Erstellt am: 29. 7. 2012 - 02:12 Uhr
Gut genug für die City
Es spricht zu Ihnen Mag. DDr. Franz Adrian Wenzl von der Band Kreisky.
Popfest Wien
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Eine Krönung sei zu erwarten, ein fast monarchischer Akt der Gnade, wenn sich schon der Alt-Bundeskanzler Bruno Kreisky nicht am Popfest Tag 3 einfinden kann, dann doch das gleichnamige musikalische Kollektiv. Zuvor wurde man allerdings ins Bundeskanzleramt berufen, unfern vom Karlsplatz, denn dort lud die staatstragende Initiative "They Shoot Music" zur Audienz in den Räumlichkeiten des heiligen Sozialdemokraten. Dem demokratisch bemühten Schreiber dieser Zeilen liegt das audiovisuelle Kleinod noch nicht vor, aber es wird nachgereicht. Soviel vorweg: der Bundesadler fiel fast von der Wand, so laut war die Kacke am Dampfen.
Niko Ostermann
Brüssel, watch out!
Bei solch einer Okkupation und in Anbetracht, dass Österreich Teil einer Union ist, war klar, dass auch Brüssel mit Argusaugen aufs Popfest blickt. Les Autrichiens, werden sich etwa naserümpfend die Franzosen denken, wenn ihnen unsere Staatskünstler einfallen. Steht Tag 3 am Popfest doch zumindest auf der Seebühne dominierend im Fegefeuer der deutschen Sprache, mal zart, aber zerrissen beim Trojanischen Pferd, dann charmant-wienerisch bei 5/8erl in Ehr'n und staatstragend bei Kreisky. Einzig und allein die mir bis dato noch unbekannten Mopedrock!! (mit verdienten Ausrufzeichen) scheinen die Ausnahme zu stellen, repräsentieren sie doch die beiden anderen großen Amtssprachen der Europäischen Union: 99% in Französisch, 1 % in Englisch.
Niko Ostermann
Fotos von Niko Ostermann und Videos von They Shoot Music
Keep it simple, keep it groovy und très charmant wie der 60s Pop à la français, Mopedrock!! kokettieren mit der romantischen Aufladung der französischen Sprache, allerdings so dringlich, drängend, dass Jakob Ortis, Marlies Schläger, Andreas Leikauf und Nicoletta Hernández ein bewundernswert delikater Auftritt gelingt. Die erfrischende Mischung aus Garagenrock, Punk und Chanson und vor allem das Französische, das ist luftig-leicht: Wann geht das schon noch? Augen zu, Musik genießen, vielleicht (bei mir ganz sicher:) kein Wort davon verstehen. Dieser positive Nebeneffekt zeichnet diesen Vierer aus. Denn alles, was mir noch aus der Schule hängen blieb, ist: Voulez-vous du beurre? Und selbst das klingt doch noch irgendwie nach einem bevorstehenden Liebesspiel.
Musik, die das Liebespiel in durchaus andere Gefilde erhebt, ist jene vom Trojanischen Pferd. Die Legende kennen wir alle, die muss man hier nicht mehr bedienen. Aber der kleine Verweis auf die ungewöhnliche, fast schon wie ein hölzernes Pferd hineingeschmuggelte Intellektualität dieser Songs in den Rahmen eines Festivals, der sei erlaubt. Hubert Weinheimer und Hans Wagner stehen nämlich für kunstsinnige Arrangements, bisweilen bitterböse Texte, "Wut und Disziplin" heißt ihr neuestes Werk. "Gib dem Kaiser was des Kaisers", und so findet sich recht früh die herrliche Squalloscope auf der Bühne ein, Tattoos freigelegt, auf Deutsch singend. Das hört man nicht oft. Im Hintergrund extra für diesen Abend ein Streich- und Bläserensemble, die der Hoffnung eine neue Note verleihen.
Niko Ostermann
"Ich schlag der Zeit den Schädel ein, willst du vielleicht mein Mädel sein?" fragt Weinheimer, singt vom Menschenfresser, vom brennenden Wien, reimt erbarmungslos Larifari mit Stradivari. Dann ein Song namens "Pop(p)song", im Finale "Mein Herz schlägt mich innerlich tot", das Publikum soll mitsingen, Weinheimer brüllt es an, verzweifeltes Animieren der breiten Masse. Die kapiert das nicht immer ganz, aber hier spürt man auch den Mut zur Wut in jeder Silbe. Wenn ich Weinheimer demnächst wieder in der U-Bahn treffe, werde ich ihm dafür danken.
Niko Ostermann
Und dann, dann kam die Wende, aber nichts war zu Ende. Am Himmel zogen dichte Wolken auf und so manch Pessimist war sich klar: Hier schüttets gleich aus allen Kübeln. Zusätzlich ärgerlicher Sturm, der den Dreck der Umgebung nochmal heftig aufwirbelte: Die Seebühne kannste zusperren. Und so flüchtete man schon zu Plan B: der allzu frühen Benutzung des Prechtlsaals, wo man nun wohl auch das Seebühnen-Programm bestreiten müsste. Sicher ist sicher, aber nicht immer nötig.
