Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "50 Shades of... whatever!"

Eva Deutsch

Elektro, Anziehzeug und anderer Seelenbalsamico. Aus dem Untergrund mit ganz viel Schwarz.

24. 7. 2012 - 12:45

50 Shades of... whatever!

Warum tappt man immer wieder in die Hype-Falle? Was steckt hinter dem "Mommy Porn"? Und warum ist "Shades Of Grey" für manche Hollywood-Schauspieler so wichtig?

Goldmann

602 Seiten Zuckerbrot & Peitsche

Die Vorgeschichte: Die erotische Sado-Maso-Trilogie "Shades Of Grey" führt weltweit die Bestsellerlisten an. Ein dominanter Typ führt eine anfangs noch jungfräuliche Studentin in die verruchte SM-Welt ein. Ich habe mich anfangs gesträubt, den ersten Band "Geheimes Verlangen" für FM4 zu lesen. Es wurde eh schon genügend darüber geschrieben, alle wichtigen Kritiker haben ihre Meinung abgegeben und jeder weiß, dass dieser Roman so anstrengend ist wie die angestaubten Liebes-Groschenromane von der Oma auf der Fensterbank. Trotzdem haben sich Kollegin Claudia Hubmann und ich bereit erklärt, zumindest reinzulesen. Per Email haben wir uns darüber unterhalten, warum wir (und ja ja ja, auch IHR da draußen!) immer wieder in die Hype-Falle tappen. Siehe Harry Potter, Herr der Ringe, Twilight, Sakrileg und das ganze andere Zeug.

(Emailadressen wurden anonymisiert)

Am 23.07.12 16:25 schrieb "Eva.Brunner@_" unter <Eva.Brunner@_>:

Hi Claudia,

Eines der wenigen Pro-Argumente: Als E-Book kostet es gerade einmal 1 Cent pro Seite.

vorweg gleich mal: Ich musste mich wirklich zwingen "50 Shades of Grey" zu lesen. Mein Status: Ich hab es nur bis Seite 390 von 602 Seiten geschafft. Danach musste ich mein Hirn ausquetschen um zu überprüfen ob ich überhaupt noch Gehirnzellen nach diesem literarischen Schmonz habe.

Wie ist es dir in den letzten Tagen damit ergangen?

Von: Salon Claudine [salonclaudine@_]
Gesendet: Montag, 23. Juli 2012 16:34
An: Brunner Eva Mag. (FH) - HFM4
Betreff: Re: 50 Shades of... whatever!

Hi Eva,

bei mir war es paradoxerweise genau umgekehrt, hab den ersten Band wider Willen angefangen und konnte dann nicht mehr aufhören, bis ich drei Tage später auch den zweiten, "Fifty Shades Darker", fertig hatte. Ein bissl wie bei Lady Gaga, zuerst denkt man sich "Wie offensichtlich gehts denn noch?", und dann hängt man bis zur vollständigen Verblödung drin fest. Meine Rechtfertigung gegenüber mir selbst, "Ich hab die Schmonzette zumindest im englischen Original gelesen", wurde allerdings durch null Vokabelzugewinn wieder zunichte gemacht.

Am 23.07.12 16:57 schrieb "Eva.Brunner@_" unter <Eva.Brunner@_>:

Eine sehr unterhaltsame Kritik, die sich bis auf die Beurteilung der "Tampon-Szene" eins zu eins mit unserer Meinung deckt, gibt's hier: www.goodreads.com

Ha! Deine Ausrede kenne ich aus eigener Erfahrung! Ich habe vor 3 Jahren alle „Twilight“-Bücher gelesen – auch auf Englisch… zwecks dem Zugewinn an englischem Vokabular. Stichwort „Twilight“: Die Autorin E.L. James wollte eigentlich nur eine erotische „Twilight“-Fanfiction schreiben, wo es endlich mal gescheit zur Sache geht und nicht immer nur über Sex (siehe Vampir-Edward und Virgin-Bella) gesprochen wird. Die Hauptcharaktere hießen ja auch Edward und Bella und die Geschichte „Master of the Universe". Bella ist in dieser Fanfiction die Studentin und Edward ein charismatischer steinreicher SM-Adonis.

