Erstellt am: 22. 7. 2012 - 14:59 Uhr
Trübe Aussichten?
- Der Song zum Sonntag auf FM4
- Über "No Hope" macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
"No Future" ist der schönste und wichtigste Slogan der originalen und eigentlich einer jeden Punk-Bewegung. Ursprünglich dem Sex-Pistols-Song "God Save the Queen" entnommen, war "No Future" zunächst als Absage an die englischen Eliten und die Aristokratie formuliert, meinend und fordernd, dass, ähem, die da oben ja jetzt langsam schon auch mal untergehen könnten, ist dann aber schnell von Punks und anderen in irgendeiner Form revoltierenden jungen Menschen auf sich selbst und die eigene Misere angewandt worden: "No Future" als Ausdruck von Pessimismus und Dokument eines aussichtslosen Lebens. Ein Slogan für die Selbstzerstörung.
Bei dem englischen Quartett The Vaccines heißt es nun anstelle von "No Future" eben "No Hope". Die Haltung ist eine ähnliche. No Hope, keine Hoffnung: Das Fertigsein mit dem eigenen Leben, das Verzweifeln und das sich Alleingelassenfühlen in einer bösen Welt, insbesondere als junger Mensch, als Teenager, oder - wie im Falle der Vaccines - als Mittzwanziger - das sind ja schon seit jeher die besonders beliebten und dankbaren Themen in der Rockmusik. Ich gegen die. Das Leiden und das Sich-In-Selbstmitleid-Suhlen als Kunstform.
The Vaccines
Längst schon aber ist diese Haltung der Verweigerung und des Nichtdazugehörenwollens in vielen, vielen Pop- und Rocksongs zur leeren Pose, zu einer bedeutungslosen Geste verkommen. Das Leiden junger Männer (es sind leider meistens junge Männer) in ihren viel zu kleinen Schlafzimmern. Aber natürlich braucht man ganz genau so eine Musik, wenn einem beispielsweise gerade das Herz zu Matsch gehauen wird oder die Schule so gar nicht schmecken will.
The Vaccines sind nun tendenziell eine Band, die konservativ mit dem Erbe der Rockmusik umgeht: Der schrabbelig-schmissige Garagen-Pop ihres Debüt-Albums rief die Geister von Stones, Velvet Undergound, Strokes, Libertines et al. an, die Ironie bedient die Band ebenso eher tollpatschig. "What Did You Expect from the Vaccines?" hieß, haha, augenzwinkernd, selbsreflexiv die Platte, das zweite demnächst erscheinende Album wird sich "The Vaccines - Come of Age" nennen. Erwachsenwerden, wer will das schon?
Dennoch gelingt den Vaccines jetzt mit ihrer aktuellen Single "No Hope" ein wunderbarer Drahtseilakt: Der alte abgenutze Topos der jugendlichen Bredouille wird einerseits ironisch gebrochen und eben diese Abnutzungserscheinungen und zum Klischee gefrorene Formelsprache selbst werden thematisiert, andererseits meinen und nehmen The Vaccines aber auch genau diese Idee von "No Hope" und der - eventuell da und dort auch nur selbst herbeiimaginierten - Aussichtslosigkeit - wenn auch nur für einen kurzen Augenblick - mit vollem Herzen ernst. "Oh I could bore you with the truth / About an uneventful youth / Or you could get that rap from someone else / And I could make an observation / If you are the voice of a generation / But I’m too self absorbed to give it clout."
"No Hope" ist nicht weniger als eine Hymne für alle Alleingelassenen, um sie mit all den anderen Alleingelassenen im Stadion zu grölen. Wir haben keine Chance, aber die müssen wir nutzen.