Erstellt am: 28. 7. 2012 - 16:43 Uhr
Hallo Olympia!
Viel näher wirst du Olympia nicht kommen. London, das ist nicht nur das Zentrum der Hochfinanz und als solches das Epizentrum vieler Vorgänge, die dich im Hier und Jetzt beschäftigen. London ist auch immer noch der Brennpunkt, wo all das passiert, was du unter der Popkultur unserer so genannten Zivilisation verstehst. Mit allen Vor- und Nachteilen.
Dass die Olympischen Spiele jetzt ausgerechnet dort stattfinden, find ich aus zwei Gründen ziemlich spannend.
Erstens: Olympische Spiele können Städte verändern. Plötzlich ist Geld, Wille und Macht da, in Infrastruktur, Kunst, Wohn- und Lebensraum einzugreifen. Ich war ganz beeindruckt, wieviel von dem, was Barcelona so leiwand macht, direkt oder indirekt mit den Olympischen Spielen von 1992 zu tun hat. Die andere Hälfte von dem, was Barcelona so leiwand macht, geht auf die Weltausstellung von 1929 zurück. Weils heutzutage nur mehr halbgare Weltausstellungen gibt, fallen den Spielen vielleicht sogar noch mehr impulsgebende Aufgaben zu. Was ich aber via Rotifer, Guardian und Co so aus London höre, sind die Impulse dieser Spiele eher unguter Natur. Da regt sich ein Teil in mir entsprechend auf, über Schaffung von Kommerz- und Entertainmentzonen, über die Köpfe der betroffenen Menschen hinweg. Der andere Teil in mir ist sich bei solchen Gelegenheiten widerum sicher, dass irgendwer wohl auch gegen den Eifelturm, gegen Krankenversicherungen, gegen Graz 2003 und gegen das Telefon war.
Zweitens, und das ist der wirkliche Grund dieses Posts hier, zwingen Olympische Spiele die Veranstalter zu einer Eröffnungsfeier.
APA / Helmut Fohringer
Alle 4 Jahre wieder
Das Medium Olympische Eröffnungsfeier ist mir ein sehr liebes, weil es nämlich so wahnwitzig unterschiedliche Anforderungen unter einen Hut bringen soll. Repräsentativer Prunk, Kommunikation nationaler Identität und Abbildung von Kultur und Zeitgeist bei gleichzeitig hoher politischer Abhängigkeit, maximal möglicher Zuschauerquote, Unterhaltungsanspruch und kompetitiver Gigantomanie, immer im Vergleich gegen frühere Olympische Eröffnungsfeiern. Sie stellt den Anspruch, ein epochales Geschehen zu sein, scheitert aber jedesmal kolossal aufgrund der Interessenslagen, die einfach nicht zusammen gehen. Mal scheitert sie schöner, mal hässlicher: Aber stets kolossal, weil Geld ja keine Rolle spielt.
Schau dir eine Eröffnungsfeier an, und sie sagt dir, auf was das Veranstalterland zum jeweiligen Zeitpunkt gerade drauf war.
Bei London 2012 bin ich allerdings ein wenig ratlos. London 2012 hat sich dazu entschlossen, das Medium "Olympische Eröffnungsfeier" in drei Hauptblöcken zu bespielen. Nationale Geschichte, nationale Kinderliteratur und nationale Popgeschichte. Davor ein Queen-Double, das mit Fallschirm im Stadion landet. Danach der Einzug der Komitees. Kurze Notizen zum Drehbuch:
Geschichte - okay, klingt irgendwie mutig, weil schwierig. Empire, Schuld, Sühne, Stolz, Verantwortung, das macht einiges auf.
Kinderliteratur - Interessante Entscheidung, weil sehr speziell, aber immerhin: Popkulturelle Referenzen ftw und Mary Poppins vs. Voldemort ist ja ein aufgelegter Eröffnungszeremonien-Elfer.
Popgeschichte schließlich, weil die Eröffnung ja auch unterhalten soll, und die Popgeschichtsschreibung in einer Zeit beginnt, an die sich die ältesten Zuseher gerade noch erinnern können.
