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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

24. 7. 2012 - 17:15

Ich lebe für HipHop

"Karizma", ein in jeder Hinsicht krasses Buch - oder sagt man das gar nicht mehr so? Der Debütroman von Sarah Gmuer.

Das kann man vielleicht schon ein bisschen aus der "coolen" Street-Schreibweise des Titels herauslesen, um was es denn in diesem Buch in Folge über weite Strecken gehen soll. : "Karizma", geschrieben mit einem "k" und einem "z". Die Straße ist unser zuhause, HipHop unser Elixier.

Als Teenager hat die in Locarno geborene, mittlerweile in Berlin ansässige Autorin Sara Gmuer den französischen Film "La Haine" für sich entdeckt, sich in Hauptdarsteller Vincent Cassel verliebt, vor allem aber HipHop und Rap als faszinierendes Lebensmodell in sich aufgesogen. Ihr beim eigentlich immer hervorragenden Verlag Orange Press erschienener Debüt-Roman "Karizma" bildet jetzt diese wohl immerwährende Liebe ab.

"Bis dahin dachte ich immer, die Hoffnung stirbt zuletzt, bullshit, die Hoffnung verlässt dich wie eine Nutte, sobald es ernst wird, das, was wirklich bis zum bitteren Ende bleibt, ist die Wut. Und von der blieb eine Menge. Ich wär vor Hass am Liebsten gestorben. Eigentlich wollte ich noch mehr als nur tot sein, denn tot sein hieße gelebt zu haben. Ich wollte nie da gewesen sein, weder hier noch sonst irgendwo und schon gar nicht in dieser trostlosen Stadt Immergrau, wo es jeden Tag regnete, als weinte der Himmel, dass ich hier war."

Victoria verbringt die Tage antriebslos in ihrer Riesenwohnung in Berlin Mitte, ihr Vater hat sie ihr geschenkt. Mit Anfang Zwanzig ist Victoria schon Ex- bzw. Extremseltenheits-Model und spürt eine große Leere in ihrem Leben - möglicherweise möchte sie sich das aber auch bloß ein bisschen einreden und im eigenen Ennui baden. Geldsorgen müsste sie nicht unbedingt haben, ihr sizilianischer Vater, so scheint’s, ist in mafiöse Geschäfte verstrickt und verfügt über mehr als ausreichende Ressourcen. Man will sich ja nicht auf ewig von den Eltern aushalten lassen – aber so richtig arbeiten, das muss auch nicht gleich sein. Als Victoria den Rapper Said trifft, tut sich so etwas wie ein Sinn im Leben auf: Hier glüht sofort die wahre, große Liebe. Mit Said – der Mann ist durchaus erfolgreich - geht Victoria auf Tournee, liebt und feiert. Alles so ziemlich über die Maßen.

"Aber ärgern konnte ich mich später, erstmal wollte ich feiern. Partys, Partys, Partys /Weil das Leben sonst schon hart genug ist! Wir gingen von Club zu Club, von Bar zu Bar, von Klo zu Klo. Als ich nicht mehr laufen konnte, setzte ich mich hinters Steuer und kam dem Tod wahrscheinlich näher als dem Leben. Nicht zum ersten Mal."

Sara gmuer

Sara Gmuer

Sara Gmuer

Bei einem Schwimmunfall im Mittelmeer verschwindet Said für immer aus Victorias Leben. Die junge Frau findet in unveröffentlichten, unfertigen Texten und Notizen des Rappers Halt und entdeckt relativ schnell das eigene Talent zum Reimeschmieden. Nach einigen wenigen ersten eher glücklosen Gehversuchen wird Victoria recht schnell selbst zum HipHop-Star, nennt sich zunächst in Gedenken an ihre verblichene Liebe selbst Said, danach „Karizma“. Hype, doofe Plattenindustrie, Absturz.

Sara Gmuer Karizma

Karizma

"Karizma" von Sara Gmuer ist bei Orange Press erschienen.

"Karizma" beschreibt den hier anscheinend tatsächlich nach dem Vorbild der Windungen einer Achterbahn konstruierten Weg einer Frau zwischen Liebe und der Liebe zur Musik, zwischen Erfolg und Niederschlägen, zwischen Drogen, Party, Depression und Größenwahn. Sarah Gmuer zeichnet einen rauschhaften, ja, Trip durch eines von vielen möglichen Berliner HipHop-Milieus nach: Klein- und Groß-Kriminalität, Sex, White Lines, Gewalt, aber auch die richtig wahre Freundschaft. Dabei jongliert das Buch mit so gut wie allen denkbaren HipHop-Klischees und wirkt in Sprache und Handlungsverlauf nicht selten dermaßen cartoonhaft überzeichnet, dass sogar in der finsteresten Trostlosigkeit in Victorias/Karizmas Leben derber Witz und immer wieder die eine oder andere alles wegsäbelnde Punchline aufblitzen. "Karizma" ist immer haarscharf dran an der Plattitüde und am Scherenschnitt - vermutlich muss das aber so sein, wenn man das, ähm, Lebensgefühl von mindestens einer Variante von HipHop so flashig übermitteln will wie hier.

"Das Gefühl war nicht schlecht, ehrlich gesagt, es war das Beste seit langem, der Respekt, den ich vorher vermisst hatte, machte mich ruhig und fast nett. Der Vertrauensbruch kostete sie symbolische fünf Gramm, die sie widerstandslos rausrückte. Ich sammelte meine Schutzengel ein und spazierte raus. Die Haustür knallte hinter mir zu. Ali machte den Motor an und wir rauschten davon. Auf Kiss FM spielten sie "Ready To Die" von Notorious B.I.G., der Himmel war dunkel und die Straßen wie für uns gemacht."