Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Späte Stunde muss kein Manko sein"

Alexandra Augustin

West Coast, wahnwitzige Künste und berauschende Erlebnisse. Steht mit der FM4 Morningshow auf.

27. 7. 2012 - 11:40

Späte Stunde muss kein Manko sein

Wir tanzen auf einem ehemaligen Friedhof in brütender Hitze mit Attwenger, den Beth Edges, A Thousand Fueogos, Mel und und und. Der erste Tag am Popfest.

Popfest Wien

Am Nachmittag sitze ich am Teich im Resselpark, neben mir eine freundliche, ältere Dame. Die Dame ist Touristin, ich versuche sie zu überreden zu bleiben oder wenigstens später wiederzukommen. Ja, die Architektur und die Karlskirche ist sicher toll. Aber es gibt hunderttausend Gründe mehr, hier am Abend wieder aufzutauchen! Habe ich schon erwähnt, dass...

  • man hier keinen Eintritt zahlen muss?
  • man hier sein eigenes Bier mitbringen darf?
  • hier einem nicht 157856 Securities in den Hosentaschen rumgrabschen?
  • man hier auf einem ehemaligen Friedhof feiert? (so stehts geschrieben, auf einem Schild neben der TU)

Na, wenn das nicht gute Gründe sind, einen Sprung am Popfest vorbeizuschauen? Und viele kluge Menschen mit einem guten Musikgeschmack haben sich diese Gründe wohl zu Herzen genommen, denn am Abend ist der Karlsplatz mit einer feierwütigen Menschentraube überfüllt .

Menschen

Niko Ostermann

Da konnte nämlich auch die Schlechtwetterankündigung inklusive Sturmwarnung nichts dran ändern. Obwohl es am Nachmittag so richtig unaustehlich heiß war, wurden wir vorab gewarnt, dass das Unwetter so schlimm werden könnte, dass wir vorsichtshalber unseren Baustellen-Arbeitscontainer nahe der Seebühne nicht so voll räumen sollen. Eventuell wird es wirklich übel, dann sollen wir Unterschlupf in der Technischen Universität suchen.

Regen

Niko Ostermann

Regen. blöd.

Auch die Acts wussten am Nachmittag noch nicht so recht, was ihnen blühen wird - oder auch nicht. Wird Mel am Balkon des Wien Museums spielen?

Zum Glück ist dann alles gar nicht so schlimm. Ein paar Tropfen um 18:25 - um 18:45 betreten dann aber schon die Beth Edges - mit leichter Verspätung - die Bühne.

The Beth Edges

Niko Ostermann

Dany Derntl über die Beth Edges:
The Beth Edges sind Optimisten! Im Mai haben sie ihr neues Album "Blank Coins, Round Dice" veröffentlicht und führen mit dem Titel Münzen und Würfel als Entscheidungshilfen ad absurdum. Denn ihrer Meinung nach gibt es keine falschen Entscheidungen im Leben. Diese Philosophie ist spärlich verbreitet, nur wirkliche Positivisten können sie teilen.

Bei dem zeitverzögerten Konzert der Beth Edges gab es auch ein paar Überraschungen, zum Beispiel haben sie ihren Hit "I can´t belive it" neu mit Akustik-Gitarre, Piano und Trompete instrumentiert. Eine schöne und eingängige Eröffnung von dem jungen Linzer Quartett, die allerdings nicht die einzigen Stahlstadtmusikanten an diesem Abend sind! Attwenger is next!

'Shakin my Karlsplatz' - mit Attwenger

HP Falkner und Markus Binder brüten in der Mittagshitze beim Soundcheck auf der Seebühne und nehmen zwischendurch ein kleines Bad im Teich im Resselpark. Danach treffe ich die beiden zum Interview.

Attwenger baden

Michael Fiedler

"Attwenger - das Überwinden der Pop-Provinz"

Das Symposium ist Teil der Wortschwall-Serie, der zweitägigen Konferenz rund ums Popfest.

Sonntag, 13:00, Project Space, Karlsplatz. Moderieren wird Karl Fluch.

Attwenger sind heuer nicht nur als Musikanten beim Popfest, sondern auch Gäste bei der zweitägigen Konferenz, die das Popfest begleitet. In der Wortschwall-Serie werden sie kommenden Sonntag im vielversprechenden Symposium "Attwenger - das Überwinden der Pop Provinz" über das Musik machen am Land aus dem Nähkästchen plaudern. Glaub ich halt. Weil worum es gehen wird, das wissen auch Attwenger nicht so genau.