APA / Helmut Fohringer
Der Geschichtsblock beginnt mit ballspielendem Landadel, zeigt lang und breit, wie zur Industriellen Revolution Schlote hochgezogen werden und die Landidylle verwüstet und wie für das Frauenwahlrecht demonstriert wird, bis die Szenerie vor roten Mohnblumen an die Kriegsgefallenen gedenkt. Die Nachkriegsgeneration in Form von in Lumpen gekleideten Arbeitern schmiedet heroisch die Olympischen Ringe, bevor die Windrushgeneration in Seargent Pepper Kostümen einmarschiert und damit das Ende der Geschichte markiert. Zumindest das Ende des Geschichtsblocks.
WTF?
Wenn ich junger Brite wäre, würde mich das alles sehr verstören. Warum sind das die Ringe und die Spiele der Nachkriegsgeneration? Warum hört die Geschichte mit dem Einzug von Pop auf? Oder gehts da nur um das Empire? Wer erzählt die Geschichte, die ich selbst kenne? Die Geschichte von Jobabbau, Privatisierung, Internationalisierung, der Umverteilung nach oben und von der Sozial- und Wirtschaftskrise? Wird die nurmehr via Popmusik und lustiger Mode erzählt? So wie im entsprechenden Teil der Eröffnungsfeier?
Der Popkulturteil war immerhin nicht unwitzig gestaltet. Während ein gigantisches Tanzspektakel im Stadion die Pop- und Mediengeschichte nacherzählt, findet in einer Meta-Handlung ein Pärchen (Bub und Mädchen) via Statusupdates und Smartphone zueinander. Ein gigantisches Hitfeuerwerk erinnert mich mal wieder daran, wieviel von dem, was ich als "meine" Popkultur wahrnehme, aus England kommt: Stones, The Who, The Specials, Bowie, Sex Pistols, Joy Division, Happy Mondays, Eurythmics, Sugababes, Prodigy, Dizzee Rascal. Das alles (Dizzee sogar live im Stadion) verschmilzt zu einer riesigen Choreographie aus hüpfenden Punkpuppen und neongekleideten Ravern, während ich mir überlege, dass ich die Eröffnung vor vier Jahren wohl nur deshalb so ganz und gar nicht verstanden habe, weil ich ja die chinesische Amy Winehouse und die chinesischen Blur gar nicht kenne. Am Ende der Show sitzt Tim Berners-Lee allein auf der Bühne und tippt in einen Computer: "This is for everyone".
Ob er damit das von ihm "erfundene" World Wide Web meint, oder ob damit den Popblock vom Geschichtsblock abgrenzen will, weiß ich nicht genau. Dass die Eröffnungszeremonie aber komplett ohne das alles beherrschende Thema der vergangenen vier Jahre, komplett ohne Finanzkrise auskommen musste, noch dazu an einem so bedeutungsvollen Ort wie London, kann ich nicht nachvollziehen. Muss ja nicht mal "der Spekulant" auftauchen, da würde schon die eine oder andere Gier-Allegorie reichen, oder die dargestellte happy family könnte mit dem einen oder anderen Folgeproblem zu kämpfen haben, oder was weiß ich.
APA / Helmut Fohringer
2012
Immerhin: Im Vergleich mit Sydney, Athen oder Peking hatte die Eröffnungsfeier London 2012 etwas mit der Welt, in der ich lebe, zu tun. Statt sphärischer Märchengestalten in möglichst weltfremder Verkleidung hat die Feier Bezug genommen auf reale und normale Dinge. Allein, dass in London 2012 ein unverheiratetes Pärchen in der Metastory rumtanzt, allein, dass Wahlrecht beziehungsweise Frauenrechte thematisiert werden, ist in diesem Kontext wohl schon als politisches Statement zu verstehen. Für uns zwar total 1918, aber andererseits schätze ich, dass das alles in rund der Hälfte der teilnehmenden Länder alles andere als common sense ist, zumindest nicht dem Gesetz nach. Aber vielleicht können die Zuschauer dort mit London 2012 auch genau so viel anfangen wie ich mit Peking 2008.