Erstellt am: 29. 7. 2012 - 21:05 Uhr
Olympia-Journal '12. Eintrag 1.
Keine Ahnung, ob diesem Eintrag noch andere zum Thema London Olympics erscheinen wird. So viele wie beim EM-Journal '12 zur Fußball-Euro werden es aber nicht werden.
Ich docke erst einmal an Arthus Einöders hin- und hergerissenen Begegnung mit der Eröffnungsfeier an.
Nornmalerweise dauert es länger, etwa so bis zur Mitte der Schwimmbewerbe, bis ich an den sommerlichen olympischen Spielen festklebe, um erst nach dem Ende der Leichtathletik-Bewerbe wieder davon loszukommen. Diesmal geht es ein Spürchen schneller und ich schätze, dass es an London liegt. Also an der kulturellen Nähe und am mit vertrauten Selbstverständnis.
Dabei spielt die Ausrichtungsstätte beim Faszinosum Wettkampf-Zuschauen eigentlich keine Rolle: jeder Aquadom, jedes Stadion, selbst jede Straßenradstrecke ist mittlerweile identisch und austauschbar. Für den Fernsehzuschauer (und das sind die Menschen, auf die es ankommt, die paar zigtausend vorort sind schicke Staffage) bräuchte man keine zentrale Austragungsstätte - die Segler könnten vor Sydney sein, die Schwimmer in Seoul, die Reiter in Stockholm, die Boxer in Kinshasa, die Ruderer am Rio del la Plata und die Turner in Toronto. Übertragungstechnisch wäre das wahrscheinlich sogar einfacher.
Olympia findet nicht in London, sondern im TV statt
Die Ballung dieses milliardenschweren Sportfests ist ein Erbe der vorglobalisierten Weltordnung; als man so ein Event noch nicht digital hätte zusammenstöpseln können.
Und so ist der Austragungsort spätestens am zweiten Olympia-Tag nur noch in den überflüssigen Politiker- und Adabei-Übertragungen aus dem Österreicher-Haus präsent. Denn dem, woran die Außenstehenden interessiert sind, dem Sport nämlich, ist die Ballung an einem realen Ort ab jetzt blunzn.
Sie dient nur einigen langfristigen Überlegungen: der Machterhaltung des Konstrukts IOC, der Gewinnmaximierung (denn im Vorfeld solcher Mammut-Veranstaltungen lassen sich prima Geschäfte machen), dem Leistungssschau-Denken prestigesüchtiger Alt- und Neoimperialisten oder auch der Gründungsidee aus dem 19. Jahrhundert, die soziale Schichtung auch im eigentlich grenzenübergreifenden Sport festzuzurren. Das einzig positive ohne politischen, ökonomischen oder demografischen Hintersinn ist die einmalige Möglichkeit für die teinehmenden Sportler (die Jugend der Welt, wie es so schön heißt) im olympischen Dorf ordentlich quer durch alle Genres und Bereiche Kontakte zu pflegen; weniger geschönt gesagt (fragt einmal bei Ehemaligen nach): ordentlich herumficken zu können.
Upper-Class-Sport mit dem Willen sich mitzuteilen
Bei mir ist Olympia gestern abend angekommen, als Michael Phelps von Ryan Lochte unerwartet an die Außenbahn gedrückt wurde; und dann endgültig heute untertags bei einer Segel-Übertragung als einer aus der Raudaschl-Sippe (die teuren Elite-Sportarten tun wenigstens nicht so als wären sie für alle offen, sie stehen zu ihrer Erbhof-Tradition) vorne mit dabei war. Vor wenigen Tagen habe ich noch jemanden (vergessen wer; entschuldige mich unbekannterweise), der sich auf genau diese Übertragungen gefreut hatte, verlacht. Auch weil alles, was ich bislang von diesem Sport via TV mitbekommen hatte, vor Unübersichtlichkeit und optischer Unterbegabtheit nur so gestrotzt hatte. London 2012 löst seine Segel-Übertragungen mit Hilfe von cleverer Grafik-Überblendungen so auf, dass sie erstmals wirklich Sinn ergeben. Und dann ist auch hier kontemplatives Gaffen möglich - wie sich der Österreicher, der Brite, der Kroate und der Grieche mit ihren Bötchen (die Klasse hab ich sofort vergessen) um Bojen schmiegen und versuchen einander quasi das Wasser abzugraben. Da ist Segeln dann so übersichtlich wie der 5000-Meter-Lauf im Stadion.
Und dann ist Fräulein Ye schneller als Herr Lochte
Siehe dazu auch: Fußball-Journal '12, das wie alle Veröffentlichtungen im Rahmen des Journal 2012 stattfindet, das - im Gegensatz zur Täglichkeit des Journal 2011 - wie immer in geraden Jahren unregelmäßig erscheint.
Total angekommen ist Olympia danach, als ich eine Zusatzinfo zu einer anderen Schwimm-Entscheidung des Vorabends gesehen habe. Die Siegerin über die 400 Meter Lagen (das ist die Königsdisziplin, je 100 Meter Schmetterling, Rücken, Brust und Kraul), der Teenager Ye Shiwen aus China hatte bei ihrem Fabel-Weltrekord die letzten 50 Meter (Kraul) in 28,93 Sekunden geschwommen. Ye ist 1,72 groß und 64 Kilo schwer.
Superstar Ryan Lochte, gefühlt etwa doppelt so groß und schwer, brauchte bei seinem Sieg im Männerbewerb für seine letzten 50 Meter 29,10 Sekunden. Die kleine Frau war also schneller als der Herr Superstar.
Das macht ein völlig neues Feld auf, und das ganz ohne verschwitzte Caster-Semenya-Diskussionen. Zwar ist es unstrittig dass die zivilisatorischen Effekte die Unterschiede zwischen Männern und Frauen irgendwann wegnivellieren werden - dass die ersten Ansätze dazu schon zu unseren Lebzeiten und nicht in einer fernen utopischen Zukunft stattfinden, ist aber doch überraschend.