Mir kommt das alles extrem berechnend vor. So nach dem Motto: He, die community liebt meine Web-Stories. Warum nicht ein eigenes Buch daraus machen, den Hauptcharakteren einen anderen Namen geben (copyright und so, weißt eh…), alle bisher veröffentlichte Fanficition offline stellen, einen großen Verlag finden und schön Kohle machen?

Es ist so einfach, warum machen wir nicht das offensichtlich Offensichtliche ohne Genierer und kaufen uns in zwei Jahren ein gläsernes Loft in New York?

Autorin E. L. James mit ihrem Roman "50 Shades of Grey".

Getty Images

"Du wirst meine Bücher auch noch lesen! Harrharrrharrrr!" Autorin E. L. James

Von: Salon Claudine [salonclaudine@_]
Gesendet: Montag, 23. Juli 2012 17:07
An: Brunner Eva Mag. (FH) - HFM4
Betreff: Re: AW: 50 Shades of... whatever!

Genau. Einfach nicht zu viele Skrupel haben. Und auch immer schön brav genau in den Grenzen von Sitte und Anstand bleiben, ja kein verbales Nipplegate riskieren, weil man sonst in den USA z.B. von absatzfördernden Supermarktketten wie Walmart nicht gelistet wird. Deshalb wird auch im englischen Original eine superbrave Sex-Pixibuch-Sprache gepflegt, statt von "tits" und "ass" spricht die liebe Anastasia (bis 21 Jungfrau! noch nie geküsst! noch nie masturbiert!) nur von "breasts" und "behind", da schläft einem jegliche bis dahin mühsam mit Vorblättern auf "die Stellen" wachgehaltene Libido ein. Das Unglaublichste: Sogar beim 15-Sekunden-Quickie im Aufzug verwendet "Sexbestie" Christian Grey vorbildlich ein Kondom, das er natürlich griffbereit hat. Der Hund ist total abgefeimt.

Irgendwie hat mich "Fiftiy Shades of Grey", neben den Twilight-Parallelen, aber auch an Harry Potter erinnert. Die immer gleiche Beschreibung der Sexszenen ist ähnlich aufreibend wie die endlosen Quidditch-Sequenzen.

Von: Brunner Eva Mag. (FH) - HFM4
Gesendet: Montag, 23. Juli 2012 17:35
An: 'Salon Claudine'
Betreff: AW: AW: 50 Shades of... whatever!

Harry Potter und seinen Feuerkelchen und Halbblutprinzen (da spielt ja auch Vampir-Pattinson mit fällt mir gerade ein…) bin ich ja entkommen. Ich weiß also nicht was eine Quidditch-Sequenz ist und habe trotzdem noch das Gefühl, ein aktiver Teil der modernen Gesellschaft zu sein. Ich habe am 12. Juli einen Artikel in der Zeit gelesen und die Autorin Nina Pauer stellt die Frage in den Raum: „Warum kaufen Millionen ein todlangweiliges Sado-Maso-Buch? Weil der Sex wieder eine Utopie geworden ist.“ Sie glaubt, dass diese "Mommy Porns" deswegen so gut funktionieren, weil Anastasia und Mr. Grey eine Liebesgeschichte zeigen, die endlich eine Pause vom Denken, Kontrollieren, Funktionieren, Organisieren bietet. Sie schreibt vom Ende der Verantwortlichkeit fürs Ich. Den Traum der verbindlichen Bindung in total deregulierten Zeiten. Die Soziologin Eva Illouz sieht im Sadomaso-Vertrag aus dem Roman sogar eine Alternative zu den komplizierten und stets offenen Beziehungen unserer Tage.

