müdigkeit beim Konzert ansieht (selbst schuld, wenn man alle Konzerte am Popfest sehen will!), die erwachsener, reifer, im positivsten Sinne gezeichneter wirkt. Eine, die in ihrem neuen Video "Hips & Envelopes" schon mal die Innereien ihres Stoff-Creepos entnimmt, den sie für diesen gestalterisch einwandfreien TV-Beitrag in einer spontanen Wochenend-Aktion extra anfertigte. Und alles nur, um nun ohne seine Stoff-Gedärme in ihn hineinzuschlüpfen. Also doch Bachmann statt King.

Und heute kam ihr die schwierige Aufgabe zu, ein Festival zu beschließen - und sie machte es auf ihre Art großartig. Müde, etwas abgekämpft, etwas wurschtig hat Squalloscope einen ganz anderen Auftritt hingelegt, als noch beim Popfest #1 als Paper Bird. Damals versuchte sie die ganze Welt vom Wien Museum-Balkon aus in der Kälte zu wärmen, heute macht sie es anders. Mit fast schon Acappella-Versionen und ihrer eindringlichen, stimmlichen Performance. Neuen Stücken wie dem hinreißenden "Disneyland", das es hoffentlich auf ein neues Album schafft, Cover-Versionen, die ewig nicht gehört wurden, wie "List of Demands", ein Duett mit Hubert Weinheimer, die traurigste Version des alten Paper Bird-Songs "War Strategies", alles beschlossen mit Bruce Springsteens "I'm on Fire".

Squalloscope

Niko Ostermann

Und vermutlich muss man ein Popfest genau so beenden. Die größte Kritik, die auch der bisherige Kurator erkannt hat, ist die Gefahr der Institutionalisierung, die Angst vor der ewigen Wiederholung, der zu erwartenden Schlagzeile á la Madonna-Konzert. Bei dem, was ich 2012 beim Popfest gesehen habe, würde ich mir diesbezüglich für die nächsten Ausgaben allerdings noch keine allzu großen Sorgen machen.