"Keine Ahnung, i hob‘s grod glesen, ober i bin begeistert!", antwortet Markus Binder auf die Frage, worum sich denn das Symposium drehen wird. Denn die sogenannte "Pop-Provinz", was soll das denn eigentlich sein? Wir reden also ein paar Minuten darüber, dass das Wort Pop-Provinz wohl nicht mehr als ein reines Gedankenkonstrukt ist und schweifen ab in die Anfangstage, als Attwenger mit dem Musikmachen begonnen haben. Das war noch vor FM4. Und vor dem Internet! Da hat man Menschen mit einem Telefon, das eine Wählscheibe hatte, angerufen! Na, hört selbst:

Popfest 2012 Attwenger IV
Attwenger

Niko Ostermann

Attwenger

Niko Ostermann

Fatima Spar & the Freedom Fries

Dany Derntl über Fatima Spar:
Attwenger haben sich mit ihrer Mischung aus Alternative, World Music und zeitgenössischen Folk eine Nische in der österreichischen Poplandschaft geschaffen, in die auch Fatima Spar & the Freedom Fries passen. Kosmopolitisch ist nicht nur der Sound der mittlerweile zum Oktett angewachsenen Band, sondern auch die Besetzung und die Konzert-Stationen: Gerade eben sind sie von einer Mini-Tour aus der Türkei zurückgekehrt und im Herbst soll endlich die nächste Single erscheinen, denn die letzte Veröffentlichung liegt schon wieder vier Jahre zurück.

Fatima Spar

Niko Ostermann

Ideen für neue Songtexte hat Sängerin Nihal Semtürk zur Genüge, es reicht ihr ein Blick auf das Nachrichtengeschehen - von der Wall Street bis Syrien, von Wien bis Kärnten. Die Freedom Fries verknüpfen ihre kritischen Texte mit flotten und tanzbaren Swing-Jazz und Balkan-Pop, der die Mundwinkel nicht hängen lässt. Denn der Ansatz der Band ist es, auch brisante Themen in die Klubs, Konzertsääle und auf den Wiener Karlsplatz zu bringen, wo vor allem die Nummern ihres ersten Albums "Zirzop" das riesige Publikum zappeln lässt wie einen Fisch im Trockenen. Fatima Spar & The Freedom Fries sind großartige Musiker und zur Freude der 15.000 Popfest-Besucher nicht die einzigen an diesem Abend.

Mel

An dieser Stelle muss dem Menschen, der die großartige Idee hatte, Bands am Balkon des Wien Museums spielen zu lassen, einmal offiziell gedankt werden: Danke! Denn da oben, das ist ein nahezu perfekter Platz für ein Konzert. Jeder Mensch, der unten im Publikum steht, kann das Konzert von Mel gut sehen. Man kann sie auch ausreichend gut hören, wenngleich man die Akustik auch noch lauter vertragen könnte. Aber der Platz hat Atmosphäre. Man fühlt sich fast so, als ob man hier in Venedig wäre und da oben singt nun jemand am offenen Fenster. Ein sehr entspanntes Konzert ist das. Zumindest für die Zuschauer, denn Mel selber leidet schrecklich unter Höhenangst.

"Aber heute hau' ich den Hut drauf! Heute wird es knallen! Es ist ein schöner Ort, man fühlt sich schon sehr majestetisch, königlich!", entgegnet sie mir im Interview vor der Show.

Popfest 2012 Mel IV

Mel hat übrigens eine ganz besondere Verbindung zum Popfest, denn hier hat sie den Produzenten ihres aktuellen Albums "King Street" - Ian Button - kennengelernt. Am allerersten Popfest überhaupt, vor drei Jahren, hatte Mel als Special Guest beim Konzert von Robert Rotifer einen Aufritt. Und der Drummer von Robert Rotifer war eben dieser besagte Ian. Jetzt, drei Jahre später, hat Mel in in einer alten Synagoge in Canterbury ihr neues Album mit seiner Unterstützung aufgenommen. Ein Album, auf dem man hört, wie sehr sich die Musikerin weiterentwickelt hat. Wunderbare Lieder sind das, die in die verschiedensten Genres abdriften. Und auch Live ist Mel gewachsen. Von der Schüchternheit der Anfangstage ist keine Spur mehr als Mel den Balkon einnimmt und ihr halbstündiges Set darbietet. Wahrlich majestetisch!

MEL

Niko Ostermann

MEL

Niko Ostermann

Mel

Sixtus Preiss

Popsicle your favourite Song
Bands vom Popfest spielen ihren Lieblingssong im FM4 Video

Auch schön: Wenn man mit Freunden wie Sardinen an der Karlsplatz Bassena knotzt, die Stimme von Mel vom Balkon des Wien Museums herüber weht und man die blaugetünchte Spiegelung der Karlskirche auf der Wasseroberfläche beobachtet, über die Menschen wie Jesus wandeln wollen. Nebenan hört man ähnlich zum Scheitern verurteilte Sätze wie "Epic! Die Karlskirche schaut ur gerendert aus. Bist du Teppich!". Nichts wie los ins Brut zu Sixtus Preiss, der das gefühlt 7/8 volle Brut mit einem ebensolchen Takt ausfüllt und wieder auseinander nimmt: Jazz, Glitch-Hop, experimentell, improvisiert, wonky und funky. Name it, got it! Furioser Freestyle in der Kopfnickerdisco von Sixtus Preiss und seinen Bandkollegen von Kompost3.

