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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

28. 7. 2012 - 02:26

Dabei sein ist alles

Olympische Prinzipien am Popfest: Tag 2 mit Lonely Drifter Karen, M185, Texta und vielen mehr.

Popfest Wien

"Was treibt und tobt mein tolles Blut? / Was flammt mein Herz in wilder Glut?", diese holde Frage im Paarreim stellte sich schon Heinrich Heine. Aber nicht nur er, am heutigen 2. Popfest-Tag durfte auch Willi Landl zur Vertonung des großen Dichters ansetzen, mit einiger Überredungkunst von Ideengeberin und Kollegin Alexandra Augustin. Denn auch Landl zwickte am heutigen Tag der olympische Gedanke, haben sie doch zeitgleich begonnen, die Olympischen Spiele in London. Für viele die dominante Nachricht der Stunde, obwohl auch in Wien neben dem Popfest vor allem am Gürtel manch Bäriges für Gesprächsstoff sorgte.

Fensterbär am Gürtel

APA/Hans Klaus Techt

Er trainiert hart für Olympia: Extreme Watching

Aber herrlich strahlendes Sommerwetter und der Start der Olympischen Spiele können und dürften auch nicht am Wiener Popfest spurlos vorübergehen. Große körperliche Leistungen waren aufgrund der enormen Hitze nicht zu erwarten, aber das Line-Up versprach einen Battle der Nationen: Auf der Seebühne fanden sich etwa die Halb-Schwedin Lonely Drifter Karen ein, die eigentlich eh nach New York klingenden M185 und Texta, die mit Stücken wie "Ich bin der Beste" ohnehin immer nach der Spitze gieren. Tag 2 ließ also auf Großes hoffen.

Popfest Leute

Christoph Liebentritt

Noch als olympische Disziplin ausständig: Extreme Chilling
Kind mit Run-DMC Shirt

Christoph Liebentritt

Sie ist die zukünftige 100 Meter-Lauf-Hoffnung - Run, DMC, run!

Fotos von Christoph Liebentritt und Videos von They Shoot Music

Den Auftakt machte die beinahe-schwedische Engelszunge Lonely Drifter Karen, ihr "interplanetarischer Dream Pop" ist eine eigene Disziplin, zumindest in heimischen Gefilden derzeit noch konkurrenzlos. Trotzdem ist sie für mich die erste Überraschung des Abends, denn ihre sphärischen und retrofuturistischen Kompositionen stellte ich mir zunächst als äußerst brüchig auf der Seebühne vor, und das bei hellem Licht und tratschendem Publikum. Aber der Sound passte, obwohl das Keyboard zu streiken schien, und die Melodien breiteten sich eisig, aber doch gefühlvoll aus. Tanja Frintas Stärke ist ihre Unauffälligkeit, fast schon zurückgezogen sinniert sie in ihren eigenen Stücken und lässt diese für sich sprechen.

Lonely Drifter Karen

Christoph Liebentritt

Frinta ist eine Ausnahmerscheinung, nicht nur am Popfest. Die Stücke ihres neuen Albums "Poles" sind intensiv, beinhalten kleine kniffelige Melodien, die sich wie ein Nagetier in der Ohrmuschel festnagen. Heute streut sie funky Orientalismen ein, zuckert das Ganze mit 80er Jahre Retro-Texten und bleibt damit irgendwie immer unantastbar. Tanja Frinta ist einer der ungewöhnlichsten Acts des Tages. So ganz werde ich diese Dame nie verstehen, aber in punkto Mysterium verdient Lonely Drifter Karen klar die Goldmedaille.

Hypnotischer Krautrock und noisiger Gitarrensound: M185 werden ja gern als heimischer Act mit internationalem Appeal beschrieben - eine Unart, verortet es die heimische Popmusik doch im Provinziellen, Kleinen, Düdeling'schen. Aber dass sich auch die vermeintlichen Zwerge zu Großem aufraffen können, das steht auch bei dieser Wiener Band längst außer Frage. Bedient man Vergleiche mit 70er Jahre KünstlerInnen, die gleichsam experimentierfreudig und trotzdem melodieverliebt waren, dann versucht man die Stärke dieser Gruppe irgendwie in Worte zu fassen. Im Endeffekt heißt das nur: Die Jungs, die spielen echt geile Songs.

