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Elisabeth Gollackner

Subjektivitäten, Identitäten und andere feine Unterschiede.

26. 7. 2012 - 16:41

Außen an Innen

"Die Erdfresserin" von Julya Rabinowich übt scharfe Kritik an der Festung Europa und ihrer Einwanderungspolitik.

"Neben ihm sitzt in der Ecke eine kurzgeratene, vollbusige Frau, schwarzgekleidet, mit schwarzem Pagenkopf. Sie sitzt unbeweglich, sie sieht zum Fenster hinaus, ohne mein Gesicht zu streifen. Starr. Konzentriert. Beißt sich immer auf die roten Lippen, bevor sie meinen Redefluss aufgreift."

Nicht unbedingt schmeichelhaft hat sich Julya Rabinowich in ihrem neuen Buch selbst verewigt. Wie Hitchcock taucht sie in ihrem eigenen Werk auf, als Nebendarstellerin, kurz und unscheinbar, ein Ärgernis für die Hauptfigur, ein Überraschungsmoment für eingeweihte LeserInnen. Und es ist weniger die Eitelkeit, die aus diesem Bild spricht, viel mehr ist es ein Verankern im Ausgangspunkt, man könnte sagen: ein Schnappschuss von dem, was das Buch hat entstehen lassen.

Die Sprache der Heimat

Julya Rabinowich ist eine umtriebige Person, und neben ihrer Arbeit als Schriftstellerin, Kolumnistin und Malerin arbeitet die Wienerin mit russischen Wurzeln auch als Simultanübersetzerin. Sie dolmetscht Therapiesitzungen mit Flüchtlingen. "Man sitzt dabei und tut so, als ob man nicht dabeisitzen würde, eigentlich eine Situation, die jeden Patienten wirklich verrückt machen könnte", schmunzelt sie im FM4 Interview. Tschetschenische Flüchtlinge sind es, denen Rabinowich als Sprachrohr dient, russische Prostituierte, Kriegsflüchtlinge, oft geht es um die Perspektivlosigkeit illegaler Immigration, und in den meisten Fällen sind es Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen, die teilweise bereits Selbstmordversuche hinter sich haben. Kein Job also, wo man danach einfach nach Hause geht und den Kopf abschaltet.

"Wenn ich rausgehen könnte und alles vergessen, würd ichs immer noch machen", sagt Rabinowich. "Aber das war natürlich nicht der Fall. Vielmehr hat mich das lange Zeit beschäftigt. Ich durfte aber mit niemandem darüber reden, weil die Verschwiegenheitspflicht in dem Moment, in dem man sich da hineinsetzt, schlagend wird. Mein neues Buch ist stark von diesen Erfahrungen geprägt. Aber natürlich nicht eine konkrete Geschichte, sondern ein Surrogat aus vielen Gefühlen, die ich dort kennengelernt habe."

Der Goldene Westen

Buchcover "Die Erdfresserin"

Deuticke Verlag

Julya Rabinowich - "Die Erdfresserin", Deuticke Verlag, Erscheinungsdatum: 30.07.2012

"Die Erdfresserin" nennt sich dieses Surrogat. Es erzählt die Geschichte von Diana, einer von vielen, die ihr Zuhause in der ehemaligen Sowjetunion verlassen, um für die Familie zu sorgen. Theaterregisseurin wollte Diana werden, das Studium als Ausweg aus der Tristesse. Aber damit lässt sich im goldenen Westen kein Geld verdienen, schon gar nicht ohne Aufenthaltsgenehmigung, und deshalb landet sie im Rotlichtmilieu. Gewalt, Ausbeutung, Abhängigkeiten inklusive. Eine andere Form von Theater. Die wenigen Ersparnisse bringt sie in regelmäßigen Abständen zurück in die russische Provinz.

"Meine Knochen bringe ich mit, meine Haut, meine Sehnen, und ein wenig Geld, und sie nehmen es und danken ab und zu und stoßen mich unter Vorwürfen über meine Unbeständigkeit wieder zur Tür hinaus, denn es ist nie genug, um bleiben zu können, und ich will auch nie genug mithaben, um zu bleiben."

Rabinowich spart sich Mitleid und packt stattdessen Würde in die kleine Reisetasche ihrer Kämpferin. Humor findet sich im Elend, Ausweglosigkeit wandelt sich in Notwendigkeit, und der Beweis wird erbracht, dass Menschen funktionieren können, immer einen Schritt vor den nächsten, dabei nur den Verstand nicht verlieren. Ihr Roman ist ein Seiltanz auf dem schmalen Grat zwischen Innen und Außen. Nicht nur der Burggraben der "Fortress Europe" muss ständig aufs Neue überwunden werden, um vielleicht irgendwann zur Ruhe zu kommen. Auch in den Therapiesitzungen, deren Frage-Antwort-Fragmente den Roman gliedern, wird versucht, die Person hinter Makeup und Aggression zu finden.

Julya Rabinowich

Andrew Rhinky

Julya Rabinowich liest aus ihrem neuen Buch bei der Literatur-Reihe "O-Töne":
Donnerstag, 26.7.2012
20:30 Uhr
Museumsquartier Wien
MQ/Hof 8 Boule Bahnen

"Was machen Sie, wenn sie das Gefühl haben, nichts geht mehr?"

"Ich habe kein solches Gefühl."
"Waren sie denn nie verzweifelt?"
"Das muss man sich leisten können."

Mit "Die Erdfresserin" kritisiert Julya Rabinowich die Abschottungspolitik Europas scharf und gleichzeitig poetisch. Sie arbeitet mit Auslassung und Andeutung, um ihre Bilder zu verstärken, mischt problemlos Textsorten, lässt dem Unbewussten mit zerrissenen inneren Monologen schlussendlich den Vortritt und verneigt sich damit auch vor der Psychoanalyse. Nach den Büchern "Spaltkopf" und der "Herznovelle" beweist Rabinowich ein weiteres Mal, wie spielerisch der bittere Ernst des Lebens beschrieben werden kann.