A Thousand Fuegos

Matthias Peyker aka A Thousand Fuegos freut sich sichtlich auf sein Konzert im Prechtlsaal, als wir uns zufällig vor dem Konzert vor der TU treffen. Weil: Er wird alleine spielen. Ganz alleine. Ohne Mitmusiker. Das ist ja vielleicht für manche Singer/Songwriter mit Schrammelgitarre nichts besonderes, aber für einen Musiker von seinem Kaliber, der Lieder wie gigantomanische Superzwiebeln baut, schon. Denn wie soll man die Komplexität, die auf ein Album durchaus passt, wenn man daran herumschrauben kann wie man will - ohne Zeitdruck und inneren Zwang - in einen Konzertraum quetschen? Noch dazu eben alleine? Man hat ja nur zwei Beine und zwei Hände und nur einen Kopf.

A Thousand Fuegos

Niko Ostermann

A Thousand Fuegos

Niko Ostermann

Es gibt Musiker, die schreiben Lieder nach Mustern, von einem kollektiven Verständnis für Popmusik geprägt. Und dann gibt es A Thousand Fuegos, der sich mit diesen Gegebenheiten spielt, sie sanft bricht. Der Lieder schreibt, wie andere Bilder malen. Und er schafft es trotzdem, auch ohne großen Schnickschnack, alle Facetten seiner Musik live schillern zu lassen. Weil hey, das alles funktioniert ganz ohne Laptop, dafür ist der Musiker mit einem Sammelsurium an Drummachines und Loop-Pedalen ausgerüstet.

"Denn ein Laptop auf der Bühne geht gar nicht!" meint Matthias Peyker. Ich finde das einfach nur sehr großartig.

Konea Ra

Dany Derntl über Konea Ra:
Wer hätte das gedacht, Konea Ra klingt live viel, viel besser als auf Platte! Die Kühle der Konserve ist auf der Bühne verschwunden, der Gesang und die Arrangements wirken wie aufgetaut und sind noch einnehmender als auf dem Debüt-Album "Pray for Sun".

Konea Ra

they shoot music

Konea Ra am Popfest

Der Nino aus Wien

Der Nino aus Wien

Robert Räudig

Symbolfoto

Der Nino aus Wien bildet das Schlusslicht des ersten Popfest-Abends, denn sein Konzert findet gleich nach A Thousand Fuegos, um 2:00 Uhr in der Früh ebenfalls im Prechtsaal der TU statt. Und der Nino hat sich auch so seine Gedanken zum Popfest gemacht.

Ob es denn nämlich schöner ist, dass das Popfest statt im Mai nun im Hochsommer stattfindet? Und wie ist das so, erst so spät in der Nacht ein Konzert spielen zu müssen? Werden da überhaupt noch viele Menschen da sein, um sich den Nino aus Wien anzuschauen?

Aber die späte Stunde muss kein Manko sein. Da wird der Nino aus Wien ja erst so richtig munter, wie er Kollegin Daniela Derntl im Interview verraten hat. Außerdem hat der Nino aus Wien auch ein Requiem geschrieben. Ein Requiem. Für einen Engery Drink. Aja. Es gibt viele gute Gründe, warum der Nino trotz seines jugendlichen Alters zu den Veteranen des Popfests zählt. Bei allen drei Editionen war er bisher dabei und kann deshalb auch etwas über die Termin-Verschiebung von Frühling auf Sommer sagen:

Popfest 2012 Nino aus Wien IV

Dany Derntl hat den Nino aus Wien gesehen:
Ein Konzert mit Filet-Spitzen. Mit allen Hits. Alle singen mit. Mit geschlossenen Augen. Neues Material wird man erst nach der Veröffentlichung der neuen Platte im November hören, über die Nino nicht mehr verrät als "12 Lieder in 45 Minuten, wobei sechs Songs nicht länger als zwei Minuten sind, oft nur mit einer Strophe". Die kurzen Lieder liegen ihm jetzt wieder mehr, auch wegen der Anstrengung, die ausufernden Sechs-Minuten-Songs bei den Konzerten zu singen. Eine Information, die gerade wegen der mäandernder Textwucht und Bilderflut vieler Songs, wie z.B. "Venedig geht unter" oder "Feuer" fast ein bisschen traurig macht. Aber egal, es geht immer ums Vollenden. Und den Superbowl. Und das Popfest. Heute wieder!

Menschen

Niko Ostermann

Gute Nacht, heute geht es weiter!