M185

Christoph Liebentritt

Vor allem die Vielschichtigkeit tut der größer werdenden Menge vor der Seebühne gut, immer ist es ein kleines Riff, dass in Variationen eine immer dichter werdene Atmosphäre aufbaut. Man spürt vor der Bühne richtig die Wucht, die diese Stücke auslösen, die Kraft, die wundervolle Strophensequenzen zu kleinen Indiepop-Hymnen werden lassen. Wolfram Leitners hypnotischer Sprechgesang bietet den Raum für große Emotionen, Songs, die sich durchaus auch in Überlängen üben, Hymnen, die die Arme weit ausbreiten.

Kind wird geworfen

Christoph Liebentritt

Während des M185-Gigs: Extreme Throwing. Mit Kind.

"Der Karlsplatz hat wohlig gebebt", facebooken die KollegInnen vom Popfest, mit einem Augenzwinkern Richtung Linzer Urgestein Texta. Nun weiß man ja, dass Skero sowas wie der Haus- und Hofdichter des Popfestes ist, einmal als Ninos Gast, dann mit einem Solo-Gig, nun in Jahr drei nach der Popfest-Geburt mit seinen überregional bekannten und geschätzten Wortjongleuren Texta. Die bedürfen wiederum kaum Worte der Vorstellung, vielmehr einen Verweis auf die (logischerweise) im Hip Hop gefestigte Textvielfalt, nun auch in Buchform veröffentlicht: "Die Texta-Chroniken". Ein Schmöker, der neben dem religiös ausgerichteten Werk seiner Wahl in der Nachttischlade nicht fehlen sollte.

Texta

Christoph Liebentritt

Wortschmied Skero

Nach zwanzig Jahren Bandgeschichte ist dieses Kollektiv tatsächlich ein Garant für eine große und stilvolle Hip Hop-Party. Skero, Flip und Co. bitten höflichst die Arme lässig in die Luft zu strecken, in Richtung Mond, der sich gerade anschickt in der Dunkelheit hervorzukommen. Die Seebühne ist in wunderbare Regenbogenfarben getaucht, eine klare Verbesserung zu den Projektionen auf die Karlskirche aus dem Vorjahr. Ein Kollege sagt: "Dass die das vor der Kirche dürfen, ist schon arg" - eh, aber Texta sind nicht irgendwer. Anspruchsvolles Textwerk, brutal offen, pointiert, Mundart, bebende Beats - der Karlsplatz hat wohlig gebebt.

Texta

Christoph Liebentritt

Bei Texta: Extreme Throwing 2. Mit Händen up in the air.

Die Seebühne bleibt auch weiterhin in grelle Farben gekleidet und leuchtet den Weg frei Richtung Prechtlsaal in der TU, der sich wahrlich in diesem Jahr zu einer ansehlichen Location gemausert hat. Dort verlagert sich nun mit gleichzeitiger Programmierung zum Ost Klub das Geschehen. Was gibt es da zu sehen: G.Rizo, Patrick Pulsinger, Elektro Guzzi, Wolfram aus New York, im Ost Klub vertont Willi Landl Gedichte, Pop:sch, Binder & Krieglstein, DJ Phekt und es nimmt kein Ende.

Für jeden was dabei, angefangen mit G.Rizo alias Ihu Anyanwu, großartige in Wien lebende Sängerin, Produzentin und DJane, die für FM4 schon Prince interpretiert hat und die auch im Prechtlsaal ein energiegeladenes Set hinlegt. Mit was für einer gewaltigen Stimme!

Blick ins Publikum im Prechtlsaal

Christoph Liebentritt

Aus der Sicht von G.Rizo
G.Rizo

Christoph Liebentritt

Aus der Sicht des Publikums

Ein herrlicher, unaufgeregter Popfest-Tag ist immer noch am Laufen, bis in die Morgenstunden. Morgen geht es weiter, mit Gary, Kreisky, und mehr. Die Medaillenreihung machen wir uns aus, wenn wir uns wiedersehen.

Publikum

Christoph Liebentritt

"Komm endlich her, wir packen z'samm!"