Erstellt am: 24. 7. 2012 - 09:00 Uhr
Ein Sturm zieht auf
Keiner Interviewreise der letzten Jahre fieberte ich so entgegen wie dieser. Schließlich, so die Ankündigung, sollte mir der Großteil der phänomenalen Besetzung von „The Dark Knight Rises“ in Paris gegenübersitzen, face to face, inklusive des Ausnahmeregisseurs Christopher Nolan.
Aber dann endet die davor angesetzte Pressevorführung mit einer tragischen Wendung. Als die Lichter im Saal angehen, meldet sich eine französische Vertreterin der Firma Warner zu Wort. „Bei einer Vorabpremiere des Films in Colorado hat es heute eine Schießerei gegeben“, erklärt sie sichtlich aufgelöst. „Alle heutigen Interviews sind abgesagt, wir warten auf weitere News“.
Nach der ersten Enttäuschung, nun doch nicht Christian Bale & Co. gegenüberzusitzen, macht sich eine düstere Stimmung unter den anwesenden Journalisten breit. Denn der eben gesehene Film verhandelt in beinahe drei Stunden genau jenes Gefühl der Konfusion und Verstörung, das in einer amoklaufenden Welt zum Alltag gehört.
„The Dark Knight Rises“, soviel sei erstmal verraten, tarnt sich nämlich nur an der Oberfläche als donnernder Action-Blockbuster mit Comic-Appeal. In Wahrheit ist der Film eine von Pessimismus durchdrungene Reflexion über das politische, soziale und emotionale Chaos unserer Zeit.
Warner Bros
Todesdrohungen und Verschwörungen
„A storm is coming“ flüstert Catwoman dem verunsicherten Bruce Wayne in einer Schlüsselszene ins Ohr. In „The Dark Knight Rises“ kündigt der Satz ein gesellschaftliches Desaster von ungeheurer Dimension an.
Ein anderer Sturm, ein sogenannter Shitstorm, tobte im Vorfeld des Films durchs Internet. Inmitten der Lobeshymnen vieler amerikanischer Kritiker fanden sich auch ablehnende Worte, die den Hardcore-Fans gar nicht behagten. Groteske Todesdrohungen wurden gegen die frevelnden Autoren ausgesprochen.
Öl ins Feuer der Debatte geschüttet hat dann auch noch der republikanische Radio-Moderator Rush Limbaugh. Ohne den Film gesehen zu haben, attackierte er die Macher mit abstrusen Verschwörungstheoerien.
Der in „The Dark Knight Rises“ auftauchende Oberbösewicht Bane soll an Bain Capital erinnern, jene Firma mit der Präsidentschaftskandidat Mitt Romney sein umstrittenes Vermögen machte. Wie schon beim vermeintlichen linksradikalen Unterwanderungsstreifen „The Muppets“, folgerte der Talkradio-Bluthund Limbaugh, benutzt Hollywood wieder einmal seine Macht, um eine liberale Agenda unter die Massen zu bringen.
Abgesehen davon, dass es den Erzschurken Bane in den Batman-Comics bereits seit 1993 gibt: Keinem Film könnte man weniger Propaganda-Tendenzen vorwerfen als dem dritten und letzten Teil der Batman-Saga. Hier verirrt sich das Gute und Edle konsequent in einer nebeligen Grauzone, bringt das Böse blendende Argumente, entpuppen sich Tugendverwalter als Lügner und verbitterte Vigilanten als letzte Hoffnung.
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Faustwatschen nach allen Seiten
„The Dark Knight Rises“ macht überklar, worum es dem Autor und Regisseur Christopher Nolan, abseits von schnittigen Kostümen und choreografierter Massenaction, in seiner Trilogie wirklich geht.
Um den Verlust jeglicher Ethik und Ideologien nämlich, um eine Gegenwart, in der kapitalistische Machtstrukturen und religiöser Fanatismus, ökomische Fädenzieher und Wall-Street-Rebellen, restaurative Bewahrer und blinde Verschwörer zu einem Medien-Dauerlärm verschmelzen, in dem man nichts und niemandem trauen kann.