Ich gebe den Damen ja Recht, finde es aber ermüdend, wenn immer wieder das Schild „Erotische Literatur für die gelangweilte und frustrierte Hausfrau“ hochgehalten wird. Du bist ja auch keine Hausfrau, hast einen Ganztags-Job und bist trotzdem schon bei Band II.

Ah übrigens, weil ich es gerade im Netz finde: Bereits mehrere werdende Mütter haben auf britischen Online-Portalen „50 Shades of Grey“ als Auslöser für ihre Schwangerschaft angegeben. Im britischen Online-Forum „Baby Centre“ schreibt zum Beispiel eine Frau: „Mein Baby wird definitiv ein ‚50 Shades‘-Baby sein. Und ich bin sehr stolz darauf.“ Eine andere Nutzerin kommentiert: „Ich möchte mich bei der Autorin von ‚50 Shades of Grey’ für unser neuestes Exemplar bedanken.“

Die Romane sind zumindest Antörner! Sex-Briketts sozusagen! Sie verwirren aber auch - zumindest diese drei älteren Damen:

Von: Salon Claudine [salonclaudine@_]
Gesendet: Montag, 23. Juli 2012 17:58
An: Brunner Eva Mag. (FH) - HFM4
Betreff: Re: AW: AW: 50 Shades of... whatever!

Wenn dieser Sex eine Utopie ist, dann brauch ich bitte schleunigst eine Dystopie. Denn das Frauenbild, das mir E.L. James präsentiert, inklusive verbindlichem Bindungsvertrag, ist nämlich absolut keins, das ich auch nur irgendwie in Spurenelementen in meinen Alltag integrieren will. Warum soll ich 2012 bitte wieder den großen Macher wollen, der mir mit putzigen Sextoys den Weg ins Licht weist? Der in Wirklichkeit ein vollkommen bindungsgestörter Kontrollfreak ist? Und wenn ich nur lieb bin und mich selbst verleugne, zweitausendprozentig auf ihn eingehe, dann mach ich aus ihm schon einen funktionierenden Zweisamkeitspartner? Wäh, da kommt mir, ehrlich gesagt, das Kotzen.

In Wirklichkeit schreibt die Autorin, trotz aller oh so argen S&M-Szenarien (die man eh mit der Lupe suchen muss), doch nur eine erstickende Glücksbärchen-Wunschidylle herbei, in der sich die Individuen zugunsten eines Gulligulli-Ganzen auslöschen sollen. Aber das leider eben gar nicht im Bataille'schen bzw. de Sade'schen Sinn.

Warum ich es trotzdem bis Seite 100.000 (gefühlt) gelesen habe? Weil ich auf die große Überraschung, den Twist, den einen unterhaltsamen/erregenden/provozierenden Satz stoßen wollte. (Spoiler: Er kam nicht. Im Gegensatz zu Christian & Ana, denen das auf jeder Seite wundersamerweise ungefähr drei Mal gelingt.)

Und dieses unsägliche Barockchorälchen "Spem in alium" von Thomas Tallis, das den beiden als Soundtrack im "Red Room of Pain" dient, ist wegen des Buchs auch unter die Top 10 der Singles- bzw. iTunes-Charts geklettert. Gib dem US-Massenpublikum ein bisserl europäische Kulturgeschichte, und du giltst als total sophisticated, verrucht und verkommen. Dass Christian Grey des Nachts, wenn er sich einsam fühlt in seinem phallischen Glaspalast, in der Pyjamahose am Flügel sitzend Bach spielt, hat mich extrem amüsiert. Ausgerechnet Bach, das totale Anti-Aphrodisiakum.

Von: Brunner Eva Mag. (FH) - HFM4
Gesendet: Montag, 23. Juli 2012 18:28
An: 'Salon Claudine'
Betreff: AW: AW: AW: 50 Shades of... whatever!

