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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 7. 2012 - 21:34

Fußball-Journal '12-23.

Salzburger Destruktionen.

Auch in der neuen Saison begleitet das Fußball-Journal '12 (wie schon in den Vorjahren, Fußball-Journal '11) die heimische Bundesliga, den Cup, Nationalteam und ÖFB, den Nachwuchs, das europäische Geschäft und das oft Kapriolen schlagende Umfeld.

Heute mit einem Text aus Anlass der eben zu Ende gegangenen Champions League-Quali-Partie des FC Salzburg gegen F91 Dudelange und dem somit erfolgten Komplett-Ausscheiden von Red Bull aus dem europäischen Bewerb.

"I was in a state of shock when I wrote this - forgive me if it goes astray" frei nach Prince, 1999.

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Das macht mehr kaputt als alles, was dem branchenfernen Versuchsobjekt Red Bull Salzburg in den kurzen Jahren seines Bestehens bereits gelungen ist zu zerstören. Mehr als ein paar gewachsene lokale Vereine, die klassische Old-School-Anhängerschaft einer österreichischen Landeshauptstadt, den Glauben an die höhere Moralkraft von Teambuilding gegenüber der neoliberalen NLP-Moral der prallen Geldbörse, den Abwehrkampf gegen die alte DDR-Dopingmoral, den Anschein demokratischer Strukturen und etliche hoffnungsfrohe, nach kurzen Monaten in Grund und Boden nivellierte Karrieren.

All das und noch viel mehr, die gesamten ungustiösen Begleiterscheinungen, die ein oligarchisch strukturiertes Unternehmen ganz automatisch so nach sich zieht, dieses nach dem Modell der Fürstenhöfe des Heiligen Römischen Reichs organisierte Mäzenatentum, mittels dessen kulturellen und sozialen Glanzes sich die Lehensherren von der durch die Ausbeutung angehäuften moralischen Schuld reinwaschen wollten, all das und noch viel mehr sind die geneigten österreichischen Fußballfreunde bereit zu vergeben und vergessen, sobald der Funke einer Hoffnung inhaltlichen Vorangehens aufglimmt.

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Der Funke dieses Sommers war die Dreier-Bestellung Houillier-Rangnick-Schmidt, der die Bestellung Zorninger für Leipzig und viele kleine Detailpersonalien (Glasner, Kugler, Laux... ) folgten. Und die Hoffnung auf ein seriöses zumindest mittelfristiges Konzept, ohne die bis dorthin im Jahrestakt hysterisch die ideologischen Richtungen wechselnden Pferdewechsel inmitten des Flusses.

Der Zeitpunkt war auch deshalb so günstig, weil der Weg in die Champions League heuer (der Platini-Reform von vor ein paar Jahren und der seit einiger Zeit stetig verbesserten Koeffizienten-Rolle, die RBS spielt, sei Dank dafür) felsenfest planiert schien. Dort wollte man sich vorstellen, ganz unprätentiös, unbossy, bescheiden und unter zunehmendem Verzicht auf unsinnige Legionärs-Anhäufungen; so wie der FC Basel, wie Rangnik zuletzt häufig betonte.

Das hat nichts mehr von der Hauruck-Kraftmeierei, wie sie noch von Stevens oder dem von Mateschitz so geliebten Pacult personifiziert wurde, diese neue Demut setzt auf Teamwork und mittelfristige Aufbauarbeit. Auf sehr unösterreichische Unaufgeregtheit, wie sie Rangnick perfekt darstellt.

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Im Cup ging das durchaus gut, in der Meisterschaft stellte man sich gar als furiose Truppe vor. Und dann der vorwöchige und der heutige Auftritt in der Champions League-Qualifikation; gegen Dudelange, den Meister aus Luxemburg...
Die Mühsal gegen solche Fußball-zwerge hat schon Tradition in der kurzen und schwachmatischen Salzburger Champions League-Geschichte. Ich erinnere mich an zehennägelaufrollende Begegnungen mit einem mir namentlich entfallenen Team von den Färöer-Inseln; oder dem Fast-Scheitern gegen die Nobodies von Bohemians Dublin. Heute wurde aus diesem Fast-Stolpern gegen die kleinstmöglichen Gegner ein tatsächliches.

In diesem Moment zeigt sich, wie fragil das gesamte Konstrukt Red Bull-Fußball ist. Denn: in der neoliberalen Wirtschaftswelt, aus der Mateschitz kommt, verschwindet ein Produkt, das nicht funktioniert, einfach vom Markt. Wenn er könnte wie er wollte, würde er Red Bull Salzburg morgen auflösen. Wenn ich er wäre, würde ich es auch tun wollen. Es sind nur ein paar Verträge und Verbindlichkeiten, die das verhindern, und die Lage der Red Bull-Zentrale direkt ums Eck, die den Standort Salzburg in solchen Momenten am Leben halten; also ironischerweise etwa auch das Pansold-Imperium in Thalgau.
Ganz sicher kann sich aber keiner sein. Denn man ist einem Einzelnen ausgeliefert, also auch seinen Launen und einsamen Entscheidungen; die nicht immer ökonomisch sinnvoll sein müssen.

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So kann ein Fußball-Verein natürlich nicht arbeiten - in der ständigen Angst, vom Markt genommen zu werden; das ist im US-Sportsystem, wo ein Franchise jederzeit verlegt werden kann, möglich, in Europa oder Südamerika aber nicht gangbar. Und genau in dieser Ritze zwischen Abhängigkeit, Willkür und Furcht steckt der Teufel. Und macht die Ausführenden wuckig, wahnsinnig und unsicher.