Denn nach einer wirklich heftigen Ansammlung von Böen, einem mehr oder weniger aushaltbaren Schauer, machte man sich an, die Seebühne wieder mit Instrumenten zu bestücken. Es sollte draußen weitergehen. Das Ganze war natürlich ein Spiel mit dem Risiko: Hält das Wetter? Oder sind in knapp zwei Stunden Kreisky die armen Schweine, die nach acht Minuten wieder aufhören müssen? So manch einer ist mit solchen Prognosen ja schon ordentlich eingefahren. Aber zumindest für 5/8erl in Ehr'n, die derzeit am meisten herumgereicht werden, sollte es reichen.
Appell an die Mündigkeit
Irgendwie sind sie mir immer entkommen, dabei ist "Gut genug für die City" das bereits dritte Album von 5/8erl in Ehr'n, und was für eines. Lorbeeren haben sie dafür schon genug bekommen: abwechslungsreiche Arrangements des Quintetts, traumhafte Stimmen von Max Gaier und Bobby Slivovsky, derber, aber charmanter Wiener Schmäh. Eine Band, die ähnlich wie Heller ihren eigenen Tod inszenieren würde, nur um über ihn zu sinnieren. In Wien musst du schon sterben, damit sie dich hochleben lassen, sagte schon der große Qualtinger. 5/8erl in Ehr'n formen die Wiener Gemütlichkeit auf eine Weise, wie man sie nicht unbedingt dem Klischee zuordnet: chillig, soulig, bluesig, jazzig, mit einer siaßen Tschik in da Gosch'n. Auch so sind die Wiener.
Niko Ostermann
Den Schmäh kapieren nicht alle: die Dialoge zwischen den Stücken sind zumindest zu Beginn etwas träge und verkrampft gewollt, das exzessive Stöhnen und Zwitschern darf man sich auch ruhig mal öfters verkneifen. Aber dazwischen sind es mitunter die schönsten Arrangements und ein völlig neues Gefühl, was immer man auch mit "Wien" verbinden mag. Die Großkotzigkeit und Suderei dieser Stadt kommt wunderbar im Albumtitel raus: "Gut genug für die City" - im Live-Set ergänzt durch: "Gut genug für die g'schissene City". Wien ist anders, und so schmettert die Band ihre schönsten Lieder, schneidet die Melone auf und appelliert an die Mündigkeit und die Befreiung des Viktor-Adler-Marktes von politischen Veranstaltungen. Leben wie Qualtinger und sterben wie Heller, aber bitte immer mit Blick gegen die Sonne.
"Die ersten Sommertage, alle zieht es nach draußen. Kaum ein ruhiges Plätzchen zu finden, das nicht besetzt ist. Naja, geh ich halt auf die Kreisky-Homepage, da ist keiner..." - so Herr Wenzl auf der Website zu der immer größer werdenden Popularität dieser Band des Volkes, demokratisch gewählt, vom Altkanzler Kreisky in seinen Räumlichkeiten geduldet. Es ist kurz nach 21:30, die beste Band der Welt namens Kreisky betritt die Bühne, und startet mit einem herzhaften Gitarrenriff. Hast du dir vor einigen Jahren gedacht: "Hey, ich hab gespart, ich kauf mir eine schmucke Eigentumswohnung mit Blick auf die Karlskirche!": Jetzt wirst du es bitter, bitter, bitter bereuen.
Niko Ostermann
Niko Ostermann
In ein dunkles Blau gehüllt spielen Kreisky ihr Set im Schatten des Donners und der Blitze, die einige Kilometer entfernt schon aufgeregt zucken. Aber es ist wie bestellt, ist es doch der Soundtrack des Wutbürgers, früher hat man von 40 Euro noch leben können, und heute: Scheiße, Schauspieler. Die Stücke des letzten Albums "Trouble" präsentiert die Gruppe gewohnt laut, einige neue schleichen sich dann doch ein: "Brüssel" und das wohl politischte Lied, das diese Band je verfasst hat: Es handelt von einem großen Glied, das nicht in den Mund genommen werden soll. Demokratien brauchen Hymnen wie diese.
Dann entlässt Franz Adrian Wenzl sein Publikum, es sei nicht das beste gewesen, das er je hatte, aber durchaus anständig.
Das Wetter hält nicht mehr lang, aber für die Seebühne ist es egal, die hat ihr Werk dieses Jahr getan. Nun kann man sich nur noch zweiteilen: Entweder in die poppigen Traumlandschaften voller Luftballons mit Robert Stadlober und Gary, dem Comeback von Play The Tracks Of und Monsterheart im TU Prechtlsaal. Oder lieber in den Ost Klub zu Hella Comet, Tracker und Nifty's. Alles zeitgleich, hier heißt es wählen.
Niko Ostermann
Morgen dann der letzte Popfest-Tag: Unbedingt ins Wien Museum ab 20 Uhr kommen. Loose Lips Sink Ships, der Austro-Kanadier Woodpigeon, Squalloscope. Diese Wahl ist zur Abwechslung mal eine leichte.