Nolan bezieht deutlich nicht aus feigen diplomatischen Gründen keine eindeutige Haltung, sondern weil er, anscheinend grundsätzlich an der Menschheit (ver-)zweifelnd, in keinem Lager mehr Aufrichtigkeit und Hoffnung sieht. Weshalb hier alle Seiten ihre Faustwatschen bekommen, von der korrupten Stadtverwaltung und der Geldaristokratie bis zum tobenden Mob auf den Straßen.
Nicht umsonst spricht der Filmemacher von Charles Dickens historischer Parabel „A Tale Of Two Cities“ als großem Einfluss, einem Buch, in dem die französische Revolution als einzige Schreckensherrschaft portraitiert wird. „You and your friends better batten down the hatches“, warnt Catwoman den Milliardar Wayne, „because when it hits, you're all gonna wonder how you ever thought you could live so large and leave so little for the rest of us“.
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Vernetztes Ensembledrama
Wenn Christopher Nolan gewissen Charakteren mehr als bloß Verachtung entgegenbringt, dann sind es meist die getriebenen Außenseiter, die Leidenschaftstäter, die besessen ihren Überzeugungen folgen.
Bruce Wayne reiht sich hier nahtlos in das Personal von Filmen wie „Memento“, „The Prestige“ oder „Inception“. Acht Jahre sind vergangen, seit er sich völlig resigniert als dunkler Rächer zurückgezogen hat. Nach außen herrscht gespenstische Ruhe in Gotham City, im kriminellen Untergrund braut sich aber etwas Gewaltiges zusammen. Ein mysteriöser Terrorist namens Bane plant den Untergang der Metropole und der westlichen Zivilisation, wie wir sie kennen.
Wie sich der gebrochene Antiheld doch noch - das nimmt jetzt nichts vorweg - zu heroischen Ideen und Taten emporschwingt, das kennt man zur Genüge aus vergleichbaren Action-Erzählungen. Das Schicksal von Batman himself ist in „The Dark Knight Rises“ aber nur ein Teil in einem vernetzten Ensembledrama der Intrigen und moralischen Abgründe, von Gewalt und Gegengewalt, Schmerz und Rache.
Michael Caine und Gary Oldman, Anne Hathaway und Marion Cotillard, Joseph Gordon-Levitt und Tom Hardy, sie alle berühren und faszinieren in ihren Rollen. Aber es ist der manische Christian Bale, diese im wörtlichen Sinne Verkörperung totaler Verbitterung, der aus dem grandiosen Cast hervorragt.
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Elegant und bedrückend
Gibt es gar nichts Negatives über diesen Film zu sagen? Natürlich könnte man hier einige dramaturgische Hänger erwähnen und nach Logik sollte man gar nicht erst Ausschau halten. Vor allem wird der beeindruckende Quasi-Realismus, der Nolans Vision stets von anderen Comicverfilmungen unterschieden hat, in „The Dark Knight Rises“ in nicht wenigen Momenten dem Blockbuster-Bombast geopfert.
Aber dann muss man auch gleich erwähnen, dass Christopher Nolans Version von Gigantomanie in einem extrem sympathischen klassischen Kinoverständnis geerdet ist. Statt gängiger CGI-Zaubereien beeindruckt der Film mit einem Analog-Kult, zu dem zehntausend Statisten aus Fleisch und Blut ebenso gehören wie riesige gebaute Sets und das Oldschool-Filmmaterial 35mm, auf das im Abspann stolz hingewiesen wird.
Wenn diverse reißerische Boulevard-Stimmen also einen Zusammenhang zwischen dem eisigen Amokläufer konstruieren wollen, der letzte Woche in ein Kino in Aurora, Colorado gestürmt ist – und dem Film, der bei der Bluttat über die Leinwand flackerte – dann könnten sie nicht mehr daneben liegen.
„The Dark Knight Rises“ ist die Antithese zum militarisierten Bubenkino: Eine filmische Untersuchung über den Terror und die Suche nach Werten und Motivationen, elegant inszeniert und bedrückend zugleich. Der umstrittenste Blockbuster seit langer Zeit ist auch der klügste und komplexeste, soviel ist sicher.
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