Warum sollte eine Truppe, die am Wochenende ein allseits hochgelobtes Spiel bestritten hat, mit derselben Strategie, demselben System und vergleichbarem Personal sonst an einem Zwerg scheitern? Das Niederlagen-Verbot im internationalen Bewerb hat bislang fünfmal das Vordringen in die Champions League verhindert. Und dieselben Mechanismen, die tief drin in der großteils schon länger in Salzburg beschäftigten und somit tief ins redbullische Denken hineinsozialisierten Mannschaft stecken, waren auch diesmal drinnen. Wenn ein erstaunter Coach sagt, dass er da erstmals ein Gesicht seiner Mannschaft gesehen habe, das er überhaupt nicht kannte, glaube ich ihm das. Dazu, das im Ansatz erkennen zu können, ist er noch nicht lange genug im neoliberalen Red-Bull-System drinnen.

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Was nicht heißt, dass er ganz schuldlos an der Niederlage ist. Zwar haben System, Taktik und Vorbereitung auf den Gegner geklappt, aber personell ist einiges schiefgegangen. Nachdem Schmidt/Rangnick vor kurzem gecheckt haben, dass sie im Streit Leonardo/Maierhofer zwar menschlich richtig, aber sportlich falsch entschieden haben und dem auch in Zwischentönen Ausdruck verliehen haben, ist der Lange ein Schatten seiner selbst. Ihn innerhalb eines Flachpass-Systems überhaupt zu bringen - fragwürdig. Den derzeit energetisch allzu matten Leitgeb schon, den einzigen aggressive leader (Schiemer) nicht reinzubringen, den international unerfahrenen Ilsanker und nicht Sekagya hinten reinzustellen, das war keine so glückliche Idee.
Schmidt war einfach nicht davon ausgegangen, dass solche Details in diesem Spiel entscheidend werden könnten. Auch, weil er die firmentypische Sozialisation der Angsterfülltheit, die über die Zeit zu einer automatischen Anpassung ans gerade noch Nötigste führt, aus schierer Unkenntnis nicht berücksichtigt hat. Das aber gab den Ausschlag.

Und kann verheerende Folgen haben.
Das kann zum einen bis zur bereits angesprochenen Version des Zusperrens des Standorts Salzburg führen. Und es desavouiert die neue Führung nachhaltig. Schmidt und Rangnick werden für alle Ewigkeiten die Dödel von Düdelingen sein, egal, wie subtil und klug sie die Mannschaft auch sonst durch die Saison führen werden.

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Zu einer (durch die eingangs angeführte Vorgeschichte zurecht) hämischen Öffentlichkeit, die dem Retorten-Verein per se alles Schlechte wünscht, kommen jetzt auch noch die sich selber neu entdeckenden Patrioten, die es nicht aushalten, wenn deutsche Konzepttrainer der (in den letzten Jahren durch massives Versagen gekennzeichneten) heimischen Exteamspieler-Nomenklatura die Plätze wegnehmen (dazu empfehle ich ein wunderbares Interview mit Peter Hyballa) und sich damit noch unwissentlich einem rechtspopulistischen Mainstream verpflichten.

Diese Wunde wird ewig klaffen. Und die Populisten werden da ewig draufhauen. Auch, wenn das Ausscheiden auf etwas zurückzuführen ist, was tief in der Mannschaft drinsteckt und von der neuen sportlichen Führung zwar schon identifiziert, aber noch nicht bekämpft werden konnte.
Rangnick hat das in einem ausführlichen Interview von vor dem heutigen Match anhand der schwachen Phasen in der 2.Halbzeit gegen Sturm schon erkannt: "Wenn ich sage, die Spieler sind in alte Verhaltensmuster gefallen, dann heißt das ja nicht, dass sie das nicht anders können. Sie haben in der zweiten Hälfte das gemacht, was sie gewohnt waren und was von ihnen im letzten Jahr verlangt wurde. Wir haben eine etwas andere Vorstellung. Ich bin der Meinung, dass es alle lernen können, wenn sie bereit dazu sind."

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Das ist der zentrale Punkt: eine Mannschaft, die sich hauptsächlich über Angst definiert, zieht sich in Notzeiten (und das heutige Düdelingen-Spiel bestand nur aus solchen) auf ein Verhaltensmuster zurück, das sie gewohnt ist. Das, was Rangnick/Schmidt neu installieren wollen/werden, hat da (noch) nicht gegriffen; wohl noch nicht greifen können. Diese Entwicklung hätte noch ein paar Spiele gebraucht.

Das kann man sich jetzt aber abschminken. Diese Entwicklung wird viel für die Meisterschaft nutzen; und vielleicht für die Quali-Anstrengungen des nächsten Jahres, sofern das nicht durch ein dann wieder neu kommendes Team und eine wieder andere Philosophie über den Haufen geworfen und so entwertet werden wird (wovon ich ausgehen würde).

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Andere Analysen am Tag danach finden sich bei ballverliebt.eu sowie bei abseits.at und bei laola1.at
Und hier noch ein differentierter Kommentar.

Die gesamte Saison 12/13 aber ist bereits mit dem vierten Pflichtspiel verkackt. Und das Feld für destruktive Intrigenspiele ist eröffnet. Und erstmals wird es nicht die Red Bull-Zentrale alleine sein, die mit einer Vielzahl von Fehlentscheidungen überall verbrannte Erde hinterlässt, es werden auch diverse Player von Außen zu diesem Zerstörungswerk beitragen.

Kein Mitleid: historisch hat man's nicht anders verdient. Dass diese Destruktion aber just in dem Moment einsetzt, wo die Hoffnungsträger angekommen wären, ist ein böser Zynismus der Geschichte.