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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

25. 7. 2012 - 14:22

K.O. den Geschlechterstereotypen

In "London 2012" wird Frauenboxen erstmals zur olympischen Disziplin. Eine kleine Abhandlung zu Role Models im weiblichen Boxsport - fast ganz ohne "Million Dollar Baby", dafür mit Brustschutz und Rockpflicht.

36 Frauen aus 23 verschiedenen Ländern werden in London in den Boxring steigen. In den Gewichtsklassen Fliegengewicht (48-51kg), Leichtgewicht (57-60kg) und Mittelgewicht (69-75kg) dürfen sie erstmals regulär an den Olympischen Spielen teilnehmen.

Die internationale Frauenboxszene erzielt damit einen Punktesieg, auf den sie jahrzehntelang warten musste. Denn auch wenn in diesem Sport Sexismus nach wie vor an der Tagesordnung steht und seine mediale Aufbereitung die krudesten Stereotype bedient, hat das Olympische Kommitee (IOC) zumindest einen "Fortschritt in den technischen Qualitäten" beim Frauenboxen anerkannt. Damit ist quasi amtlich, dass auch zarte Frauenhändchen richtige Fäuste machen können. Überraschung.

Hier der wohl erste und einzige Song, der je über olympisches Frauenboxen geschrieben wurde, und das - mich trifft der Schlag - von einem Mann! Aber wer ist nur die besungene Wrestling-Queen Edda Fuzz?

Cat Fights

Die Vermutung liegt nahe, dass boxende Frauen eine Erscheinung der jüngeren Vergangenheit sind, die aus dem Martial-Arts-Trend der 90er-Jahre hervorgegangen ist.

Schon 1904 wurden bei den Olympischen Sommerspielen in St. Louis, Missouri Frauenboxkämpfe zur Demonstration ausgetragen. In der offiziellen Wertung waren freilich nur Männer zugelassen. Danach war der Kampfsport in vielen Ländern verboten.

Box-Pionierin Cathy "Cat" Davis am Cover des Boxmagazins "The Ring"

The Ring Magazine

Im August 1978 hatte die The-Ring-Leserschaft für Frauenboxen nur wenig Verständnis.

In den USA musste sich Cathy "Cat" Davis, die in den 70er- und 80er-Jahren Furore gemacht hat, ihr Recht zu boxen nicht im Ring, sondern im New York State Supreme Court erkämpfen. Seitdem gilt sie als Pioniorin des Boxsports und ist quasi als weiblicher Muhammad Ali die bisher einzige Frau, die es auf das Cover des legendären Boxmagazins "The Ring" geschafft hat. Damals eine Sensation, heute völlig überblendet vom grellen Strahlen der monatlichen The-Ring-Card-Girls im Billig-Pin-up-Look.

Getrübt wurde der Glanz der ehemaligen Ikone schließlich auch durch die Aufdeckung, dass viele ihrer Kämpfe geschoben waren. Eben auch nur ein Mensch, diese Frau. Dem Image des Frauenboxens hat sie damit leider nichts Gutes getan. In Deutschland wurde der Sport erst 1996 wieder legalisiert.

Let's get ready to rumble!

Mit der Zulassung der neuen olympischen Disziplin hat die International Boxing Association (AIBA) auch das offizielle Reglement für Boxkämpfe adaptiert.

Die wesentlichen Unterschiede: Frauen kämpfen vier Runden zu je zwei Minuten statt wie Männer drei mal drei Minuten, sie dürfen einen Brustschutz tragen, und müssen vor jedem Wettkampf eine "Non-Pregnancy-Declaration" unterschreiben - aus Versicherungsgründen, versteht sich.

So weit, so professionell. Ein Vorschlag der AIBA verrät allerdings eine gewisse Unbeholfenheit im Umgang mit Boxsportlerinnen. Frauen, so der Plan, sollten im Ring besser Röcke statt Shorts tragen. Das wurde durch Proteste seitens der Athletinnen verhindert. Jetzt dürfen sie selbst wählen, welches Beinkleid sich für sie zum Kämpfen besser eignet.

Role Model: Tough Bitch und/oder sexy Luder

Ideen wie die Rockpflicht sind nicht zuletzt auch das Resultat einer stereotypen Vermarktung, der sich Profiboxerinnen oft selbst unterwerfen.

Die mehrfache Box-Weltmeisterin Regina Halmich beispielsweise ist weniger durch ihre Leistungen im Ring bekannt geworden, als durch die beiden Showkämpfe gegen Pro-Sieben-Kaiser und selbsternannte "Killerplauze" Stefan Raab.