Ich muss gestehen, ich habe des Öfteren einige Seiten überblättert, um endlich zu den Sexszenen zu kommen. Und da selbst diese so schal schmecken wie ein ausgerauchter warmer Energydrink hab ich es dann aufgegeben. Stichwort iTunes-Charts und Geldmacherei: Universal Pictures hat sich angeblich bereits die Filmrechte gesichert. Jetzt wird in Hollywood gerade gefeilscht, wer denn für die Rolle des Christian Grey besetzt wird. Und die Hollywoodschauspieler sind ja auch nicht blöd. Da brauchst du nur twittern, wie gerne du nicht die Rolle spielen würdest und „plötzlich“ steht in allen Gazetten, dass du für die Rolle in Frage kommst. Dadurch rutscht der Marktwert kurz mal in die Höhe – "True Blood"-Hühne Alexander Skarsgard ist so ein Fall:

Wer käme noch in Frage? Ryan Gosling, Ryan Reynolds, Ian Somerhalder (Vampire Diaries)…

Die University of Central Lancashire hat sich auch diese Frage gestellt und Christian Greys Phantombild veröffentlicht - bezugnehmend auf die Beschreibung von 12 (!) Frauen, die alle Bücher der „Shades of Grey"-Trilogie gelesen haben. So sieht das aus:

University of Central Lancashire

Christian Grey hat engstehende Augen. Ein Indiz für sein dominantes Verhalten?

Wer wird dann die Studentin Ana Steele spielen?

Von: Salon Claudine [salonclaudine@_]
Gesendet: Montag, 23. Juli 2012 18:45
An: Brunner Eva Mag. (FH) - HFM4
Betreff: Re: AW: AW: AW: 50 Shades of... whatever!

Ich finde, das Phantombild symbolisiert das Buch geradezu perfekt, ein langweiliges Durchschnittsface ohne jeglichen Sex-/Porno-/Glamourappeal. Will ich mir den Typen als Sexfantasie mit aufgeganserlten Vorstadthausfrauen teilen? Ähm ja, ich geh jetzt mal bügeln. Nein, im Ernst, als Publicitymaschine funktioniert "Fifty Shades of Grey", wie du richtig beschreibst, sehr gut. Nicht für nur potentielle HauptdarstellerInnen, als Ana ist offenbar eh jede Jungschauspielerin mit halbwegs dunklen Haaren, von Ashley Greene (aha, die "Twilight"-Connection), über Elizabeth Olsen und Lily (Tochter von Phil) Collins bis Amanda Seyfried, im Gespräch. Das Beste: Bret Easton Ellis hat sich den Produzenten auch schon via Twitter angetragen. Als Drehbuchautor – "American Sexpsycho", den Film würd ich mir sogar anschauen.

Am 23.07.12 19:03 schrieb "Eva.Brunner@" unter <Eva.Brunner@_>:
Na gut, ich komme mit. Vorher gehe ich aber noch in „Prometheus“. Da spielt übrigens Noomi Rapace die Hauptrolle. Sie ist ja als Lisbeth Salander in der schwedischen Filmversion der “Millennium Series” (The Girl with the Dragon Tattoo usw.) bekannt geworden. Danach hat sie eine Filmrolle in „Sherlock Holmes: A Game of Shadows“ erhalten und jetzt spielt sie im Mega-„Prometheus“-Kinoevent des Sommers. Diese Hype-Schleuder zahlt sich wenigstens für ein paar Leute aus!

Von: Salon Claudine [salonclaudine@_]
Gesendet: Montag, 23. Juli 2012 19:12
An: Brunner Eva Mag. (FH) - HFM4
Betreff: Re: AW: AW: AW: AW: 50 Shades of... whatever!

Und ich besorge mir wahrscheinlich spätestens übermorgen den dritten "Shades of Grey"-Teil. Der übrigens mit dem bescheuertsten und patschertsten Cliffhanger der letzten Jahre eingeleitet wird. Nein, man wird offenbar nicht gescheiter.