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Eva Umbauer

Popculture-Fan und FM4 Heartbeat-moderierende Musikjournalistin.

21. 7. 2012 - 12:54

"Siebzig Acryl, dreißig Wolle"

Kleider zerschnipseln mit einer verstörten jungen Italienerin in England. Ihre meist apathische Mutter im Hintergrund. Ob die beiden im preisgekrönten Debutroman von Viola di Grado je wieder ins Leben zurückfinden?

Camelia Mega, eine 19jährige Italienerin, die seit über zehn Jahren mit ihrer Familie in England lebt, wurde jäh aus ihrem Alltag gerissen. Der Vater, ein Journalist, starb bei einem Verkehrsunfall. Das ist drei Jahre her. Seine Geliebte saß neben ihm im Wagen. Für Camelias Mutter bricht seither die Welt immer mehr zusammen. Die einst erfolgreiche Flötistin verfiel in tiefe Depressionen. Ihre einzige Beschäftigung: Löcher fotografieren. Löcher in der Kleidung etwa. Camelia zieht Kleider aus dem Müllcontainer, zerschnipselt sie.

Buchcover Viola Di Grado Luchterhand

viola i grado

"Siebzig Acryl, dreißig Wolle" von Viola di Grado ist in deutscher Übersetzung von Judith Schwaab im Luchterhand Verlag erschienen.

"Wer sich besonders lässig fühlte, ging zu H&M, der Trendige entschied sich für Top Shop, die Schicken besuchten Zara, derjenige, für den es am wichtigsten ist, dass es wenig kostet, ging zu Primark; Hauptsache, auf den Klamotten war jede Menge Glitzer und Glimmer, so wie man seinem Hund ein paar Tropfen Öl auf die trockene Brotrinde gibt."

Da ist also eine dieser Metaphern, für die Viola Di Grado soviel internationales Kritiker-Lob bekommen hat; für ihre wortgewaltige Bildsprache. Viola Di Grado führt aber auch gern mal flott beschwingt durch die Trostlosigkeit rund um Tochter und Mutter Mega, die jedoch auch eine ungewöhnliche Liebesgeschichte beinhaltet. Auch eine gewisse - eigentlich im Gegensatz dazu stehende - Schönheit kommt dabei nicht zu kurz.

"Da waren die Lämpchen auf dem Spiegel. Da war die Geisha auf der Kommode. Da war der indische Teppich. Da waren die Bücher über Taoismus, von damals, als ich noch in Turin in der Via Vanchiglia wohnte... ach, und die vergilbten Märchenbücher..."

Girl, Interrupted

"Siebzig Acryl, dreißig Wolle" spielt in der nordenglischen Universitätsstadt Leeds - Heimat von Bands wie den Kaiser Chiefs oder den Post-Punk-Legenden Gang Of Four. Camelia Megas Lieblingsstar ist aber Björk, die isländische Musikerin, die als Poster an der Wand hängt und deren Videos sie anschaut. Mit den EngländerInnen hat die Italienerin - die etwas Geld verdient mit Übersetzungen für Bedienungsanleitungen eines italienischen Waschmaschinenherstellers - nach wie vor so ihre Mühe, zwischendurch, eigentlich ständig im Alltag: ja, vom Wetter bis zum Essen. Und die britische Höflichkeit empfindet Camelia überhaupt meist nur als unehrliches Getue.

"Dann drängeln sie sich zum Ausgang vor, wobei sie sich gegenseitig mit 'Sorry' bombardieren, als wäre das ihr Wechselgeld. Zwei Silben, die wie eine abfallende Kadenz und meist in zuckrigstem Ton gesprochen werden, womit jegliches Stoßen und Rempeln gerechtfertigt, ja, annuliert und der Rempelnde praktisch unsichtbar gemacht wird."

Ital Autorin Viola di Grado

diGRado

Irgendwann trifft Camelia Mega dann einen jungen britischen Chinesen und lernt Chinesisch, ritzt sich Schriftzeichen ins Bein, schläft mit seinem Bruder. Insgesamt ist das dann alles ein wenig over the top, zuviel des Guten in der Handlung vielleicht letztlich, aber ich hab' jetzt auch keinen anderen Fortgang/Ausgang parat. Und schließlich darf ja dann ohnehin auch eine kleine Atempause eingelegt werden, gar an eine mögliche Rückkehr ins Leben nachgedacht werden.

Back To Life?

Viola di Grado stammt aus Catania auf Sizilien und lebt in London. Sie studierte fernöstliche Sprachen. Ein wenig Autobiografisches ist also durchaus zu finden in "Siebzig Acryl, dreißig Wolle".

"Ich sah sie in der Küche sitzen, in ihrem bedruckten Seidenkleid von Alexander McQueen in Weiß und Blau, ihre Haare waren gewaschen und hingen ihr offen über die Schultern, ein waches Blond wie die Sonne über der Wüste... 'Mama, was ist denn los? Du siehst super aus!'"