2001 bricht Halmich Raab die Nase, auch bei der Revanche 2007 kann er nicht punkten.

Wer sich für geschlechterübergreifendes Boxen interessiert, ist beim queer-feministischen Verein Comot:Boxen gut aufgehoben:

  • Comot:Boxen, mit dem Angebot klassisches Boxen und Thaiboxen, ist Teil des Vereins Comot, Bewegungskulturen und Soziale Arbeit. Innerhalb von individuell gestalteten Workshops werden Themen wie Grenzen, Identität und Geschlecht gemeinsam mit den TeilnehmerInnen erarbeitet. Dabei nimmt Bewegung und Körpererfahrung eine zentrale Rolle ein.

Dass sich Raab ernsthaft Chancen ausgerechnet hat, mit nur vier Wochen Training eine Profiboxerin zu besiegen - die übrigens mit 30 Kilo weniger auf der Waage bei weitem nicht seiner Gewichtsklasse entsprochen hat - zeigt, welcher Stellenwert Boxsportlerinnen in der medialen Wahrnehmung bis dato beigemessen wird: Wenn Frauen boxen, ist das Klamauk - weit entfernt vom ernsthaften Ritus als der Männer-Boxkämpfe zelebriert werden. Da zieht der Raab mit Panzer und Camouflage-Outfit in die Arena ein, freut sich über die Brachialsymbolik wie ein kleiner Schulbub, und schämt sich nur, wenn sein rechter Haken, auch genannt "die Zellulitis-Peitsche", nicht richtig trifft.

Und dann war da natürlich noch die Sache mit dem Playboy. Ja, ob sich eine Frau auszieht, soll jede für sich selbst entscheiden. Und ja, Popularität und Sponsorengelder sind wichtig. Gerade weibliche Boxer stehen da unter größerem Druck. Die zwei schlagkräftigsten Argumente für Halmichs Fotostrecke waren aber bestimmt nicht ihre technisch versierten Hände in den Boxhandschuhen.

Dem gegenüber stehen klassische Aufsteigerstories à la "Million Dollar Baby". So wie Hilary Swank gegen alle Widerstände unbeirrt ihren Weg freiboxen, ist ein Topos, in den sich auch viele der antretenden Olympionikinnen einschreiben können.

Für Österreich sollte Nicole Trimmel nach London gehen. Die Kickbox-Weltmeisterin hat erst Anfang des Jahres von ihrer Ursprungsdisziplin zum Boxen gewechselt. Bei der Weltmeisterschaft im Mai in China konnte sie sich leider doch nicht qualifizieren.

Claressa Shields zum Beispiel stammt aus typischen Broken-Home-Verhältnissen und ist jetzt eine der beiden ersten US-Boxerinnen bei den Olympischen Spielen. Die rührselige Story ihrer Kollegin Marlen Esparza wurde sogar in der Vogue abgefeiert, natürlich mit Modefotos.

us-boxerin marlen esparza beim fotoshooting für vogue

Norman Jean Roy for VOGUE

Total praktisch so ein Kleid!

Ein gefundenes Fressen für die mediale Vorberichterstattung war in diesem Zusammenhang die Geschichte der 18-jährigen Sadaf Rahimi, der ersten Boxerin Afghanistans.

Eine Sensation, schließlich durften Frauen unter den Taliban bis vor wenigen Jahren überhaupt keinen Sport betreiben. Als Zugeständnis für die konservativen Kräfte in ihrem Heimattland hätte sie im Ring ein Kopftuch unter ihrem Helm getragen - zwar cool über den Hinterkopf gebunden und nicht übers Kinn, aber eben doch sichtbar. Schwarze Strümpfe unter den Shorts hätten ihre nackten Knie bedeckt. Sowas verkauft sich gut, aber leider kam alles anders.

Rahimi hatte eigentlich schon eine AIBA-Wildcard in der Tasche, eine Art Freilos zu den Olympischen Spielen, mit der AthletInnen aus Ländern, in denen der Boxsport noch unterentwickelt ist, gefördert werden sollen. Doch nachdem sie bei der Weltmeisterschaft in China eine schwere Niederlage einstecken musste, hat der internationale Boxverband einen Rückzieher gemacht. Die Hoffnungsträgerin für mehr Frauenrechte in Afghanistan darf in London doch nicht antreten. Man will sie schützen, oder man traut es ihr nicht zu. Sie könnte schließlich zu schwach sein.